Die Schweizer Wirtschaftsverbände sind uneins in der Sprachenfrage: Während der Gewerbeverband für das Frühfranzösisch eintritt, spricht sich Economiesuisse gegen ein Machtwort des Bundes bei den Fremdsprachen aus.
Die Sprache der Wirtschaft, Basler Zeitung, 8.10. von Erik Ebneter und Samuel Tanner
Der Geist entwich in den Neunzigerjahren
erstmals aus der Flasche. Überall war plötzlich von Globalisierung und New
Economy die Rede, die Prokuristen nannten sich Assistant Vice Presidents – sie
verbrachten ihre Tage nicht mehr in Sitzungen, sondern in Meetings. Englisch
war die Sprache der Zukunft, Deutsch und Französisch schrumpften zu Sprachen
der Herkunft.
Der Kanton Zürich beschloss damals, Englisch als erste
Fremdsprache auf Primarschulstufe zu unterrichten. Französisch, so schien es vielen
Westschweizern, galt in der Deutschschweiz nur mehr als quantité négligeable, als
vernachlässigbare Grösse. Es entbrannte eine Debatte, die 2004 in einem Kompromiss
der Erziehungsdirektorenkonferenz endete: Englisch durfte in der Primarschule
unterrichtet werden, solange eine zweite Landessprache ebenfalls gelehrt würde.
Das Land hatte seinen Sprachfrieden wieder.
Ohne
Einigung
Zehn Jahre später, 2014, entwich der Geist ein zweites Mal,
diesmal im Kanton Thurgau. Der Grosse Rat befürwortete die Motion «Französisch
erst auf der Sekundarstufe». Wieder reagierten viele Westschweizer empfindlich,
wieder wurde Sprachpolitik betrieben, in der Erziehungsdirektorenkonferenz,
aber diesmal auch in Bern, im Innendepartement von Bundesrat Alain Berset.
Berset drohte den Beteiligten, sich bald zu einigen, sonst würde
er selbst aktiv werden. Aber die Kantone konnten sich nicht einigen, zumindest
nicht genug schnell, und so startete Berset im Juli eine Vernehmlassung, um den
Geist des Unfriedens mit den Mitteln der Bundesbürokratie zu bannen.
Jetzt, da die Ergebnisse der Vernehmlassung vorliegen, zeigt sich:
Die Wirtschaft, die Englisch zu ihrer Sprache gemacht hat, unterstützt die
Pläne des Bundesrats – so berichtete es gestern zumindest der Tages-Anzeiger: «Die
Wirtschaftsverbände betonen in der Vernehmlassung, wie wichtig
Französischkenntnisse auf dem Arbeitsmarkt seien.»
Kronzeuge dieser Haltung ist Hans-Ulrich Bigler, Direktor des
Schweizerischen Gewerbeverbands und Nationalrat der FDP. Er sagt: «Die Sprache
hat in den KMU eine hohe Bedeutung. Viele Partnerbetriebe stehen in der
Romandie.» Es ist die nüchterne Begründung einer überraschenden Botschaft.
Anruf beim Gewerbeverband: «Herr Bigler, Englisch ist die Sprache
der Wirtschaft, und der Gewerbeverband vertritt die Interessen der Wirtschaft.»
«Beides ist richtig», sagt Hans-Ulrich Bigler.
Sein Engagement für das Frühfranzösisch stehe dazu nicht im
Widerspruch: «Englisch ist die globale Sprache der Wirtschaft, aber in der
Schweiz haben wir auch einen französischsprachigen Wirtschaftsraum.» Er
berichtet von Märkten, die sich nicht nach Sprachgrenzen richteten – und
von einem Binnenmarkt, der Deutsch- und Westschweiz enger verzahne, als viele
glaubten.
Über dem Artikel im Tages-Anzeiger stand der Titel: «Wirtschaft
unterstützt Bersets Bundesdiktat im Sprachenstreit.» Es klang wie eine neue
Maxime der vereinigten Ökonomie.
Fremdsprache,
Standardsprache
Ein Anruf bei Rudolf Minsch reicht, und die Einigkeit löst sich
auf. Minsch ist Chefökonom von Economiesuisse, dem «Dachverband der Schweizer
Wirtschaft». Er sagt: «Wann die Kinder welche Sprache lernen, ist nicht
wichtig. Wichtig ist, dass sie mit 16 Jahren in Englisch und Französisch ein
anständiges Niveau haben.»
Rudolf Minsch ist nicht einverstanden mit Bundesrat Berset, der
die Kantone im Zweifel auf eine zweite Landessprache in der Primarschule
verpflichten will. Er sagt: «Die Sprachen sind Sache der Kantone. Die Frage des
Frühfranzösisch ist schon genug aufgeladen mit politischer Symbolik – da
bringt es nichts, wenn sie der Bundesrat auch noch zu einer nationalen
Angelegenheit macht.»
Die Debatte um das Frühfranzösisch ist seit ihrem Anfang auch ein
Streit über Kultur und Erziehung: Sollen die Kinder auf die Schweiz vorbereitet
werden oder auf die Welt?
Minsch will nicht sagen, dass Englisch die unbestrittene Sprache
der Wirtschaft sei – es wäre in diesem Land eine ausgesprochen politische Antwort.
Aber dann sagt er doch einen Satz, der das Verhältnis der Wirtschaft zu den
beiden Sprachen ordnet: «Französisch ist wichtig. Und Englisch ist heutzutage
wie Velofahren: Das muss man einfach können.»
Französisch ist aus Sicht der Deutschschweizer Wirtschaft eine
Fremdsprache, Englisch eine Standardsprache.
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Mathe
In der Bildungskommission von Economiesuisse diskutierten Minsch
und seine Leute darüber, welche Sprache zuerst unterrichtet werden solle an
Schweizer Primarschulen, Englisch oder eine zweite Landessprache. Die
Kommission war gespalten in zwei Lager, sagt Rudolf Minsch – die Frontlinie
aber sei nicht dem Röstigraben entlang verlaufen. Es ging um die persönliche
Haltung. «Die Kommission ist wahrscheinlich ein ziemlich exaktes Abbild des
Landes», sagt Minsch.
In einem Papier zu der Debatte, das sein Verband im vergangenen
Jahr veröffentlichte, steht «zusammenfassend»: Die Ausbildung in Mathematik
muss stärker priorisiert werden. Es ist eine Sprache ohne Grenzen.
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