«Stell Dir vor, es ist
Schule, und alle gehen hin», so lautet der Slogan des 11.
«Bund»-Essay-Wettbewerbs. Gesucht werden Autoren, die diesen Wunschtraum
durchspielen und niederschreiben. Welche Massnahmen sind nötig, um eine neue
Schule zu formen, die auf die digitale Revolution eingeht und den Kindern
gerecht wird?
Die Jury (v.l.n.r.): Alain Pichard, Margrit Stamm, Patrick Feuz und Moderator Alexander Sury. Bild: Franziska Rothenbühler
Lehrer sind nicht mehr unantastbar, Bund, 19.10. von Claude Galli
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Zur
Lancierung fand am Mittwoch im Kino Rex ein Podium mit den Jurymitgliedern
Margrit Stamm, Leiterin des Forschungsinstituts Swiss Education, dem Bieler
Lehrer und Publizisten Alain Pichard sowie «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz
statt. Dazwischen wurde der Klassiker «Zéro de conduite» (1933) von Jean Vigo
über einen Schüleraufstand in einem Internat gezeigt.
Von Rebellen und
Streberinnen
Zum
Einstieg bat Moderator Alexander Sury die Runde, sich als frühere Schüler auf
einer Skala von 1 gleich Rebell bis 10 gleich Streber einzuschätzen. Pichard
gab sich eine 6 und erzählte, dass er vor allem wegen Faulheit aus dem
Gymnasium geflogen sei. Stamm bezeichnete sich als «atypische Streberin» (Wert
8), die in ihrem ganzen Leben nie rebelliert habe, und Feuz gestand, dass er
ein «unerfreulicher, schrecklicher Schüler» gewesen sei, der seine Unsicherheit
mit Clownereien überspielt habe (Wert 5).
Nach
dem Film folgte die vertiefte Gegenwartsanalyse. Pichard hielt fest, er sei
kein Gegner des Lehrplans 21, sondern ein Kritiker, der die Notwendigkeit von
Reformen sehr wohl sehe. «Ich glaube aber einfach nicht mehr an Masterpläne.
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver hat schon vieles zurückgenommen. Man kann sich
mittlerweile beinahe fragen, warum man so viele Millionen ausgibt, wenn sich so
wenig ändert.»
«Etikettiert und
stigmatisiert»
Auch
Margrit Stamm sträubte sich gegen Masterpläne: «Der beste Plan nützt nichts,
wenn sich die Einstellung der Lehrer nicht ändert.» In einem Artikel hatte sie
vorgängig eindrückliche Zahlen genannt: Von 100 Arbeiterkindern schafften es
nur gut 20 an eine Hochschule, von Akademikersprösslingen dagegen fast 90.
Alain Pichard relativierte diese Zahlen und meinte: «Karriere heisst nicht
immer nur Matura und Studium.»
Was
ihm bedeutend mehr Sorgen mache, so Pichard, sei der zunehmende Illettrismus,
das Phänomen der massiven Lese- und Schreibschwierigkeiten werde komplett
ausgeblendet. «Die meisten Kinder wollen lernen. Die Schule muss dafür sorgen,
dass sie lernen können.» Patrick Feuz sieht klassischen Bildungsvorstellungen
ebenfalls auf dem Prüfstand: «Matura und Studium haben an Wert verloren.»
Margrit
Stamm weist darauf hin, dass Lehrkräfte oft zu Vorurteilen neigten. Die Kinder
würden «etikettiert oder gar stigmatisiert. Gerade jene mit
Migrationshintergrund werden häufig gleichgesetzt mit kleinerem Potenzial, was
komplett falsch ist.» Bei aller Kritik will Pichard aber doch auch das Positive
hervorheben. «Als Schüler, Vater und Berufskollege habe ich zwar kolossale
Fehlleistungen erlebt. Und ich habe ebenso Fehler gemacht.
Das
Können der Lehrer ist fragil.» Aber der Standard sei definitiv besser geworden.
«Und wir können uns heute von schlechten Mitarbeitern trennen, was früher nicht
möglich war. Das stimmt mich grundsätzlich optimistisch.»
Es sind leider heute die guten Lehrer, die entlassen werden bzw. die kündigen, weil sie bei Schulreformen nicht mitmachen wollen, die sich negativ auf die Schüler auswirken. Es gibt heute Schulpflegepräsidenten oder Schulleiter, die bei Widerstand im Lehrerteam lauthals verkünden: "Es gibt genug Lehrer, die gerne altersgemischten Unterricht oder selbstgesteuertes Lernen machen".
AntwortenLöschenDas wird sich in der Zukunft bitter rächen, wie das Beispiel England zeigt, wo man vor etwa 20 Jahren alle älteren und erfahrenen Lehrer in die Wüste geschickt hat. Dann bleiben nur noch die übrig, die schon nach dem "neuen" Reformen ausgebildet wurden und nicht mehr wissen, wie man Klassenunterricht macht.