10. Oktober 2016

Die Konfusion der Wirtschaftsverbände

Die Schweizer Wirtschaftsverbände sind uneins in der Sprachenfrage: Während der Gewerbeverband für das Frühfranzösisch eintritt, spricht sich Economiesuisse gegen ein Machtwort des Bundes bei den Fremdsprachen aus.
Die Sprache der Wirtschaft, Basler Zeitung, 8.10. von Erik Ebneter und Samuel Tanner

Der Geist entwich in den Neunziger­jahren erstmals aus der Flasche. Überall war plötzlich von Globalisierung und New Economy die Rede, die ­Prokuristen nannten sich Assistant Vice Presidents – sie verbrachten ihre Tage nicht mehr in Sitzungen, ­sondern in Meetings. Englisch war die Sprache der Zukunft, Deutsch und Französisch schrumpften zu Sprachen der Herkunft.

Der Kanton Zürich beschloss da­mals, Englisch als erste Fremdsprache auf Primarschulstufe zu unterrichten. Französisch, so schien es ­vielen Westschweizern, galt in der Deutschschweiz nur mehr als quantité négligeable, als vernachlässigbare Grösse. Es entbrannte eine Debatte, die 2004 in einem ­Kompromiss der Erziehungsdirektorenkonferenz endete: Englisch durfte in der Primarschule unterrichtet werden, solange eine zweite Landessprache ebenfalls gelehrt würde. Das Land hatte seinen Sprachfrieden wieder.
Ohne Einigung
Zehn Jahre später, 2014, entwich der Geist ein zweites Mal, diesmal im Kanton Thurgau. Der Grosse Rat befürwortete die Motion «Französisch erst auf der Sekundarstufe». Wieder reagierten viele Westschweizer empfindlich, wieder wurde Sprachpolitik betrieben, in der Erziehungsdirektorenkonferenz, aber diesmal auch in Bern, im Innendepartement von Bundesrat Alain Berset.

Berset drohte den Beteiligten, sich bald zu einigen, sonst würde er selbst aktiv werden. Aber die Kantone konnten sich nicht einigen, zumindest nicht genug schnell, und so startete Berset im Juli eine Vernehmlassung, um den Geist des Unfriedens mit den Mitteln der Bundesbürokratie zu bannen.

Jetzt, da die Ergebnisse der Vernehmlassung vorliegen, zeigt sich: Die Wirtschaft, die Englisch zu ihrer Sprache gemacht hat, unterstützt die Pläne des Bundesrats – so berichtete es ­gestern zumindest der Tages-Anzeiger: «Die Wirtschaftsverbände betonen in der Vernehmlassung, wie wichtig Französischkenntnisse auf dem Arbeitsmarkt seien.»
Kronzeuge dieser Haltung ist Hans-­Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands und Nationalrat der FDP. Er sagt: «Die Sprache hat in den KMU eine hohe Bedeutung. Viele Partner­betriebe stehen in der Romandie.» Es ist die nüchterne Begründung einer überraschenden Botschaft.

Anruf beim Gewerbeverband: «Herr Bigler, Englisch ist die ­Sprache der Wirtschaft, und der Gewerbeverband vertritt die Interessen der Wirtschaft.»
«Beides ist richtig», sagt Hans-­Ulrich Bigler.
Sein Engagement für das Frühfranzösisch stehe dazu nicht im Widerspruch: «Englisch ist die globale Sprache der Wirtschaft, aber in der Schweiz haben wir auch einen französischsprachigen Wirtschaftsraum.» Er berichtet von Märkten, die sich nicht nach Sprachgrenzen richteten – und von einem Binnenmarkt, der Deutsch- und Westschweiz enger verzahne, als viele glaubten.

Über dem Artikel im Tages-Anzeiger stand der Titel: «Wirtschaft unterstützt Bersets Bundesdiktat im Sprachenstreit.» Es klang wie eine neue Maxime der vereinigten Ökonomie.
Fremdsprache, Standardsprache
Ein Anruf bei Rudolf Minsch reicht, und die Einigkeit löst sich auf. Minsch ist Chefökonom von Economiesuisse, dem «Dachverband der Schweizer Wirtschaft». Er sagt: «Wann die Kinder welche Sprache lernen, ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass sie mit 16 Jahren in Englisch und Französisch ein anständiges Niveau haben.»

Rudolf Minsch ist nicht einverstanden mit Bundesrat Berset, der die ­Kantone im Zweifel auf eine zweite Landessprache in der Primarschule verpflichten will. Er sagt: «Die Sprachen sind Sache der Kantone. Die Frage des Frühfranzösisch ist schon genug aufgeladen mit politischer Symbolik – da bringt es nichts, wenn sie der Bundesrat auch noch zu einer nationalen Angelegenheit macht.»

Die Debatte um das Frühfranzösisch ist seit ihrem Anfang auch ein Streit über Kultur und Erziehung: Sollen die Kinder auf die Schweiz vorbereitet werden oder auf die Welt?
Minsch will nicht sagen, dass Englisch die unbestrittene Sprache der Wirtschaft sei – es wäre in diesem Land eine ausgesprochen politische Antwort. Aber dann sagt er doch einen Satz, der das Verhältnis der Wirtschaft zu den beiden Sprachen ordnet: «Französisch ist wichtig. Und Englisch ist heutzutage wie Velofahren: Das muss man einfach können.»
Französisch ist aus Sicht der Deutschschweizer Wirtschaft eine Fremdsprache, Englisch eine Standardsprache.
Mehr Mathe
In der Bildungskommission von Economiesuisse diskutierten Minsch und seine Leute darüber, welche Sprache zuerst unterrichtet werden solle an Schweizer Primarschulen, Englisch oder eine zweite Landessprache. Die Kommission war gespalten in zwei Lager, sagt Rudolf Minsch – die Front­linie aber sei nicht dem Röstigraben entlang verlaufen. Es ging um die persönliche Haltung. «Die Kommission ist wahrscheinlich ein ziemlich exaktes Abbild des Landes», sagt Minsch.


In einem Papier zu der Debatte, das sein Verband im vergangenen Jahr veröffentlichte, steht «zusammenfassend»: Die Ausbildung in Mathematik muss stärker priorisiert werden. Es ist eine Sprache ohne Grenzen.

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