18. Juli 2016

Kompetenzorientiert unterrichten in der Praxis

Die Schülerinnen und Schüler erhalten folgende Aufgabe: Ein neugeborenes Kaninchenpaar braucht jeweils zwei Monate, bis es geschlechtsreif ist. Ab dem zweiten Monat kommt dann jeden Monat ein Pärchen zur Welt, das seinerseits nach zwei Monaten wieder monatlich ein Pärchen kriegt. Wie viele Pärchen sind es nach einem Jahr?

Peter Aebersold hat diese Aufgabe analysiert und sie in den Zusammenhang des konstruktivistischen Lernansatzes gestellt.
Die erläuternde Aufgabenstellung kann hier Kaninchenaufgabe angesehen werden, Bildungsdirektion Zürich
Peter Aebersold, 15. Juli

Kommentar zur Aufgabenstellung:

Lösung











Monate
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Chüngel
1
2
3
5
8
13
21
34
55
89
144

Die obige Mathematikaufgabe weist die folgenden typischen Züge einer kompetenzorientierten Aufgabenstellung auf, die für Schüler und Lernbegleiter (Vorbereitung) sehr zeitaufwändig ist, aber einen sehr geringen, nachhaltigen Lerneffekt haben dürfte:

* Unterforderung der meisten Schüler („können Zahlenfolgen veranschaulichen“). Grund: „Individuelle Erfolge ermöglichen“ 1). [„selbstgesteuertes Lernen“ ist für meisten Schüler der Primarstufe schwierig, deshalb muss das Niveau auch gesenkt werden, um trotzdem gute durchschnittliche Klassenleistungen ausweisen zu können]

* Nicht oder schwierig lösbare Aufgaben (Multiplikation zweier verschiedener Grössen usw.) Grund: „Sinnstiftende Bedeutung geben“ 2)

* Überforderung schwächerer Schüler („können auszählbare kombinatorische Fragen untersuchen“) „Ein (!) Schüler nennt die ganze Folge ….. erklärt den anderen wie er die Lösung gefunden hat“. Kombinatorik wird an der Mittelschule gelehrt. Grund: „Herausfordernde Problemstellung“ 3). Auch Eltern wären bei solchen Hausaufgaben überfordert.

* Ideologische Beeinflussung (hier nicht relevant, da Hinweis auf nicht artgerechte* Kaninchenställe fehlt) (zum Beispiel: „Welche Preisangebote findet ihr gerecht/ungerecht?“) 4)
*Auch für Kaninchen gelten die allgemeinen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (TschG) und der Tierschutzverordnung (TschV). Zudem muss einen Sachkundenachweis erbringen, wer mehr als 500 Jungtiere jährlich produziert (Art. 31, Abs. 4 Bst. d TschV).

* Keine Übungsmöglichkeiten. Grund: „fremdgesteuertes Auswendiglernen“ unerwünscht 5)

* Nicht strukturiert in Richt- und Grobziele. Grund: „sind in aufeinander aufbauenden Kompetenzstufen formuliert“

* Kein Bezug zu Lernzielen erkennbar. Grund: „Lernzielorientierung“ unerwünscht 6)

* Zeitaufwändige Lösungssuche mit wenig Lerneffekt, da Gruppenarbeit mit Präsentation. Grund: „Die Aufgabe ist so gewählt, dass eine herausfordernde Problemstellung den Ausgangspunkt einer mehrstündigen (!) Arbeit bildet“.

* Kein Input und keine Unterstützung durch „Lernbegleiter“. Grund: Konstruktivismus 7)

* Aufgabe nicht für „selbstgesteuertes Lernen“ geeignet. Grund: nur sehr gute Schüler können solche Aufgaben lösen

* Schwierige, willkürliche, wenig transparente Bewertung der „gemeinsamen“ Lösungen. Grund: nach Kompetenzen bewerten „Reflexion“: „Alle Gruppen haben an den Kompetenzen „Mathematisieren und Darstellen“ und „Erforschen und Argumentieren“ gearbeitet. Sie erreichen (!) die Kompetenzstufen (g) und (f)“. „Zum Abschluss werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, nochmals ihr Vorgehen und die Zusammenarbeit (sic !) zu besprechen, dabei sich selber einzuschätzen (!) und eine Rückmeldung an die Partnerinnen und Partner zu geben“.

Anmerkungen aus dem Begleitheft „Kompetenzraster“:
  1.      Dazu brauchen Lernende Lernvoraussetzungen und Lernumgebungen, die individuelle Erfolge ermöglichen. Erfolge bilden die Grundlage für einen robusten persönlichen Wirksamkeitsglauben“.
  2.        Das bedeutet, dass Lerninhalte so aufbereitet sein sollten, dass es den Schülerinnen und Schülern hilft, Dinge einzuordnen und ihnen Sinn stiftende Bedeutung zu geben (Bandura) sowie wissensbasiert zu handeln“.
  3.          Die Aufgabe ist so gewählt, dass eine herausfordernde Problemstellung den Ausgangspunkt einer mehrstündigen Arbeit bildet. Nach der Hypothesenbildung folgt die Wahl einer geeigneten Strategie oder Methode. Die Schülerinnen und Schüler sollen die Ergebnisse tabellarisch darstellen und eine Präsentation vorbereiten.
  4.        Durch die Art und Weise, wie über Probleme nachgedacht wird, offenbaren sich auch Haltungen und Einstellungen“.
  5.        Fremdgesteuertes Auswendiglernen führt häufig dazu, dass Schülerinnen und Schüler im Alltag seltener auf die im schulischen Kontext [der Kompetenzorientierung] vermittelten Lösungswege zurückgreifen.“
  6.        Lernzielorientierung verleitet dazu, sich intensiver um Wissenserwerb als um die intelligente Anwendung des Wissens zu bemühen.“
  7.      Im Sinne des Selbstwirksamkeitskonzeptes werden die Aktivitätsschwerpunkte in die Richtung der Lernenden verlagert. Sie übernehmen die Hauptverantwortung für ihre Leistungen und deren Qualität.“ „Die Stärke des Selbstwirksamkeitsglaubens korrespondiert mit dem „Wohlfühlfaktor“.
  8. [Der Konstruktivismus behauptet, dass der Lehrer dem Schüler sein Wissen nicht mittels Unterricht vermitteln könne, sondern dass der Schüler sein Wissen selber konstruieren müsse („Rad neu erfinden“)]. 

1 Kommentar:

  1. Das ist dann etwas für Superschlaue! Den anderen bleibt die Selbstreflexion. Kompetenzorientierung ist das Gegenteil vom gemeinsamen Lernen im pädagogisch geführten Klassenunterricht. Minimal schwammige Ziele für alle, die nicht drauskommen plus Zertifizierung einzelner Überflieger. Das verkauft man uns als Schule der Zukunft. Und die Lehrer sollen damit beschäftigt werden, kompetenzorientierte Aufgaben zu generieren, die "Lernenden" zu beobachten und zu beraten und deren Kompetenzen gemäss vorgegebenem Raster zu messen. Asterix hätte dazu nur gesagt:"Die spinnen, die Römer!"

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