30. Dezember 2016

Kurswechsel in der Rechtschreibung

In einem Schreiben wendet sich die baden-württembergische Ministerin für Kultus, Jugend und Sport an Ihre Schulleitungen und Lehrerkollegien. Grund dafür sind die Rechtschreibdefizite gegenüber anderen Bundesländern. Frau Ministerin Eisenmann fordert die zentrale Verankerung der Rechtschreibung von Anfang bis zum Ende der Grundschulzeit. Ebenfalls soll wieder vermehrt auf eine leserliche Handschrift geachtet werden.
Orthografie, Schriftspracherwerb und Schrift in der Grundschule, Baden-Württemberg, 7. 12.  

Sehr geehrte Schulleiterinnen und Schulleiter, sehr geehrte Lehrkräfte,

das lnstitut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (lOB) Berlin hat Ende Oktober 2016 den Ländervergleich für die Sekundarstufe I in den Sprachen (Deutsch- Lesen, Zuhören, Orthografie und Englisch und Französisch- Lese- und Hörverstehen) veröffentlicht. Für Baden-Württemberg wurden Defizite aufgezeigt, aus denen sich Handlungsbedarf ergibt. lnsbesondere die Ergebnisse in der Rechtschreibung sollten uns alle beschäftigen und zum Nachdenken und Handeln anregen.

ln unserer Gesellschaft hat die Richtigschreibung von Wörtern nicht mehr den Stellenwert, der ihr als Kulturtechnik zukommen sollte - man denke nur an die ,,schreib-und tipp-wie-du-sprichst" - Methode, die über das Mobiltelefon und den Computer Einzug gehalten hat. Auch eine Unterrichtsmethodik und -didaktik, die der Rechtschreibung nicht den zentralen Stellenwert gibt oder diese zu spät berücksichtigt, ist wenig hilfreich, um korrektes Schreiben zu verankern. Hier müssen wir gegensteuern und Rechtschreibung von Anfang an gezielt üben.

Richtiges Schreiben ist ebenso wie Lesen und Rechnen eine Schlüsselkompetenz, die in der Schule erworben wird und die wieder gestärkt werden muss. Der Erwerb dieser Kompetenz darf weder vernachlässigt werden noch nebenbei erfolgen. Systematisches (Ein-)Üben ist ebenso wichtig wie Kontinuität. Deshalb ist es mir wichtig, dass richtiges Schreiben nicht erst zum Ende der zweiten oder in der dritten Klasse, sondern von Beginn der Grundschulzeit an konsequent angeleitet wird. Darüber hinaus darf dies auch nicht mit Ende der Grundschulzeit als erledigt betrachtet.

Entscheidend dafür ist lhr Unterricht: ein Unterricht, der Rechtschreibung in jedem Fachunterricht verankert und ab Beginn der Grundschulzeit berücksichtigt. ln den letzten Jahren setzten sich Unterrichtskonzepte durch, die von Anlauten ausgehen. Die Kinder sollen dabei Anlaute aus einzelnen Bildwörtern heraushören, isolieren und zu eigenen Wörtern neu zusammensetzen. Dies führt häufig zu einem unangemessen langen Verharren der Schülerinnen und Schüler in der Phase der alphabetischen Stufe und wirkt einem frühen systematischen Rechtschreibunterricht eher entgegen.

Schreibaktivitäten von Kindern, die primär von sprachlichen Lautelementen bestimmt sind und die Rechtschreibstrategien und die notwendige Fehlersensibilität vernachlässigen, führen zwar eher zum kreativen Schreiben, ziehen häufig aber Fehler bei der Rechtschreibung nach sich. Beobachtbar ist eine Vielzahl an ,,individuellen Schreibungen" eines Wortes, wodurch das Einüben der korrekten Schreibweise erschwert wird. Deshalb ist es aus meiner Sicht zwingend erforderlich, dass orthografische Fehler von Anfang an konsequent korrigiert werden.

Auch dem Erlernen einer leserlichen Handschrift, wie sie über den Bildungsplan und die KMK bis zum Ende der Grundschulzeit eingefordert wird, messe ich große Bedeutung bei. lch sehe hier auch einen starken Zusammenhang zur Rechtschreibung. Wenn ein Kind seine Schreibschrift nicht lesen kann, wird es auch Fehler nicht wahrnehmen können. ln der Grundschule gibt es Noten für ,,Schrift und Gestaltung". Daraus resultierend ist es wichtig, leserliches Schreiben bewusst zu üben. Nur wenn Kinder fließend und unverkrampft schreiben können, können sie leserlich schreiben und das Augenmerk auf die Rechtschreibung und Fehlersensibilität lenken.

Das Erlernen des Schreibens hat in der Grundschule einen hohen Stellenwert für die Kinder, die Eltern und die Schulen. Eine lebhafte Auseinandersetzung darüber wurde in Fachdiskussionen sowie in öffentlichen Diskussionen geführt.

lm Bildungsplan 2004 sind als Schreibschriften die Lateinische Ausgangsschrift (LA) und die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA) verankert. Mit dem Schuljahr 201612017 trat ein neuer Bildungsplan, zunächst für die Klassen 1 und 2 der Grundschule, in Kraft. Darin sind keine Vorgaben zur Art der Schreibschrift verankert. Es wird ausgeführt, dass, ausgehend von der Druckschrift und einer verbundenen Schrift, eine gut lesbare Handschrift entwickelt werden soll.

Die Entwicklung einer individuellen, lesbaren und flüssig geschriebenen Handschrift ist eine Kompetenz, über die Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschulzeit verfügen sollen. Das Erlernen einer verbundenen Schrift stellt dabei einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer individuellen Handschrift dar.

Nach Abwägung unterschiedlicher Argumente habe ich nun entschieden, den Grundschulen weiterhin ausschließlich die Wahl zwischen Lateinischer Ausgangsschrift (LA) und Vereinfachter Ausgangsschrift (VA) zu überlassen und gleichzeitig die Wahlmöglichkeit auf diese zu beschränken.

Abschließend möchte ich Sie nochmals bitten, die Rechtschreibung vom Anfang bis zum Ende der Grundschulzeit zentral in jedem Unterricht zu verankern und systematisch zu üben. Methoden, bei denen Kinder monate- beziehungsweise jahrelang nicht auf die richtige Rechtschreibung achten müssen, sind hingegen nicht mehr zu praktizieren. Messen Sie bitte auch der leserlichen Handschrift wieder mehr Bedeutung bei! Dabei vertraue ich auf lhre pädagogische Verantwortung und die Erfüllung lhres Bildungsauftrags und hoffe, dass unsere Kinder damit von Anfang an mehr Rechtschreibsicherheit erlangen.

Wir werden Sie bei der Weiterentwicklung des Rechtschreibunterrichts durch verschiedene Maßnahmen wie beispielsweise Handreichungen, verstärkte Fortbildungsangebote und Fachtage unterstützen. Bitte nehmen Sie diese Angebote an, damit wir gemeinsam die Qualität des Unterrichts durch die verstärkte Vermittlung von Rechtschreibetechniken verbessern.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Susanne Eisenmann

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