16. Juni 2016

Mehrheit befürchtet eine Politisierung der Volksschule

Die Debatte dauerte lange und wurde intensiv geführt. Letztlich entschied der Grosse Rat aber, die Initiative «Ja zu einer guten Volksschule Thurgau» abzulehnen. Die Mehrheit fürchtet eine Verpolitisierung der Schule.
Alle wollen eine gute Schule, Thurgauer Zeitung, 16.6. von Michèle Vaterlaus

Es war von Anfang an klar: die Debatte zur Initiative «Ja für eine gute Volksschule Thurgau» wird sich nicht von einer Diskussion um den Lehrplan abkoppeln lassen. Und so hatten auch die Kantonsräte gestern Mühe damit. Bereits bei der Eintretensdebatte ermahnte Ratspräsident Gallus Müller den Sprecher der EDU-Fraktion vergeblich, dass es hier um die Initiative und nicht um den Lehrplan 21 gehe.

Die Initiative verlangt, dass die Kompetenz zum Erlass eines neuen Lehrplanes beim Grossen Rat und nicht mehr beim Regierungsrat liegt. Der Beschluss soll dem fakultativen Referendum unterstehen. Zudem sollen im Lehrplan Jahrgangsziele und Stundentafeln festgesetzt werden. Und schliesslich verlangt die Initiative, dass neue Lehrpläne innert zweier Jahren umgesetzt werden. Nach einer intensiven Diskussion beschloss der Grosse Rat mit 97 zu 22 Stimmen, die Initiative abzulehnen.

Abstimmung soll Ruhe bringen
Diese Tendenz zeigte sich schon bei der Eintretensdebatte: Zwar sprachen sich alle Fraktionen dafür aus, die Initiative für gültig zu erklären, gleichzeitig erachteten sie deren Inhalt als problematisch. Insbesondere, weil sie dem Regierungsrat nachträglich die Kompetenz zur Einführung des neuen Lehrplans absprechen und so einen rechtskräftigen Entscheid aushebeln wolle. Viktor Gschwend (Neukirch-Egnach) sagte als Sprecher der FDP-Fraktion, dass man sich eine Abstimmung wünsche, damit endlich Ruhe einkehrt.
Joe Brägger (GP, Amriswil) kam gleich auf den Punkt: «Das Initiativkomitee will vor allem den Lehrplan verhindern.» Der Titel der Initiative klinge zwar verlockend. «Wer will schon Nein zu einer guten Volksschule sagen.» Doch Lehrpläne sollen nicht wie Gesetze beraten werden. In diesem Sinne erinnerte Norbert Senn (CVP, Romanshorn) daran, was ein Lehrplan überhaupt ist, nämlich ein Hilfs- und Planungsinstrument. Er befürchtet, dass bei Annahme der Initiative, über die letztlich das Volk entscheiden wird, die Schule verpolitisiert wird. Das sei doch bereits geschehen, merkte Andrea Vonlanthen (SVP, Arbon) an. Und zwar damals, als der Grosse Rat eine Motion angenommen habe, welche die Abschaffung des Frühfranzösisch forderte. Damals habe man den parlamentarischen Weg eingeschlagen.

Käthi Zürcher (CVP, Romanshorn) erachtet den Grossen Rat nicht als das richtige Gremium, um über einen Lehrplan zu entscheiden. Dennoch äussert sie, die selbst Lehrerin ist, Verständnis für die Kritik am Lehrplan: «Er ist ein Konstrukt von Wissenschaftern, Theoretikern und Technokraten, ohne Bezug zur Praxis.» Doch in ihren Augen ist es schlicht und einfach zu spät, um den Lehrplanentwurf über den Haufen zu werfen und etwas Neues zu fordern. «Ich bin froh, wenn die Debatte nicht zur Lehrplan-Debatte ausartet», sagte Walter Hugentobler (SP, Matzingen). Die Initiative wolle Details regeln, die nicht gesetzeswürdig seien. «Das ist die falsche Flughöhe. Wir diskutieren ja auch nicht über die Hausordnung des Regierungsgebäudes.»

Einzig die EDU-Fraktion sprach sich für die Annahme der Initiative aus. «Wohin führt uns die Entwicklung unserer Volksschule?», fragte Daniel Frischknecht (EDU, Arbon). Er befürchtet, dass die Orientierung an Kompetenzen für Schüler aus gebildetem Hause von Vorteil sein wird, die anderen aber untergehen werden. «Wir reden hier von der Volksschule, nicht von einer Eliteschule.»

Kritik gibt es immer
Regierungsrätin Monika Knill gab zu bedenken, dass es immer Kritik an Lehrplänen gab und auch geben wird. In keinem der 21 Kantone sei aber das Parlament für den Erlass von Lehrplänen zuständig. «Und ich möchte darauf hinweisen, dass ein Paragraph in der Debatte komplett ausgeblendet wurde: <Der Unterricht hat sich den Zeit- und Lebensanforderungen anzupassen.> Dieser Paragraph wird auch bei Annahme der Initiative im Gesetz bleiben.»


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