Mit seiner Intervention spiele
Alain Berset mit dem Feuer,
sagt Ernst Buschor, Co-Präsident
des Forums Bildung
Zürich.
"Amoklauf" gegen Sprachfrieden, Sonntagszeitung, 10.7. von Nadja Pastega
Am 31. März fand in Bern unter der Leitung von Erziehungsdirektor
Bernhard Pulver ein Hearing zum Fremdsprachenlernen statt. Thema: das
Spracherwerbskonzept in den Passepartout-Kantonen. Dazu gehören Basel-Stadt,
Baselland, Bern, Freiburg, Solothurn und Wallis. In diesen sechs Kantonen
lernen die Primarschüler als erste Fremdsprache Französisch – so zumindest
steht es im Stundenplan. Doch das Ergebnis des Frühfranzösisch-Unterrichts
ist äusserst bescheiden, wie sich am Hearing zeigte.
Vor 25 Sitzungsteilnehmern musste die Passepartout-Projektleitung einräumen,
dass die Schüler nach vier Jahren Frühfranzösisch die Top-500-Wörter,
also die am häufigsten verwendeten Französisch-Vokabeln, nicht abrufen können.
Jetzt soll es die Technik richten: Mit einer neu entwickelten, speziellen
App müssen die Schüler künftig im Selbststudium das Französisch-Manko
ausbügeln.
Trotz dieses ernüchternden Befunds will Bundesrat Alain Berset jetzt alle Kantone
per Gesetz zwingen, in der Primarschule eine zweite Landessprache zu
lehren — für die Deutschschweiz bedeutet das faktisch ein Frühfranzösisch-Obligatorium.
Um das durchzudrücken, schickte Berset diese Woche drei Varianten
für einen neuen Paragrafen des Sprachengesetzes in die Vernehmlassung
– ein Ultimatum an die Adresse der Abweichler-Kantone.
«Gegen Gesetz wird sicher Referendum ergriffen»
Mit seinem Warnschuss zielt Bundesrat Berset nicht nur auf den Kanton Thurgau,
der das Französisch auf die Oberstufe verschieben und in der Primarschule
nur noch Englisch unterrichten will. Der Innenminister will mit seiner zentralstaatlichen
Intervention auch die Welle von Volksinitiativen stoppen, die in
mehreren Deutschschweizer Kantonen – darunter Zürich – angerollt ist. Diese
Volksbegehren wollen den Fremdsprachenunterricht an der Primarschule reduzieren
– meist soll es in der Primarschule nur noch Englisch geben und das
Frühfranzösisch gekippt werden.
Das will Berset verhindern. Der Bundesrat begründet sein Eingreifen damit,
«dass staatspolitische und bildungspolitische Gründe harmonisierte Vorgaben
zum Unterricht der Landesprachen erfordern».
Der Sprachbefehl aus Bern kommt bei Ernst Buschor, ehemaliger Bildungsdirektor
des Kantons Zürich und heutiger Co-Präsident des Forums Bildung,
schlecht an. Er warnt vor den «negativen Wirkungen» einer Bundesintervention:
«Bundesrat Berset macht einen kontraproduktiven Amoklauf gegen den
Sprachfrieden, er spielt mit dem Feuer», sagt er. «Gegen dieses Gesetz wird mit
Sicherheit das Referendum ergriffen. Das könnte den Sprachenstreit dann erst
so richtig entfachen.» Der umtriebige CVP-Bildungspolitiker ging als «Reformturbo»
in die Annalen ein. Sein Motto: Let’s do it. Damit entfachte er die
Schweizer Sprachendebatte: Unter seiner Führung wurde in Zürich als erstem
Kanton um die Jahrtausendwende an der Primarschule Frühenglisch eingeführt
und dem Französisch vorgezogen. Andere Zentral- und Ostschweizer
Kantone zogen nach.
Gesetzlicher Sprachenzwang sei unnötig und schädlich
Nach jahrelangen Diskussionen einigte sich die Erziehungsdirektorenkonferenz
(EDK) 2004 auf einen Kompromiss: Man überliess es den Kantonen, welche
Fremdsprache zuerst unterrichtet wird, legte jedoch fest, dass die erste ab
der 3., die zweite ab der 5. Klasse unterrichtet werden. Appenzell Innerrhoden
und Uri haben diesen EDK-Beschluss nie umgesetzt – Französisch wird erst
auf der Oberstufe unterrichtet.
Ernst Buschor befürwortet zwar den Sprachenbeschluss der EDK, kritisiert
aber, dass Berset seine Intervention damit rechtfertige, dass ohne Frühfranzösisch der nationale Zusammenhalt verloren gehe. «Das ist eine Behauptung,
die bis jetzt niemand untersucht und belegt hat», sagt Buschor. «Die Appenzeller
und Urner sind keine schlechteren Schweizer.» In beiden Kantonen sei unbestritten,
dass die Schüler am Ende der Schulzeit Englisch und Französisch
gleich gut beherrschen müssten. Die Schweiz habe existenziellere Probleme zu
lösen und solle «die Kräȑe nicht auf ideologische Nebenkriegsschauplätze konzentrieren»,
sagt Buschor. Der gesetzliche Sprachenzwang aus Bundesbern sei
nicht nur unnötig, sondern auch schädlich: «Das provoziert einen Sprachenstreit,
der an der Urne ausgetragen wird – daraus werden nur Verlierer hervorgehen.»
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