11. November 2016

Intransparentes Experiment zulasten der Kinder

Die Volksschule ist in der Schweiz ein sozialer Brennpunkt erster Klasse. Entwicklungen in der Gesellschaft werden hier besonders drastisch sichtbar und verlangen nach pädagogischen Antworten. Heute befindet sich die Volksschule mehr denn je in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen, die bis in die Schulhäuser getragen und dort auch ausgefochten werden. Dabei ist klar: Eine gute Schule mit Blick in die Zukunft macht nur dann wirklich Schule, wenn sie einen langen Atem hat und Wissen für eine offene Zukunft bereitstellen und vermitteln kann. Dafür ist ein positives Menschenbild Voraussetzung. Dieses entspricht unserem demokratischen System und ist in der Verfassung verankert, wo es um Chancengerechtigkeit geht. Eine funktionierende Schule muss die Lernenden über persönliche Lehr- und Lernbeziehungen zu selbständigem Denken und Handeln führen, was die Grundlage echter Handlungskompetenz ist, die für die Praxis etwas taugt.
Grossbaustelle Lehrplan 21, NZZ, 11.11. Gastkommentar von Felix Huwiler und Hedwig Schär


Der Lehrplan 21, über den in den Kantonen heute abgestimmt wird, hat wenig mit solider und breiter Bildung zu tun, wie wir sie im Schweizer Bildungssystem seit Jahren kennen und in der Bevölkerung schätzen. Unter dem Deckmantel einer intransparenten Schulreform, die sich auf die Auflagen von Harmos stützt und die keiner durchschaut, erfolgt mit dem Lehrplan 21 ein systematischer Abbau der Bildung und des Wissens bei den Schülerinnen und Schülern in den Klassenzimmern. Der Lehrplan 21 ist – und das ist bekannt – ein sehr teures und unreifes Experiment im Bildungsbereich, das politische und wirtschaftliche Anliegen in die Schule trägt, deren Wirkungen und Konsequenzen selbst bei Pädagogen nicht klar sind.

Es gilt, erst einmal ein Regelwerk mit rund 500 Seiten zu verdauen und die rund 1500 Kompetenzen mit dem eigenen Unterricht abzugleichen. An höchster kantonaler Stelle, die für die Umsetzung des Lehrplans 21 zuständig ist, heisst es zur Begründung des Lehrplans 21 oft, dass dieser Lehrplan den «Zeitgeist» wiedergebe und man ihn nun aus politischen Gründen umsetzen müsse. Seit wann sind soziale Prozesse Naturphänomene, die nicht bewusst gelenkt werden können?

Die Opfer solcher Versuche, die politisch motiviert sind und Millionen an Steuergeldern verschleudern, sind unsere Kinder und damit die kommende Generation, die nicht zum Lehrplan 21 befragt werden. Sie sind die Betroffenen, die für unverantwortliche Experimente im Bildungsbereich im späteren Berufsleben die gesalzene Rechnung bekommen werden. Hundertseitige Kompetenzraster, die ohne Wissen und Erkennen auskommen, werden keinen Stich haben.

Für und gegen den Lehrplan 21 wird derzeit mit harten Bandagen gekämpft. Die Befürworter haben längere Spiesse, weil sie über den Arm der Behörden bis in die Schulräume ihre Propaganda streuen können und das schulische Personal gezielt unter Druck setzen. Die freie Willensbildung, wie sie in der Bundesverfassung auch für das Schulgelände vorgesehen ist, wird unbemerkt mit Füssen getreten.

Oder gehört es bereits zum Zeitgeist, dass politische Kreise ihre intransparenten Interessen durchboxen können, ohne dabei die Bevölkerung anzuhören oder zu Wort kommen zu lassen? Der gegenwärtige Abstimmungskampf im Kanton Thurgau zum Lehrplan 21 spricht leider exakt für diese Beurteilung der Lage.

Warum in aller Welt darf unsere bewährte Schule sich nicht auf dem Boden weiterentwickeln, der so lange schon trägt? Warum muss sie unter unausgereiften Dauer-Schulversuchen in ihrer Substanz umgekrempelt werden? Mit Experimenten, welche viele Kinder, Eltern und Lehrer seit Jahren zur Verzweiflung bringen? Von oben werden uns untaugliche Reformen aufgezwungen. Wir haben es selber in der Hand zu entscheiden, ob wir das auch so wollen.


Felix Huwiler ist Unternehmer, Hedwig Schär ist Primarlehrerin; die Autoren sind in der IG für eine gute Thurgauer Volksschule engagiert.

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