2. Juli 2016

Quereinsteiger sind die besseren Lehrer

Belastbarer, zufriedener und mit realistischeren Vorstellungen vom Berufsalltag: Gemäss einer Studie der Pädagogischen Hochschule Bern sind Quereinsteiger die besseren Lehrer.

Quereinsteiger sind belastungsresistenter, Bild: Keystone
Lehrer: Quereinsteiger sind zufriedener, Berner Zeitung, 2.7. von Marius Aschwanden
In den nächsten fünf Jahren werden im Kanton Bern massiv mehr Lehrer pensioniert als heute. ­Dazu, dem dadurch drohenden Lehrermangel entgegenzuwirken, müssen entweder die verbleibenden Lehrer ihre Pensen erhöhen oder mehr Lehrer aus­gebildet werden.
Immer häufiger werden an der Pädagogischen Hochschule (PH) Bern deshalb auch Quereinsteiger, die bereits einen Beruf erlernt haben, für die Arbeit im Klassenzimmer fit gemacht. Zahlen für die gesamte PH existieren zwar nicht. Aber am Institut für Vorschulstufe und Primarstufe beispielsweise haben rund ein Fünftel der Studierenden vorgängig bereits einen Beruf erlernt.

Besser gewappnet
Wie eine Studie der PH nun zeigt, sind solche Lehrer sogar besser gewappnet für ihre künftige Arbeit an den Schulen als ihre Kollegen, die direkt nach dem Gymnasium oder einer anderen Hochschule an der PH studieren.
Zwar sind 70 Prozent der Lehrkräfte sowohl mit als auch ohne vorherige Berufserfahrung nach sieben bis zehn Jahren noch an der Volksschule tätig. Personen, die auf dem zweiten Bildungsweg Lehrer werden, sind aber nicht nur zufriedener, sie fühlen sich gemäss der Studie durch Elterngespräche oder das Unterrichten auch weniger belastet als ihre Kollegen.

Verschiedene Gründe
Gemäss Studienleiterin Cathe­rine Bauer vom Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation der PH hat dies verschiedene Gründe: «Einerseits hängt das mit dem höheren Alter sowie der Berufs- und Lebenserfahrung zusammen», sagt sie. So würden viele Quereinsteiger von Fach- und Methodenwissen sowie Kommunikationsfähigkeiten aus ihren früheren Tätigkeiten profitieren.

Andererseits investierten Quereinsteiger auch mehr Zeit und Aufwand in die Lehrerausbildung, da sie häufig auch noch einen Vorkurs vor der Aufnahmeprüfung machen. «Das führt zu einer zusätzlichen Selektion, die beim normalen Ausbildungsweg nicht stattfindet», sagt Bauer.

Mehr Männer als Frauen
Keine abschliessende Erklärung hat Bauer hingegen für die Tatsache, dass bei den Quereinsteigern – anders als im normalen PH-Studium – mit 60 Prozent die Männer dominieren. «Möglicherweise trauen sich Männer eher einen Berufswechsel zu als Frauen», spekuliert Bauer.

Nicht zuletzt deshalb seien die Quereinsteiger eine attraktive Zielgruppe für die PH. So könne das Geschlechterverhältnis an den Berner Volksschulen wenigstens ein bisschen verbessert werden. Seit Jahren dominieren dort die Frauen, nicht zuletzt aufgrund der vielen Kleinstpensen.

Unterschiede zeigt die Studie schliesslich auch bei jenen 30 Prozent, die nach sieben bis zehn Jahren nicht mehr als Lehrer tätig sind. «Erstberufler gaben als Ausstiegsgrund häufig die Komplexität des Berufs an», sagt ­Bauer. Sie seien etwa davon überrascht worden, was neben dem Unterricht alles gemacht werden müsse. Quereinsteiger hingegen hätten dies nie als Grund für den Berufsausstieg angegeben, sondern beispielsweise die ungeregelten Arbeitszeiten.

Redimensionierung gefordert
Belastbarer, zufriedener und mit realistischeren Vorstellungen vom Berufsalltag: Die Befunde zu den Quereinsteigern könnten die alte Debatte um die Akademisierung des Lehrerberufs neu be­feuern.

Seit die Ausbildung vor über zehn Jahren an die Hochschule verlegt wurde, wird grundsätzlich als Zulassung die Maturität verlangt. Deshalb steht bis heute der Vorwurf im Raum, dass die PH-Abgänger zwar theoretisch sehr viel wüssten, ihnen aber die Praxiserfahrung fehle. «Die Resultate zeigen, dass diese Kritik noch immer zutrifft», sagt FDP-Bildungspolitikerin und -Gross­rätin Corinne Schmidhauser (In­terlaken).
Dass Quereinsteiger be­lastungsresistenter und zufriedener sind, überrascht die Vizepräsidentin der Bildungskommission des Grossen Rates nicht. «Solche Lehrer waren sich wohl in ihrer vorherigen Tätigkeit höhere Belastungen gewohnt, zudem sind sie schlicht lebenser­fahrener», sagt sie. Dies wirke sich positiv auf den Unterricht aus.

«PH sollte Handwerk vermitteln»
Fairerweise müsse man aber auch sagen, dass solche Kompetenzen an der PH schlicht nicht vermittelt werden könnten. Deshalb stellt sich für Schmidhauser aber die Frage, was die Hochschule überhaupt anbieten müsse. «Die PH sollte sich auf die Vermittlung des Handwerks und des fachdidaktischen Könnens konzentrieren. Dafür braucht es nicht unzählige Kurse etwa für Sozial- und Selbstkompetenz.» Vielmehr müssten möglichst vielfältige Angebote für Quereinsteiger geschaffen werden.

Von einer Redimensionierung der Ausbildung will Studienleiterin Bauer nichts wissen. «Die Tatsache, dass 70 Prozent aller Absolventen nach sieben bis zehn Jahren noch immer als Lehrer tätig sind, zeigt in erster Linie, dass die Ausbildung gut ist und die Abgänger gut auf ihre Tätigkeit vorbereitet sind.»

Zwar sagt auch Bauer, dass «die Lehrer mit Vorberufserfahrung im Vergleich zu denjenigen im Erstberuf gewisse Vorteile mitbringen». Die Aus­bildung sei dabei aber nur ein Puzzleteil. Deshalb soll in einer weiteren Studie geklärt werden, welche Komponenten die «be­rufliche Widerstandsfähigkeit» von Quereinsteigern tatsächlich erhöhen.


1 Kommentar:

  1. Meiner Meinung nach sind wir in als Lehrer in erster Linie Pädagogen, und diese Fähigkeiten bringen Quereinsteiger nicht zwingend mit. Ich sehe in meinem Berufsfeld immer noch viele pädagogisch Unreife, egal woher sie kommen. Langjährige Lehrer, wie auch Quereinstiger. Da hilft ihnen weder Lebenserfahrung, noch Fach- und Methodenwissen oder Kommunikationsfähigkeit.

    AntwortenLöschen