Thalheim an
der Thur ist ein 900-Seelen-Dorf im Norden des Kantons Zürich, mit viel Acker-
und Weideland und einem bunten Primarschulhaus. 88 Kinder gehen dort zur Schule
und in den Kindergarten. Doch längst nicht alle Eltern wollen ihren Nachwuchs
den örtlichen Lehrern anvertrauen. Fünf Familien setzen auf Homeschooling.
Damit weist das Dorf die höchste Dichte dieser Schulform, die im ganzen Kanton
wieder beliebter wird, auf.
Das
sorgt im Dorf für Spannungen. In der lokalen «Andelfinger Zeitung» beschwerte
sich Schulpflegepräsidentin Cornelia Schumacher im letzten Herbst, dass gewisse
Eltern «einfach ihr Ding durchziehen», wenn ihnen Entscheide von Experten nicht
passten. Und weiter: «Ich persönlich würde das meinen Kindern nicht antun.»
Prompt hielt Gemeinderatskollege Guido Roggensinger dem entgegen: «Einer
Amtsträgerin steht es nicht zu, sich in die Privatsphäre der Familien und das
Elternrecht auf Erziehung einzumischen.» Seinen Ärger versteht, wer weiss, dass
er seine Kinder aus der Schule genommen hat. «Wir mussten die Notbremse
ziehen», sagt er.
In der Regel erfüllt Homeschooling die Lernziele, Bild: Michele Limina
Ein Dorf verliert seine Schüler, NZZaS, 6.11. von René Donzé
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In
der Schule sei das Vermitteln von Wissen in den Hintergrund getreten. Die
Förderung der Kinder fehle, die Lehrer seien bloss noch Lerncoaches. Die Kinder
müssten sich vieles selber beibringen. «Mit meinen Kindern funktioniert das
nicht», sagt er. Ähnliche Erfahrungen machte die Familie Hefti. «Aufgrund des
individualisierten Unterrichtsstils waren unsere Kinder überfordert», sagt
Wilhelm Hefti.
Eine
Minischule
Roggensingers
und Heftis haben eigens ein Schulzimmer in einem Nebengebäude eingerichtet, in
dem ihre vier Kinder seit gut einem Jahr von verschiedenen Lehrern unterrichtet
werden. Bei bis zu fünf Kindern gilt auch das als Homeschooling. Dort erleben
die Kinder nun einen klar geführten Unterricht nach genauem Stundenplan. Die
Kinder blühten regelrecht auf. Sie hätten wieder Boden unter den Füssen.
Auch
Rahel Huber hat ihre beiden Kinder aus der Schule genommen, weil sie mit dem
System unzufrieden war, doch ihr war das System nicht etwa wie den anderen
beiden Familien zu lasch, sondern zu rigide. «So löscht es den Kindern ab»,
sagt sie. «Ich will nicht, dass sie ihren natürlichen Lerntrieb verlieren.» Das
freie Lernen bringe die grössten Erfolge, sagt sie. Sie ist mit den Kindern oft
unterwegs, wenn nicht gerade die eigens engagierte Lehrerin vorbeikommt.
«Zahlenreihen muss ich mit den Kindern nicht am Schulpult lernen, das geht auch
draussen gut.»
«Man
kann es nicht allen recht machen», sagt die Thalheimer Schulleiterin Sandra
Blatter. Dass ihr gleich so viele Schüler abhandengekommen sind, stelle sie vor
organisatorische Probleme: «Ich haben dann weniger Stellenprozente zum
Verteilen.» In einer derart kleinen Schule fällt jedes Prozent ins Gewicht.
Gegen alternative Schulformen habe sie aber nichts einzuwenden, betont sie.
Bibelverse
lernen
«Die
Ansprüche der Eltern an die Schule gehen zunehmend auseinander», sagt Marion
Völger, Chefin des Zürcher Volksschulamtes. Das Amt überprüft jährlich, ob die
Homeschooler die Lernziele erreichen. Die Ergebnisse dieser Abklärungen seien
meist gut. «Eltern, die ihre Kinder zu Hause schulen, sind grundsätzlich sehr
daran interessiert, dass ihre Kinder eine gute Bildung erhalten.»
Jael
Bischof sitzt im Haus hoch über dem Dorf. Sie hat ihre zweijährige Tochter auf
den Knien, die Zehnjährige neben sich. An ihnen geht der Schulknatsch im Dorf
vorbei. Sie vertiefen sich in die Konjugation lateinischer Verben. Dieweil
trainiert die andere Tochter Kopfrechnen, und die Sechsjährige studiert ihren
Wochenplan. Darauf steht unter anderem «Bibelverse lernen». Die Familie Bischof
ist neu zugezogen, hat ihre Kinder schon immer selber unterrichtet. Nicht aus
religiösen Gründen, wie Bischof betont, sondern aus dem Bedürfnis, voll für die
Kinder da zu sein.
Zugezogen
ist auch Damaris Bühler, die eine Tochter und einen Sohn zu Hause schult: «Wenn
man die Kinder zu früh abgibt, orientieren sie sich zu fest an Gleichaltrigen»,
sagt sie. «Dabei brauchen sie in erster Linie stabile Beziehungen zu Erwachsenen.»
Zudem sollten die Kinder viel Zeit für freies Spiel haben, weil das für ihre
Entwicklung zentral sei. Der Volksschule steht sie eher kritisch gegenüber. Sie
ist im Unterstützungskomitee für die Initiative «Lehrplan vors Volk», die im
Kanton Zürich die Einführung des Lehrplans 21 verhindern will.
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