In ersten Reaktionen zeigen die Kantone wenig Verständnis für das
Vorgehen des Bundesrats in der Sprachendiskussion. Sie sprechen von einem
Eingriff ins föderalistische Staatssystem.
Kantone kritisieren den Bundesrat - ein Referendum droht, NZZ, 7.7. von Jörg Krummenacher, Erich Aschwanden und Peter Jankovsky
Appenzell Innerrhoden, Uri, vorläufig noch der Aargau und ab 2018 der
Thurgau: Das sind jene Deutschschweizer Kantone, die
sich nicht an die «Regel» von zwei Fremdsprachen in der Primarschule halten. Im
Fokus steht insbesondere der Thurgau, hat der Grosse Rat doch im August 2014
beschlossen, den Französischunterricht von der Primarschule in die
Sekundarschule zu verschieben. Die Vernehmlassung zum neuen Thurgauer Lehrplan
ist nun Ende Juni abgeschlossen worden. Nichts deutet darauf hin, dass sich am
Ende von Frühfranzösisch ab 2018 etwas ändert.
Harmonisierung auf gutem Weg
Entsprechend überrascht und enttäuscht zeigt sich die Thurgauer
Regierungspräsidentin und Erziehungsdirektorin Monika Knill über den Entscheid
des Bundesrats, eine Vernehmlassung zur Harmonisierung des Sprachenunterrichts
durchzuführen: «Mit diesem Schritt greift der Bund unverhältnismässig in die
Bildungshoheit der Kantone und in unser föderales Staatssystem ein.» Die
Kantone seien in Sachen Harmonisierung der Volksschule gut unterwegs. Knill verweist dabei auf das
Schreiben, das die Schweizerische Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren (EDK) vor zwei Wochen an Alain Berset gesandt hat. Es sei
nun zu hoffen, hält Monika Knill fest, «dass sich die Kantone und die EDK
vehement gegen den Eingriff des Bundes in die Bildungshoheit der Kantone wehren
werden».
Gute Französisch-Kompetenzen
Auch für Appenzell Innerrhoden, das die Regelung mit Englisch in der
Primarschule und Französisch in der Sekundarschule seit fünfzehn Jahren kennt,
kommt das Vorgehen des Bundesrats überraschend. Landammann und
Erziehungsdirektor Roland Inauen sieht ebenso wie der Thurgau keinen Anlass,
dass der Bund das Heft in die Hand nimmt. Inauen ist überzeugt, dass die
Innerrhoder Schüler die verlangten Französisch-Kompetenzen bis zum Ende der
Schulzeit bestens erwerben. Ebenso überzeugt ist er, dass gegen eine allfällige
Gesetzesrevision des Bundes das Referendum «so gut wie sicher» wäre.
Inauen hatte sich bereits an der Landsgemeinde Ende April mit deutlichen
Worten gegen einen «massiven Eingriff des Bundes in die verfassungsmässigen
Rechte der Kantone» gewehrt. Es sei Sache des Bundes, die bildungspolitischen
Ziele zu setzen, nicht aber, den Weg vorzugeben.
Nidwaldner gegen Initiative
Bestrebungen, vom Frühfranzösisch abzurücken, gibt es in weiteren
Kantonen. Nur in Nidwalden konnte sich bisher das Volk an der Urne zu dieser
umstrittenen Frage äussern. Insbesondere in der Westschweiz war die
Erleichterung gross, als die Nidwaldner im März 2015 eine Initiative der SVP ablehnten,
die nur eine Fremdsprache in der Primarschule forderte. Mit 61,7 Prozent
Nein-Stimmen fiel das Resultat sogar noch deutlicher aus, als dies im Vorfeld
erwartet worden war. Auch die Regierung hatte das Volksbegehren zur Annahme
empfohlen.
Die nächste Abstimmung in der Innerschweiz steht bereits an. Gegen den
Willen des Luzerner Regierungsrates hat der Kantonsrat das Volksbegehren «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe» für
gültig erklärt. Die Regierung muss nun eine Botschaft ausarbeiten. Wann das
Volk über die Volksinitiative im Kanton Luzern abstimmen wird, steht noch nicht
fest. Auch in Zürich ist eine entsprechende Initiative hängig.
Heikle Fragen in Graubünden
Ein Gezerre um den Unterricht in Fremdsprachen findet auch in Graubünden
statt – dem einzigen Kanton mit drei nationalen Sprachgruppen. Im November 2013
hat eine Gruppe von Deutschbündner Lehrern und Wirtschaftsleuten erfolgreich
die kantonale Volksinitiative «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule»
lanciert. Viele Volksschüler seien mit dem gleichzeitigen Unterricht in einer
Landessprache und Englisch überfordert, so die Argumentation. Dies wirke sich
negativ auf die Beherrschung der eigenen Muttersprache aus und habe unter Umständen
auch nachteilige Folgen im späteren Berufsleben.
Der Bündner Grosse Rat erklärte jedoch im April 2015 die Vorlage für
ungültig, weil sie kantonales und Bundesrecht verletze. Dagegen rekurrierten
die Initianten beim kantonalen Verwaltungsgericht, das ihnen im vergangenen Mai
recht gab. Die Richter konnten keinen offensichtlichen Verstoss gegen
übergeordnetes Recht entdecken, bezeichneten die Vorlage als gültig und gaben
Hinweise für deren konkrete Umsetzung – zum Missfallen des Bündner Erziehungsdirektors,
der von viel zu teuren Massnahmen und einer Diskriminierung der Bündner
Sprachminderheiten spricht. Denn während die deutschsprachige Mehrheit der
Bündner Grundschüler sich ausschliesslich dem Frühenglisch widme, hätten die
italienisch- und romanischsprachigen Kinder gar keinen Englischunterricht. Der
Interessenverein Pro Grigioni Italiano wiederum erblickt in der
Fremdsprachen-Initiative auch eine Abwertung der Minderheitensprachen in
Deutschbünden und hat beim Bundesgericht eine Einsprache eingereicht, die noch
hängig ist.
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