7. Juli 2016

Drohkulisse

Im Streit um den Fremdsprachenunterricht baut Alain Berset eine Drohkulisse auf. Falls sich die Kantone nicht an ihre eigenen Regeln halten, wird er intervenieren. Dabei könnte viel schieflaufen, mahnen die Erziehungsdirektoren.
Bersets heikler Eingriff im Sprachenstreit, NZZ, 7.7. von Christof Forster


Es ist ein vermintes Terrain, auf das sich Innenminister Alain Berset begibt. In der Sprachenfrage sind mit dem nationalen Zusammenhalt, dem Föderalismus und dem Subsidiaritätsprinzip zentrale Pfeiler der Schweiz tangiert. In der Westschweiz wird genau beobachtet, welchen Stellenwert die Sprache der Minderheit in den Deutschschweizer Kantonen einnimmt. So war die Freude in der Romandie gross, als das Nidwaldner Stimmvolk 2015 ein deutliches Signal für Frühfranzösisch sendete. Irritationen löst hingegen die Absicht des Kantons Thurgau aus, Französisch in der Primarschule zu streichen. Die Thurgauer Regierung pocht indes auf die kantonale Kompetenz in der Bildung und beklagt das geplante Eingreifen des Bundes.

Drei Varianten
Mit der am Mittwoch präsentierten Revision des Sprachengesetzes will der Bundesrat eine Drohkulisse gegenüber den Kantonen aufbauen. Die Botschaft lautet: Haltet euch an die Regeln, die ihr selber vereinbart habt. In erster Linie ist sie an den abtrünnigen Kanton Thurgau gerichtet, aber auch an Uri und Appenzell Innerrhoden, die das Modell 3/5 noch nicht umgesetzt haben. Dieses sieht vor, dass die erste Fremdsprache ab der 3. Primarklasse und die zweite ab der 5. Primarklasse unterrichtet wird.

Der Bundesrat setzt mit der Vorlage zudem ein Zeichen gegenüber den Kantonen Basel-Landschaft, Glarus, Graubünden, Luzern, St. Gallen und Zürich, in denen Initiativen (in Glarus der Regierungsrat) den Unterricht einer zweiten Fremdsprache in der Primarschule infrage stellen. Dabei ist – meist implizit – Französisch gemeint.

Der Bundesrat will vorschreiben, dass der Unterricht in Französisch beziehungsweise Deutsch bereits in der Primarschule beginnt. Er stellt dabei drei Varianten zur Diskussion, die den Kantonen unterschiedlich viel Spielraum lassen. Vorschlag 1 sieht vor, dass der Unterricht in der zweiten Landessprache spätestens ab dem 5. Primarschuljahr beginnen muss. Variante 2 verankert das Modell 3/5 des Harmos-Konkordates im Sprachengesetz. Darauf haben sich die Kantone 2004 geeinigt. 2014 bestätigten sie den Entscheid.
Der Bundesrat bevorzugt Variante 3, die am wenigsten stark in die Kompetenz der Kantone eingreift. Sie legt fest, dass der Unterricht in der zweiten Landessprache in der Primarschule beginnt und bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit dauern muss.

Die Kantone seien für die Bildung zuständig, aber im Rahmen der Bundesverfassung, sagte Berset vor den Medien. Föderalismus bedeute nicht, dass jeder Kanton machen könne, was er wolle, ohne die Auswirkungen auf das Land zu berücksichtigen. Berset verwies auf die Förderung der Mehrsprachigkeit und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften, die dem Bundesrat ein Anliegen seien. «Die Frage, ob man sich gegenseitig wirklich versteht, ist in einem Land wie der Schweiz von eminenter Bedeutung», sagte der Innenminister.

Schwierige Diskussionen
Der angedrohte Eingriff des Bundes ist nicht im Sinne der kantonalen Erziehungsdirektoren. Die Kantone seien enttäuscht, dass ihr grosser Aufwand zur Schulharmonisierung nicht gewürdigt werde, sagt Christoph Eymann, Präsident der kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Über 20 Kantone hätten das Modell 3/5 umgesetzt. Er sieht deshalb die Verhältnismässigkeit für eine Bundesregelung nicht gegeben. Eymann warnt vor schwierigen Diskussionen im Parlament und im Vorfeld einer Volksabstimmung. «Es kann dabei sehr viel schieflaufen.»

Die Vorlage ist bis Mitte Oktober in der Vernehmlassung. Lenken die fraglichen Kantone nicht ein, soll die Gesetzesrevision bereits 2017 in Kraft treten. Dann könnte dem Kanton Thurgau die Verschiebung von Französisch in die Sekundarstufe untersagt werden. Doch vorerst hofft Berset auf eine gütliche Einigung: «Der Bundesrat würde es vorziehen, nicht eingreifen zu müssen.»


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