Die Volksschule ist in der Schweiz ein sozialer Brennpunkt erster
Klasse. Entwicklungen in der Gesellschaft werden hier besonders drastisch
sichtbar und verlangen nach pädagogischen Antworten. Heute befindet sich die
Volksschule mehr denn je in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen,
die bis in die Schulhäuser getragen und dort auch ausgefochten werden. Dabei
ist klar: Eine gute Schule mit Blick in die Zukunft macht nur dann wirklich
Schule, wenn sie einen langen Atem hat und Wissen für eine offene Zukunft
bereitstellen und vermitteln kann. Dafür ist ein positives Menschenbild
Voraussetzung. Dieses entspricht unserem demokratischen System und ist in der
Verfassung verankert, wo es um Chancengerechtigkeit geht. Eine funktionierende
Schule muss die Lernenden über persönliche Lehr- und Lernbeziehungen zu
selbständigem Denken und Handeln führen, was die Grundlage echter
Handlungskompetenz ist, die für die Praxis etwas taugt.
Grossbaustelle Lehrplan 21, NZZ, 11.11. Gastkommentar von Felix Huwiler und Hedwig Schär
Der Lehrplan 21, über den in den Kantonen heute abgestimmt wird, hat
wenig mit solider und breiter Bildung zu tun, wie wir sie im Schweizer
Bildungssystem seit Jahren kennen und in der Bevölkerung schätzen. Unter dem
Deckmantel einer intransparenten Schulreform, die sich auf die Auflagen von
Harmos stützt und die keiner durchschaut, erfolgt mit dem Lehrplan 21 ein
systematischer Abbau der Bildung und des Wissens bei den Schülerinnen und
Schülern in den Klassenzimmern. Der Lehrplan 21 ist – und das ist bekannt – ein
sehr teures und unreifes Experiment im Bildungsbereich, das politische und
wirtschaftliche Anliegen in die Schule trägt, deren Wirkungen und Konsequenzen
selbst bei Pädagogen nicht klar sind.
Es gilt, erst einmal ein Regelwerk mit rund 500 Seiten zu verdauen und
die rund 1500 Kompetenzen mit dem eigenen Unterricht abzugleichen. An höchster
kantonaler Stelle, die für die Umsetzung des Lehrplans 21 zuständig ist, heisst
es zur Begründung des Lehrplans 21 oft, dass dieser Lehrplan den «Zeitgeist»
wiedergebe und man ihn nun aus politischen Gründen umsetzen müsse. Seit wann
sind soziale Prozesse Naturphänomene, die nicht bewusst gelenkt werden können?
Die Opfer solcher Versuche, die politisch motiviert sind und Millionen
an Steuergeldern verschleudern, sind unsere Kinder und damit die kommende
Generation, die nicht zum Lehrplan 21 befragt werden. Sie sind die Betroffenen,
die für unverantwortliche Experimente im Bildungsbereich im späteren
Berufsleben die gesalzene Rechnung bekommen werden. Hundertseitige
Kompetenzraster, die ohne Wissen und Erkennen auskommen, werden keinen Stich haben.
Für und gegen den Lehrplan 21 wird derzeit mit harten Bandagen gekämpft.
Die Befürworter haben längere Spiesse, weil sie über den Arm der Behörden bis
in die Schulräume ihre Propaganda streuen können und das schulische Personal
gezielt unter Druck setzen. Die freie Willensbildung, wie sie in der
Bundesverfassung auch für das Schulgelände vorgesehen ist, wird unbemerkt mit
Füssen getreten.
Oder gehört es bereits zum Zeitgeist, dass politische Kreise ihre
intransparenten Interessen durchboxen können, ohne dabei die Bevölkerung
anzuhören oder zu Wort kommen zu lassen? Der gegenwärtige Abstimmungskampf im
Kanton Thurgau zum Lehrplan 21 spricht leider exakt für diese Beurteilung der
Lage.
Warum in aller Welt darf unsere bewährte Schule sich nicht auf dem Boden
weiterentwickeln, der so lange schon trägt? Warum muss sie unter unausgereiften
Dauer-Schulversuchen in ihrer Substanz umgekrempelt werden? Mit Experimenten,
welche viele Kinder, Eltern und Lehrer seit Jahren zur Verzweiflung bringen?
Von oben werden uns untaugliche Reformen aufgezwungen. Wir haben es selber in
der Hand zu entscheiden, ob wir das auch so wollen.
Felix Huwiler ist Unternehmer, Hedwig Schär ist Primarlehrerin; die
Autoren sind in der IG für eine gute Thurgauer Volksschule engagiert.
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