7. Juli 2016

Referendum "so gut wie sicher"

In ersten Reaktionen zeigen die Kantone wenig Verständnis für das Vorgehen des Bundesrats in der Sprachendiskussion. Sie sprechen von einem Eingriff ins föderalistische Staatssystem.
Kantone kritisieren den Bundesrat - ein Referendum droht, NZZ, 7.7. von Jörg Krummenacher, Erich Aschwanden und Peter Jankovsky
 
Appenzell Innerrhoden, Uri, vorläufig noch der Aargau und ab 2018 der Thurgau: Das sind jene Deutschschweizer Kantone, die sich nicht an die «Regel» von zwei Fremdsprachen in der Primarschule halten. Im Fokus steht insbesondere der Thurgau, hat der Grosse Rat doch im August 2014 beschlossen, den Französischunterricht von der Primarschule in die Sekundarschule zu verschieben. Die Vernehmlassung zum neuen Thurgauer Lehrplan ist nun Ende Juni abgeschlossen worden. Nichts deutet darauf hin, dass sich am Ende von Frühfranzösisch ab 2018 etwas ändert.

Harmonisierung auf gutem Weg
Entsprechend überrascht und enttäuscht zeigt sich die Thurgauer Regierungspräsidentin und Erziehungsdirektorin Monika Knill über den Entscheid des Bundesrats, eine Vernehmlassung zur Harmonisierung des Sprachenunterrichts durchzuführen: «Mit diesem Schritt greift der Bund unverhältnismässig in die Bildungshoheit der Kantone und in unser föderales Staatssystem ein.» Die Kantone seien in Sachen Harmonisierung der Volksschule gut unterwegs. Knill verweist dabei auf das Schreiben, das die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vor zwei Wochen an Alain Berset gesandt hat. Es sei nun zu hoffen, hält Monika Knill fest, «dass sich die Kantone und die EDK vehement gegen den Eingriff des Bundes in die Bildungshoheit der Kantone wehren werden».

Gute Französisch-Kompetenzen
Auch für Appenzell Innerrhoden, das die Regelung mit Englisch in der Primarschule und Französisch in der Sekundarschule seit fünfzehn Jahren kennt, kommt das Vorgehen des Bundesrats überraschend. Landammann und Erziehungsdirektor Roland Inauen sieht ebenso wie der Thurgau keinen Anlass, dass der Bund das Heft in die Hand nimmt. Inauen ist überzeugt, dass die Innerrhoder Schüler die verlangten Französisch-Kompetenzen bis zum Ende der Schulzeit bestens erwerben. Ebenso überzeugt ist er, dass gegen eine allfällige Gesetzesrevision des Bundes das Referendum «so gut wie sicher» wäre.
Inauen hatte sich bereits an der Landsgemeinde Ende April mit deutlichen Worten gegen einen «massiven Eingriff des Bundes in die verfassungsmässigen Rechte der Kantone» gewehrt. Es sei Sache des Bundes, die bildungspolitischen Ziele zu setzen, nicht aber, den Weg vorzugeben.

Nidwaldner gegen Initiative
Bestrebungen, vom Frühfranzösisch abzurücken, gibt es in weiteren Kantonen. Nur in Nidwalden konnte sich bisher das Volk an der Urne zu dieser umstrittenen Frage äussern. Insbesondere in der Westschweiz war die Erleichterung gross, als die Nidwaldner im März 2015 eine Initiative der SVP ablehnten, die nur eine Fremdsprache in der Primarschule forderte. Mit 61,7 Prozent Nein-Stimmen fiel das Resultat sogar noch deutlicher aus, als dies im Vorfeld erwartet worden war. Auch die Regierung hatte das Volksbegehren zur Annahme empfohlen.

Die nächste Abstimmung in der Innerschweiz steht bereits an. Gegen den Willen des Luzerner Regierungsrates hat der Kantonsrat das Volksbegehren «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe» für gültig erklärt. Die Regierung muss nun eine Botschaft ausarbeiten. Wann das Volk über die Volksinitiative im Kanton Luzern abstimmen wird, steht noch nicht fest. Auch in Zürich ist eine entsprechende Initiative hängig.

Heikle Fragen in Graubünden
Ein Gezerre um den Unterricht in Fremdsprachen findet auch in Graubünden statt – dem einzigen Kanton mit drei nationalen Sprachgruppen. Im November 2013 hat eine Gruppe von Deutschbündner Lehrern und Wirtschaftsleuten erfolgreich die kantonale Volksinitiative «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule» lanciert. Viele Volksschüler seien mit dem gleichzeitigen Unterricht in einer Landessprache und Englisch überfordert, so die Argumentation. Dies wirke sich negativ auf die Beherrschung der eigenen Muttersprache aus und habe unter Umständen auch nachteilige Folgen im späteren Berufsleben.

Der Bündner Grosse Rat erklärte jedoch im April 2015 die Vorlage für ungültig, weil sie kantonales und Bundesrecht verletze. Dagegen rekurrierten die Initianten beim kantonalen Verwaltungsgericht, das ihnen im vergangenen Mai recht gab. Die Richter konnten keinen offensichtlichen Verstoss gegen übergeordnetes Recht entdecken, bezeichneten die Vorlage als gültig und gaben Hinweise für deren konkrete Umsetzung – zum Missfallen des Bündner Erziehungsdirektors, der von viel zu teuren Massnahmen und einer Diskriminierung der Bündner Sprachminderheiten spricht. Denn während die deutschsprachige Mehrheit der Bündner Grundschüler sich ausschliesslich dem Frühenglisch widme, hätten die italienisch- und romanischsprachigen Kinder gar keinen Englischunterricht. Der Interessenverein Pro Grigioni Italiano wiederum erblickt in der Fremdsprachen-Initiative auch eine Abwertung der Minderheitensprachen in Deutschbünden und hat beim Bundesgericht eine Einsprache eingereicht, die noch hängig ist.

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