Was hält die Schweiz im
Inneren zusammen? Verfolgt man jüngste Diskussionen um den
Fremdsprachenunterricht in der Primarschule, so kann man nur zu einem Schluss
kommen: Es ist das Erlernen einer zweiten Landessprache noch vor der Oberstufe.
Sollte Englisch die einzige Fremdsprache sein, mit der unsere Kinder in den
ersten sechs Schuljahren konfrontiert werden, drohe früher oder später die
Implosion der Eidgenossenschaft. Zum Glück stemmt sich der Bundesrat dem mit
seiner geplanten Änderung des Sprachengesetzes dagegen – so der Eindruck.
Bye-bye Frühfranzösisch, Ostschweiz am Sonntag, 10.8. von Fabian Schnell
Es ist eine Tatsache,
dass beim Thema Fremdsprachenunterricht die Emotionen
hochkochen. Etwas
Abkühlung täte not. Zuerst aber sollte man sich in Erinnerung rufen, dass der
Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe eine eher junge Erfindung ist. So
gehörte der Schreibende vor rund zwanzig Jahren im Kanton Zürich zu den ersten,
die vom frühen Französischunterricht ab der 5. Klasse profitieren sollten. Der
Konjunktiv sagt alles über die Nachhaltigkeit dieser Erfahrung aus. Viel
wichtiger ist doch, dass der nationale Zusammenhalt zwischen den Sprachregionen
offensichtlich auch ohne Unterricht der Landessprache auf Primarschulstufe seit
Jahrhunderten Bestand hat.
Vor diesem Hintergrund
scheint der Angriff auf die Bildungshoheit der Kantone unverhältnismässig.
Besonders stossend ist die Drohkulisse, die das Innendepartement gegenüber den
Kantonen aufbaut. Die Kompetenz in Bildungsfragen bliebe zwar bei den Kantonen,
so der Bundesrat, aber wer nicht «freiwillig» eine Landessprache in der
Primarschule unterrichte, würde per Bundesgesetz dazu gezwungen. Man fühlt sich
an ein Bonmot von Henry Ford erinnert: «Jeder Kunde kann sein Auto in einer
beliebigen Farbe lackiert bekommen, solange sie schwarz ist.»
Die Begrenzung der
Kantonshoheit wird – neben staatspolitischen Argumenten – mit dem Abbau von
Mobilitätshindernissen begründet. Nur lässt sich mit diesem Argument fast jede
kantonale Kompetenz in Abrede stellen. Es gehört zum Wesen des Föderalismus,
dass regionale Unterschiede ausgehalten werden. Nur so sind
«Trial-and-Error»-Verfahren möglich und nur so kann wirklicher Wettbewerb
zwischen den Gliedstaaten entstehen. Natürlich ist es für betroffene Kinder
anstrengend, ein Schulsystem zu wechseln, doch dies würde zum Beispiel auch bei
einem Wegzug ins Ausland gelten. Die Erfahrung zeigt ohnehin, dass Schülerinnen
und Schüler viel anpassungsfähiger sind, als die Politik glaubt. Eine staatlich
verordnete Sprachenregulation negiert bis zu einem gewissen Teil die Flexibilität
und Lernfähigkeit der jungen Generation.
Unterschiedliche Zielsetzungen
Auch bei einem
Festhalten an der kantonalen Bildungshoheit lohnt sich eine kritische
Auseinandersetzung mit dem aktuellen Konzept des Fremdsprachenunterrichts. Es
ist wohl unbestritten, dass am Ende der obligatorischen Schulzeit jeder
Deutschschweizer Jugendliche über Grundkenntnisse mindestens einer weiteren
Landessprache (in der Regel Französisch, wobei es aus staatspolitischer Sicht
wünschbar wäre, alternativ Italienisch wählen zu können) und Englisch verfügen
sollte. Allerdings müssten die Ziele des Unterrichts in diesen beiden Sprachen
stärker differenziert werden. So haben viele Schülerinnen und Schüler zu
Englisch (als neue «Lingua franca») einen leichteren Zugang. Die Sprache ist
alltagsprägend und wird in der Berufswelt meistens stillschweigend
vorausgesetzt. Diese starke Präsenz erhöht natürlich auch die Motivation für
den Englischunterricht bereits für kleinere Kinder. Der Fokus des Unterrichts
sollte allerdings auf der Sprachnutzung als Basis für die Kommunikation mit dem
Rest der Welt liegen. Der kulturelle Hintergrund des angelsächsischen
Sprachraums steht im Unterricht nicht im Vordergrund, die Vernetzung ergibt
sich in der globalisierten Welt quasi von selbst. Diese Argumente sprechen
dafür, Englisch schon früh in der Primarschule in den Unterricht zu
integrieren.
Der Unterricht in der
zweiten Landessprache hätte hingegen einen anderen Auftrag. Er sollte das
kulturelle Verständnis für einen anderen Landesteil fördern. Natürlich müssen
das Erlernen der Sprache und die Möglichkeit zur Kommunikation primäre Ziele
sein, doch spielt der Bezug zu Literatur, Lebensweise und Kultur eine viel
grössere Rolle. Entsprechend sollten sich die verwendeten Lehrmittel auf den
jeweiligen Schweizer Landesteil statt auf Frankreich oder Deutschland
konzentrieren. Eine derart differenzierte Auslegung des Lernziels für die
Landesfremdsprache spricht dafür, den Unterricht eher in die Oberstufe zu
verlegen, denn das Verständnis der kulturellen Dimension verlangt eine gewisse
Reife. Im Gegenzug könnte der Unterricht ausgebaut und mit einem mehrwöchigen
Austausch in der jeweils anderen Sprachregion – auch etwas, das während der
Primarschule noch nicht möglich ist – kombiniert werden.
Ruft man sich in
Erinnerung, dass ein Viertel der Bündner und ein Fünftel der Genfer noch nie in
anderen Sprachregionen der Schweiz waren, würde eine solche Ausgestaltung des
Sprachunterrichts wohl wesentlich mehr zum gegenseitigen Verständnis beitragen
als jede Französischstunde in der Primarschule. Die Pläne des Kantons Thurgau
gehen übrigens in eine ähnliche Richtung – so man ihn denn lässt.
Wenig kohäsionsfördernd
Der Zusammenhalt
zwischen den Sprachregionen und das interkulturelle Verständnis sind
Errungenschaften, auf die die Schweiz stolz sein kann. Viele mehrsprachige
Länder schauen mit einem gewissen Neid auf die Funktionsfähigkeit unseres
Staats. Dass diesem Zusammenhalt Sorge getragen werden muss und dass er während
der schulischen Ausbildung Beachtung finden soll, steht ausser Frage. Die
Versteifung auf die Frage des Startzeitpunkts für den Sprachunterricht trägt
jedoch wenig zur pädagogischen Kohäsion bei. Im Gegenteil: Sie verhindert
bessere und kreativere Lösungen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass
der Bund genau diese mit einem Angriff auf den Föderalismus – einem zentralen
Erfolgsfaktor für das Miteinander der Sprachregionen – zu verhindern sucht.
Fabian Schnell ist Leiter des Forschungsbereichs Smart Government bei Avenir suisse
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