18. August 2016

Positive Auswirkungen einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung

Forscher untersuchen seit 2004, wie sich das Verhalten von 1400 Zürcher Schulkindern entwickelt. Dabei zeigte sich, dass Schüler, die eine gute Beziehung zur Lehrperson haben, sich rücksichtsvoller, mitfühlender und weniger aggressiv verhalten.
Weniger aggressiv dank guter Beziehung zum Lehrer, Aargauer Zeitung, 10.8. von Matthias Scharrer


Sie waren erst etwa sieben Jahre alt, als die Studie über sie begann. Mittlerweile sind über zehn Jahre vergangen und aus den Kindern Jugendliche geworden. Immer wieder füllten sie umfangreiche Fragebögen aus, erst jährlich, dann alle zwei Jahre, zuletzt 2015. Darin standen Fragen wie: «Wenn jemand traurig war oder weh hatte, wie oft hast du versucht, ihn zu trösten?» Oder: «Wie häufig hast du andere Menschen geschlagen, gebissen oder getreten?» Auch ihre Lehrkräfte und Eltern wurden befragt.
Die Rede ist von über 1400 Stadtzürcher Schulkindern, an denen seit dem Jahr 2004 die Entstehung von Gewalt erforscht wird. Z-Proso heisst die entsprechende Studie. Nun hat ein Forscherteam um den Zürcher ETH-Soziologen Manuel Eisner, der heute Professor an der Universität Cambridge ist, die Daten ausgewertet, um den Einfluss der Schüler-Lehrerbeziehung auf mögliches Problemverhalten von Schülern zu erforschen.
Das Ergebnis ist zunächst wenig überraschend: Wer eine gute Beziehung zur Lehrperson hat, verhält sich rücksichtsvoller, mitfühlender und weniger aggressiv. «Im Durchschnitt zeigten Schüler mit einer positiven Lehrer-Beziehung 18 Prozent mehr prosoziales Verhalten und bis zu 38 Prozent weniger aggressives Verhalten als Schüler, die ambivalent oder negativ ihrer Lehrperson gegenüberstanden», heisst es in einer gestern veröffentlichten Mitteilung der ETH Zürich.
«Dass die Beziehung zur Lehrperson das soziale Verhalten der Schüler beeinflusst, hatten wir erwartet», so Studienleiter Eisner. «Unerwartet ist jedoch, wie stark diese Beziehung das Verhalten der Kinder beeinflusst.»

Effekt auch nach Lehrerwechsel

So liess sich der bei Zehnjährigen festgestellte positive Effekt einer guten Schüler-Lehrer-Beziehung auch bis zu vier Jahre später noch nachweisen – obwohl dazwischen, wie an Zürcher Primarschulen beim Übergang von der dritten in die vierte Klasse üblich, ein Lehrerwechsel stattfand.
Die Forscher kommen zum Schluss, dass ein gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis mindestens so stark zu einem positiven Verhalten beiträgt wie die gängigen Gewaltpräventionsprogramme. «Diese Programme sind sehr gut und aus unserer Sicht unverzichtbar», so Eisner. «Unsere Resultate sollten aber in die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften einfliessen – damit macht man effektive Gewaltprävention.»
Inwiefern an den Schulen und in der Lehrerausbildung bereits auf eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung fokussiert werde, sei ihm nicht bekannt, räumt Eisner auf Nachfrage ein. Und fügt an: «Es gibt innerhalb der Schulen die Möglichkeit, das stärker zu unterstützen. Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist das wichtiger als Strafen.» Als Beispiel nennt er den Beizug von Schulpsychologen, Sozialarbeitern oder anderen Lehrpersonen durch Lehrer, die zu einzelnen Schülern keinen guten Draht finden. Laut der Studie gibt es bereits einige Präventionsprogramme, die auf die Stärkung der Schüler-Lehrer-Beziehung abzielen.
Allerdings seien diese auf den Kindergarten oder in die Vorschule ausgerichtet. An entsprechenden Programmen für Lehrkräfte von heranwachsenden Jugendlichen mangle es aber. Stattdessen würden Schulen oftmals Schüler, die Probleme machen, ausschliessen oder anderweitig strafen.
Je mehr die Kinder ins Pubertätsalter kommen, um so problematischer wird laut Eisner das Verhältnis Schüler-Lehrer: So hätten bei den Zehnjährigen noch 90 Prozent der Befragten ihr Verhältnis zur Lehrperson als «sehr gut» oder «ziemlich gut» bezeichnet. Bei den 15-Jährigen bemängelten gegen 20 Prozent die Qualität ihrer Beziehung zur Lehrperson.

Einfluss auch auf die Leistung

Auf die Studie angesprochen, sagt Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV): «Das Ergebnis überrascht mich nicht.» Auch die schulischen Leistungen von Schülern mit einer guten Beziehung zur Lehrperson seien besser. Erst kürzlich habe der ZLV an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) eine Weiterbildung zu diesem Thema gesponsert.
Doch mit Aus- und Weiterbildung allein sei es nicht getan: Mit entscheidend für gute Schüler-Lehrer-Beziehungen seien die Klassengrössen. «Die Klassen sollten nicht zu gross sein», betont Lätzsch. Die durchschnittlichen Klassengrössen seien gegenwärtig zwar akzeptabel, doch in einzelnen Gemeinden gebe es Ausreisser.
Zudem komme es stark auf die Zusammensetzung der jeweiligen Klasse an: «Man müsste vermehrt auf Klassen mit schwierigen Kindern eingehen», fordert die ZLV-Präsidentin. Der ZLV empfehle beispielsweise, solche Schüler vorübergehend in «Lernzentren» zu schicken. Schulhausintern würden in den Stadtzürcher Schulen alle ein bis zwei Wochen die pädagogischen Teams zusammenkommen, um sich über Problemfälle auszutauschen.

100 Klassenlehrerstunden

Auch für die Pädagogische Hochschule Zürich und das kantonale Volksschulamt (VSA) ist das Thema der Studie nicht neu: «Der Aufbau einer starken Lehrer-Schüler-Beziehung ist ein zentrales Thema während der ganzen Ausbildung an der PH Zürich und danach bei der Ausübung des Berufs im Schulfeld», betont PHZH-Rektor Heinz Rhyn.
Und die stellvertretende VSA-Chefin Brigitte Mühlemann verweist darauf, dass die Klassenlehrerfunktion gestärkt werden soll, indem ab 2017 pro Klasse und Schuljahr 100 Stunden für die Klassenlehrerfunktion zur Verfügung stehen. Auch mit der Reduktion der Anzahl Lehrpersonen pro Klasse sollen die Schüler-Lehrer-Beziehungen gestärkt werden.


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