7. Dezember 2016

Margrit Stamm: Es wird mehr geschwänzt als angenommen

Frau Stamm, zehn Prozent der Schweizer Teilnehmer der neuen Pisa-Studie geben an, sie hätten in den letzten zwei Wochen die Schule geschwänzt. Überrascht Sie dieser Wert?
Nein. Das deckt sich mit meinen Forschungsergebnissen zum Thema Schulabsentismus. Wir haben herausgefunden, dass in einem viel höheren Ausmass geschwänzt wird, als angenommen – mehr auch, als die Lehrer wahrnehmen.
"Schüler schwänzen mehr, als Lehrer wahrnehmen", 20 Minuten, 7.12. von Marco Lüssi



Heisst das, die Lehrer bemerken oft gar nicht, dass geschwänzt wird?
Oft wollen sie es nicht wahrhaben. Unsere Studie hat gezeigt, dass selbst in Klassen, in denen wirklich viele Schüler schwänzten, die Lehrer der Meinung waren, sie hätten kein Problem mit unentschuldigten Absenzen. Die Lehrer haben so viel um die Ohren, eine Schulreform jagt die andere – da fehlt den Pädagogen schlicht die Lust und die Zeit, sich auch noch mit den Schwänzern und ihren Eltern herumzuschlagen. Sie neigen dazu, dieses Problem zu marginalisieren.

Die Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands sieht es anders. Sie sagt, das Schwänzen sei ein «riesiges Problem». Ist das nicht etwas übertrieben?
Nein, das finde ich nicht. Dass die Schüler präsent sind, ist doch eine Voraussetzung dafür, dass eine Schule gut ist. Das ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal, dem man viel zu wenig Beachtung schenkt. Es gibt zwar immer mehr Schulleitungen, die die Präsenz zum zentralen Thema machen. Doch wo dies nicht als wichtig erachtet wird – und das ist in der Mehrheit der Schulen leider der Fall – fehlt etwas Entscheidendes.

Gemäss der Pisa-Studie hat sich die Zahl der Schwänzer von 2012 auf 2015 verdoppelt. Ist eine so starke Zunahme aus Ihrer Sicht plausibel?
Die Methodik der Pisa-Studien ist ja nicht unumstritten. Doch es entspricht sicher der Realität, dass das Schwänzen zugenommen hat. Empfinden Sie diese Aussage bitte nicht als zynisch, aber ich bin froh, dass der Wert so stark gestiegen ist. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Problem, das leider unterschätzt wird.

Warum schwänzen Schüler mehr als früher?
Je höher der Leistungsdruck, desto mehr wird geschwänzt. Der Anstieg der Absenzen ist ein Zeichen dafür, dass wir die Schweizer Schüler überfordern. Hinzu kommt, dass die Schulen meist falsch auf das Schwänzen reagieren: Mit Strafen statt mit pädagogischen Massnahmen.

Was wäre die richtige Reaktion?
Bussen zu verteilen, wie es vor allem in Berufsschulen gehandhabt wird, oder die Absenzen ins Zeugnis einzutragen, sind Sanktionen, die Zeichen einer gewissen Hilfslosigkeit sind. Besser würde man pädagogisch reagieren und den Schülern im Gespräch klarmachen, warum es wichtig ist, dass sie anwesend sind.

Welche Rolle haben die Eltern?
Der Leistungsdruck wirkt sich auch auf die Eltern aus. Es kommt vermehrt vor, dass Schüler mit dem Segen ihrer Eltern schwänzen, etwa, wenn sie zu wenig auf eine Prüfung gelernt haben und eine schlechte Note vermeiden wollen.
Sind Sie eine Schülerin oder ein Schüler und schwänzen gelegentlich oder gar häufig? Wo statt in der Schule halten Sie sich dann auf? Warum schwänzen Sie? Und welche Tricks wenden Sie an, damit Ihre Eltern und Lehrer nichts merken?


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