7. Dezember 2016

Die Begegnung mit der 4. Dimension

Als frischgebackener Junglehrer trat ich nicht – wie damals üblich - dem bernischen Lehrerverein bei. Es musste eine richtige Gewerkschaft sein. Ich wurde Mitglied des VPOD und weil es dort keine Lehrer gab, gründeten wir die VPOD-Lehrergruppe. Mit „wir“ meine ich Jean-Michel, Barbara, Markus, Ruedi, Marianne, Sylvianne und wie sie noch alle hiessen. Alles junge, linke Lehrkräfte.
Die Begegnung mit der 4. Dimension, Bieler Tagblatt, 6.12. von Alain Pichard


Die Mitgliedschaft im VPOD hatte für uns einen gewissen Vorteil. Wir trafen dort auf Mario, Walter, Werner, Hasso und wie sie sonst noch alle hiessen. Und das waren richtige Proletarier. Die waren in unseren Organisationen nämlich seltener als der Apollo-Falter auf unseren Wiesen.

An der grossen jährlichen Mitgliederversammlung konnten wir vor über 200 echten Arbeitern auftreten. Jean-Michel wollte von der Sektion Biel ein Solidaritätstelegramm für die iranische Revolution verabschiedet sehen. Mario und Werner schauten sich zuerst verdutzt an und kugelten sich nachher vor Lachen. Und als ich einmal verlangte, dass man die Überstunden verbieten solle, erklärte mir Hasso, dass diese Überstunden bei Ihnen gerade den Unterschied zwischen einer 3-Zimmer zu einer 4-Zimmerwohnung ausmachen würden oder auch den begehrten Urlaub an der Costa Brava ermöglichten.

Auch Barbara erging es nicht besser. Als sie die Gewerkschaft bat, uns zu helfen, dass man in der Schule die Noten abschaffe, lachte Walter und meinte: „Ihr seid gut, uns hier gebt ihr ständig Noten und in der Schule wollt ihr sie abschaffen.“

Viele von uns waren etwas enttäuscht, weil sie das revolutionäre Potential der Bieler Gewerkschafter nicht richtig eingeschätzt hatten.

Ich fühlte mich bei diesen Leuten eigentlich immer recht wohl, und ging auch dann noch mit ihnen ein Bier trinken, als sie sich dagegen wehrten, dass auch Frauen Trolleybusse lenken durften.

Die Zeit verging. Jean-Michel wurde Gewerkschaftssekretär. Hasso, Max, Walter und die anderen hingegen traten aus dem VPOD aus.

Einige von Ihnen schlossen sich  der Autopartei an, die bald einmal mehr Mitglieder zählte als die einst mächtige Trolleybusgruppe des Bieler VPOD.

Den Werner sah ich einmal auf einer Velotour am Sonntag. Er kam gerade von einem Puurezmorge der SVP und freute sich, mich wiederzusehen. "Es waren schöne Zeiten damals", meinte er! "Ja, antwortete ich, "ich habe viel gelernt!" Er fragte mich, wie es der Barbara ginge, das war doch damals eine ganz „Gescheite“. Ich sagte ihm, dass sie letzte Woche im Hotel National in Bern eine Kunstauktion für die SP mitorganisierte und Mitglied der Genderkommission der SP sei. Ausserdem arbeite sie bei der Food-Waste-League!

Aha, meinte Walter und grinste: "Kenne ich nicht, ich kenne nur die Champions League!" 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen