Selbst aus Basel-Stadt kommt Kritik amBaselbieter Urteil im Fall Rüegg: Erziehungsdirektor Christoph Eymann
befürchtet eine Schädigung der Schule, wenn die Autorität der Lehrerinnen und
Lehrer weiter vermindert wird.
Nach Urteil: Den Anwälten von Eltern werden Tür und Tor geöffnet, Basellandschaftliche Zeitung, 1.7. von Bojan Stula
Der Entscheid des Baselbieter Kantonsgerichts erschüttert die hiesige
Bildungslandschaft. Zwar ging es im Fall von Martin Rüegg um einen umstrittenen
Zeugniseintrag wegen unentschuldigter Absenzen. Doch die vom Gericht abgewiesene Beschwerde des Liestaler Gymnasiallehrers und
SP-Landrats gegen eine Weisung seiner eigenen Schulleitung weckt
eine grundlegende Befürchtung: Genügt es in Zukunft, wenn Eltern einen Anwalt
beiziehen, oder sogar nur mit ihm drohen, um umstrittene Zeugnisnoten oder
Promotionsentscheide umzustossen?
Für Michael Weiss, den Geschäftsführer des Baselbieter Lehrerinnen- und
Lehrervereins (LVB), liegt die Antwort auf der Hand: «Es ist klar, dass sich
Eltern durch dieses Urteil ermutigt fühlen werden, in Streitfällen mit den
Schulen den juristischen Weg zu beschreiten.»
Weg des geringsten Widerstands
Diese Ermutigung könnte gleich in doppelter Hinsicht wirken: Einerseits
haben die Kantonsrichter der Einsprachemöglichkeit von Lehrern gegen Weisungen
der eigenen Schulleitung eine Absage erteilt. Alleine das hält der Baselbieter
SVP-Landrat Paul Wenger für ein «total falsches Signal»: «Wenn Schulleitungen
einen Lehrerentscheid einfach übersteuern können, dann bleibt für die
Lehrerschaft wirklich nicht mehr viel an Kompetenzen übrig.» Viel mehr sollten
Schulleitungen ihren Lehrkräften den Rücken «gegen Angriffe von aussen»
stärken, kritisiert der frühere Mathematiklehrer.
Anderseits geht nach dem Urteil in der Lehrerschaft die Befürchtung um,
dass die Schulleitungen in Zukunft vermehrt den Weg des geringsten Widerstands
gehen und vor Eltern-Interventionen einknicken werden. Welche Schulleitung
könne es sich schon leisten, in unter Umständen gleich mehrere
Rechtsstreitigkeiten mit Eltern verwickelt zu sein, fragt rhetorisch
LVB-Geschäftsführer Michael Weiss und nennt ein konkretes Beispiel: An einer
Primarschule im Bezirk Arlesheim hätten kürzlich Eltern Druck auf eine
Primarlehrerin aufgesetzt, um für ihren Sprössling den Übertritt ins Niveau P
der Sek I zu erwirken. Als sich diese an die Schulleitung wandte, erhielt sie
die erhoffte Rückendeckung nicht. Im Gegenteil: Die Schulleitung empfahl ihr,
dem Schüler die besseren Noten zu geben. Ganz nach dem Motto: «Soll sich doch
die Sek I mit dem Problem herumärgern.» Weiss ist überzeugt: «Die
Schulleitungen wissen jetzt: Wenn sie den Eltern nachgeben, dann herrscht Ruhe,
schliesslich kann kein Lehrer mehr etwas gegen eine solche Weisung
unternehmen.»
Wortkarge Bildungsdirektion
Die Befürchtung, dass jetzt den Interventionen von Eltern-Anwälten Tür
und Tor geöffnet worden ist, wird von der Baselbieter Bildungsdirektion (BKSD)
geradezu befeuert: «Wir nehmen den Entscheid des Kantonsgerichts zur Kenntnis.
Das Einschalten eines Anwalts ist das Recht aller Bürgerinnen und Bürger.» Das
ist alles, was sich BKSD-Projektleiterin Veronika Lévesque am Tag danach
entlocken lässt.
Da reagiert der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann wesentlich
resoluter: «Ich habe Respekt vor Lehrpersonen, welche den beschwerlicheren Weg
gehen und fadenscheinige Erklärungen von Schülerinnen hinterfragen. Solche
Lehrpersonen muss man stützen. Es schadet der Schule und damit sehr direkt den
Kindern, wenn die Autorität der Lehrerinnen und Lehrer weiter vermindert wird.»
Wenn Eltern, wie zuletzt vermehrt beobachtet, mit Unterstützung von Anwälten
versuchen, einzelne Noten ihrer Kinder zu verbessern, dann «entfernen wir uns
vom Sollzustand einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und
Schülern sowie deren Eltern», urteilt der LDP-Regierungsrat. Gerade darum wurde
laut Eymann in Basel «bereits vor längerer Zeit die Mitsprache der Eltern bei
Übertritten in die nächste Schulstufe aufgehoben, um die Autorität der
Lehrpersonen zu stärken».
Im Baselbiet plädiert LVB-Geschäftsführer Weiss dafür, dass mittels
einer Änderung des Bildungsgesetzes die Einsprachemöglichkeit von Lehrern
festgeschrieben wird; darum sei man schliesslich im Fall Rüegg vor Gericht
gegangen. «Allerdings glaube ich nicht, dass dies momentan politisch eine
Chance hat.» SVP-Bildungspolitiker Paul Wenger behält sich vor, mit ähnlicher
Stossrichtung im Parlament vorstellig zu werden: «Politisch habe ich mit Martin
Rüegg das Heu nicht auf derselben Bühne, aber in diesem Fall hatte er recht,
vor Gericht zu gehen.»
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