10. Juli 2016

Buschor: "Spiel mit dem Feuer"

Mit seiner Intervention spiele Alain Berset mit dem Feuer, sagt Ernst Buschor, Co-Präsident des Forums Bildung Zürich.
"Amoklauf" gegen Sprachfrieden, Sonntagszeitung, 10.7. von Nadja Pastega


Am 31. März fand in Bern unter der Leitung von Erziehungsdirektor Bernhard Pulver ein Hearing zum Fremdsprachenlernen statt. Thema: das Spracherwerbskonzept in den Passepartout-Kantonen. Dazu gehören Basel-Stadt, Baselland, Bern, Freiburg, Solothurn und Wallis. In diesen sechs Kantonen lernen die Primarschüler als erste Fremdsprache Französisch – so zumindest steht es im Stundenplan. Doch das Ergebnis des Frühfranzösisch-Unterrichts ist äusserst bescheiden, wie sich am Hearing zeigte. 

Vor 25 Sitzungsteilnehmern musste die Passepartout-Projektleitung einräumen, dass die Schüler nach vier Jahren Frühfranzösisch die Top-500-Wörter, also die am häufigsten verwendeten Französisch-Vokabeln, nicht abrufen können. Jetzt soll es die Technik richten: Mit einer neu entwickelten, speziellen App müssen die Schüler künftig im Selbststudium das Französisch-Manko ausbügeln. 

Trotz dieses ernüchternden Befunds will Bundesrat Alain Berset jetzt alle Kantone per Gesetz zwingen, in der Primarschule eine zweite Landessprache zu lehren — für die Deutschschweiz bedeutet das faktisch ein Frühfranzösisch-Obligatorium. Um das durchzudrücken, schickte Berset diese Woche drei Varianten für einen neuen Paragrafen des Sprachengesetzes in die Vernehmlassung – ein Ultimatum an die Adresse der Abweichler-Kantone. 

«Gegen Gesetz wird sicher Referendum ergriffen» 
Mit seinem Warnschuss zielt Bundesrat Berset nicht nur auf den Kanton Thurgau, der das Französisch auf die Oberstufe verschieben und in der Primarschule nur noch Englisch unterrichten will. Der Innenminister will mit seiner zentralstaatlichen Intervention auch die Welle von Volksinitiativen stoppen, die in mehreren Deutschschweizer Kantonen – darunter Zürich – angerollt ist. Diese Volksbegehren wollen den Fremdsprachenunterricht an der Primarschule reduzieren – meist soll es in der Primarschule nur noch Englisch geben und das Frühfranzösisch gekippt werden. 

Das will Berset verhindern. Der Bundesrat begründet sein Eingreifen damit, «dass staatspolitische und bildungspolitische Gründe harmonisierte Vorgaben zum Unterricht der Landesprachen erfordern». 

Der Sprachbefehl aus Bern kommt bei Ernst Buschor, ehemaliger Bildungsdirektor des Kantons Zürich und heutiger Co-Präsident des Forums Bildung, schlecht an. Er warnt vor den «negativen Wirkungen» einer Bundesintervention: «Bundesrat Berset macht einen kontraproduktiven Amoklauf gegen den Sprachfrieden, er spielt mit dem Feuer», sagt er. «Gegen dieses Gesetz wird mit Sicherheit das Referendum ergriffen. Das könnte den Sprachenstreit dann erst so richtig entfachen.» Der umtriebige CVP-Bildungspolitiker ging als «Reformturbo» in die Annalen ein. Sein Motto: Let’s do it. Damit entfachte er die Schweizer Sprachendebatte: Unter seiner Führung wurde in Zürich als erstem Kanton um die Jahrtausendwende an der Primarschule Frühenglisch eingeführt und dem Französisch vorgezogen. Andere Zentral- und Ostschweizer Kantone zogen nach. 

Gesetzlicher Sprachenzwang sei unnötig und schädlich 
Nach jahrelangen Diskussionen einigte sich die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) 2004 auf einen Kompromiss: Man überliess es den Kantonen, welche Fremdsprache zuerst unterrichtet wird, legte jedoch fest, dass die erste ab der 3., die zweite ab der 5. Klasse unterrichtet werden. Appenzell Innerrhoden und Uri haben diesen EDK-Beschluss nie umgesetzt – Französisch wird erst auf der Oberstufe unterrichtet. 

Ernst Buschor befürwortet zwar den Sprachenbeschluss der EDK, kritisiert aber, dass Berset seine Intervention damit rechtfertige, dass ohne Frühfranzösisch der nationale Zusammenhalt verloren gehe. «Das ist eine Behauptung, die bis jetzt niemand untersucht und belegt hat», sagt Buschor. «Die Appenzeller und Urner sind keine schlechteren Schweizer.» In beiden Kantonen sei unbestritten, dass die Schüler am Ende der Schulzeit Englisch und Französisch gleich gut beherrschen müssten. Die Schweiz habe existenziellere Probleme zu lösen und solle «die Kräȑe nicht auf ideologische Nebenkriegsschauplätze konzentrieren», sagt Buschor. Der gesetzliche Sprachenzwang aus Bundesbern sei nicht nur unnötig, sondern auch schädlich: «Das provoziert einen Sprachenstreit, der an der Urne ausgetragen wird – daraus werden nur Verlierer hervorgehen.» 

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