Jeder Schüler absolviert ein Semester jenseits der Sprachgrenze: Das
wäre eine sympathische Vision. Doch es gibt viele praktische Hürden.
Keine Abkehr vom Trockenschwimmen beim Spracherwerb, NZZ, 18.7. von Hansueli Schöchli
Eine Vision illustriert das Potenzial: Jeder Schüler absolviert während
seiner obligatorischen Schulzeit ein Semester jenseits der Sprachgrenze. Die
Schüler, so lässt sich hoffen, wären langfristig mit guten Kenntnissen einer
zweiten Landessprache «imprägniert» – vom Wachstum der Persönlichkeit und des
Kulturverständnisses ganz abgesehen. Die vergleichsweise unbedeutende Frage, ob
die Schüler ein paar Jahre früher oder später mit einigen Wochenstunden
Unterricht zu einer ersten bzw. zweiten Fremdsprache beginnen sollen, würde zum
Detail degradiert.
Kurz- statt langfristig
Doch die Schweiz bzw. die Kantone haben noch nicht einmal angefangen, in
diese Richtung zu denken. Es gibt zwar den Schüleraustausch über die
Sprachgrenzen, und die Kantone wollen diesen zahlenmässig ausbauen. Doch der
Schwerpunkt (etwa im Rahmen der von den Kantonen getragenen «ch»-Stiftung bzw.
der geplanten Nachfolgeorganisation) liegt im kurzfristigen Austausch von
einigen Tagen bis zwei Wochen. Solche Programme sind eine gute Sache, doch man
darf laut Beteiligten sprachlich und kulturell nicht allzu viel davon erwarten;
im besten Fall bekommen die Schüler Lust auf mehr.
Es gibt vor allem auf Stufe Gymnasium gewisse Schulpartnerschaften mit
längerfristigem Austausch. Früher setzt der Kanton Freiburg an: Schüler können
nach Beendigung der obligatorischen Schulzeit und vor dem Beginn von Lehre oder
Gymnasium quasi ihr vorangegangenes Schuljahr in einem anderen Sprachraum
wiederholen. Laut Projektkoordinator Bernard Dillon machen pro Jahr rund 200
Schüler mit. Die Erfahrungen seien positiv, doch wissenschaftliche Evaluationen
gebe es bis jetzt nicht. Der kantonalbernische Austauschkoordinator Thomas
Raaflaub verweist derweil auf ein Minimalprogramm mit einem Austauschjahr von
jährlich etwa einem Dutzend Schülern einiger Gemeinden: Diese Schüler «kommen
praktisch bilingue zurück».
Die «ch»-Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit erhält zuweilen
Anfragen von Eltern über einen längerfristigen Austausch während der
obligatorischen Schulzeit. Jährlich machen etwa zehn Schüler ein solches
Fremdsprachenjahr. Für die Schüler sei dies eine «sehr gute Erfahrung», doch
das Aufgleisen sei «mühsam», heisst es bei der Stiftung. Die Kosten, der
Widerstand der Schulen und das Finden von Gastfamilien gelten als typische
Hürden. Diese Faktoren geben auch Hinweise zu den Fragen, weshalb in der
Schweiz ein Fremdsprachensemester während der obligatorischen Schulzeit nicht
schon seit Jahrzehnten zum Standard gehört.
Zu den meistgenannten Hindernissen zählen die Finanzen, die Schulen (wie
holen die Schüler Verpasstes wieder auf?), das Alter (manche 15-Jährige mögen
dafür noch «zu jung» sein), Akzeptanzprobleme bei den Eltern und ein Mangel an
Gastfamilien. Hinzu kommt das Massenproblem: Würden die meisten Schüler mitmachen,
gäbe dies jährlich vielleicht etwa 80 000 Teilnehmer. Das würde das Eintauchen
in die fremde Sprache und Kultur erschweren. Zudem würden einer grossen Gruppe
von Deutschschweizer Schülern weit kleinere Gruppen aus der lateinischen
Schweiz gegenüberstehen.
Der Zeit voraus
So fehlt es nicht an Argumenten, warum «es nicht geht». Das müsste aber
kein Grund sein, nicht verstärkt in diese Richtung zu denken und zu
experimentieren. Verschiedenste Zwischenvarianten sind denkbar: etwa zwei
Monate mit Sommer-Vorbereitungskurs statt ein ganzes Semester, 10 Prozent statt
100 Prozent aller Schüler als Zielwert oder Lehreraustausch statt
Schüleraustausch.
Im Bericht wird die "CH-Stiftung" als Organisatorin von Austauschprogrammen erwähnt. Eine Studie hat festgestellt, dass 87 Prozent der finanziellen Mittel in der Verwaltung versickern.
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