Der Lehrer Jürg Wiedemann kämpft an vorderster Front gegen den Lehrplan 21. Verhindern kann er ihn zwar nicht, aber zurechtstutzen.
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Wiedemann traut den vielen Versprechungen nicht, Bild: Dan Kitwood
Das ist erst der Anfang, Zeit, 13.6. von Sarah Jäggi
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Am Tag
des Triumphs macht er blau. Es kümmert ihn nicht, dass sich Journalisten über
ihn ärgern. Über ihn, den Störenfried, Querschläger, das Enfant terrible aus
dem Baselbiet, das sich wieder einmal nicht vorschreiben lässt, was es zu tun
hat.
Dabei hat
der Bildungspolitiker Jürg Wiedemann allen Grund zum Feiern an diesem Sonntag:
Seine Volksinitiative wurde angenommen. Sie verlangt, dass die Fächer
Geschichte, Geografie, Biologie, Physik und Chemie an den Sekundarschulen auch
in Zukunft als Einzelfach unterrichtet werden – und nicht in sogenannten
Sammelfächern. So wie es der neue Lehrplan 21 vorsieht.
Das heißt: Im Kanton Baselland wird ein zentraler Teil davon nicht umgesetzt.
In den
Medien liest man tags darauf: "Der Auftakt zum schweizweiten Feldzug gegen
den Lehrplan 21 ist nicht wunschgemäß geglückt." Dabei zeigt die erste
wichtige Lehrplan-Abstimmung vor allem, wie holprig die größte Bildungsreform
der Schweiz vorankommt. Sie lässt sich zwar nicht verhindern, aber
zurechtstutzen. Stück für Stück.
Fast
überall regt sich Widerstand gegen das Harmonisierungswerk. Mal kommt er von
links, mal aus der religiösen Fundi-Ecke – und überall hat er den Support von
rechts.
Einen
gemeinsamen Plan? Gibt es nicht. Was die Lehrplan-Gegner eint, ist das
Personal: Überall kämpfen Lehrer an vorderster Front. Leute wie Jürg Wiedemann,
Kopf des Vereins "Starke Schule Basel". Was bringt ihn dazu, die
kantonale Politik mit Volksbegehren zu fluten –
am Sonntag wurde gleichzeitig über eine zweite Wiedemann-Initiative abgestimmt.
Sie verlangte, dass das Kantonsparlament den Lehrplan der Volksschule
genehmigt, scheiterte aber knapp.
Was
treibt ihn zu seinen Interventionen? Eine jede dazu da, Sand ins Getriebe der
Bildungsreform zu streuen. Eine, die noch hängig ist, will: den Austritt aus
dem Harmos-Konkordat.
Jürg
Wiedemann, 56, empfängt in seinem Haus in Birsfelden. Er unterrichtet ein
volles Pensum Mathematik, Geografie und Physik und lebt daneben für die
Politik, sitzt im Gemeinderat von Birsfelden und für die Grün-Unabhängigen im
Kantonsparlament. Unter dem Dach wohnt er, im Parterre seine Mutter. Im
Geschoss dazwischen findet seit dreißig Jahren sein politisches Leben statt.
Der Bildungspolitiker organisiert seine Rebellion mit professionellen
Strukturen. Das Sekretariat und die Geschäftsleitung besorgen zwei ehemalige
Schülerinnen. "Ich habe eine Handvoll Leute um mich, die mich auf hohem
Niveau briefen. Zusammen sind wir ein eingeschworenes Team." Neben dem
langen Holztisch ragt eine Bücherwand bis unter die Decke. Darin liegen
Erinnerungsstücke an das zweite große Thema, das ihn politisch geprägt hat:
Gläser mit dem Aufdruck "Stop F/A-18". Flyer der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), für die er
jahrelang gearbeitet, Geld aufgetrieben hat – und die ihn lehrte, wie man
Unterschriften sammelt.
Systemwechsel
im stillen Kämmerlein
In der
Region ist Wiedemann, der freiheitsliebende Basisdemokrat, berühmt für zwei
Dinge: für seine perfekt gebügelten Hemden; heute in einer schwarzen
Kurzarmvariante. Und für sein permanentes Lächeln. Es öffnet ihm Türen – und
schafft ihm Ärger. "Dass ich nie hässig bin, treibt die Leute manchmal zur
Weißglut", sagt er und lächelt. "Aber ich bin so." Weil er seine
Freundlichkeit nicht einmal dann ablegte, als man ihn aus der grünen Partei
schmiss, hieß es, er betreibe Politik nur als Spiel. Dabei hatte er die
Freisinnige Monica Gschwind im Regierungsratswahlkampf aus Überzeugung
unterstützt. Sie ist wie er eine Lehrplan-Gegnerin.
Wer mit
ihm spricht, merkt, wie ernst es ihm ist. Und wie pickelhart, ja penetrant er
agiert, wenn es um seine Sache geht.
Dem
Lehrplan 21 hat er den Kampf angesagt, "weil er eine neue Ideologie ins
Bildungswesen implantiert: die Kompetenzorientierung". Damit werde das
Volk "für blöd verkauft". Man habe ihm mit dem Bildungsartikel eine
Harmonisierung der Schulen in Aussicht gestellt: "nicht einen
fundamentalen Systemwechsel". Die Befürworter können noch so lange
beteuern, dass auch mit dem neuen Lehrplan vieles beim Alten bleibe. Dass er
keine Bibel, sondern ein Kompass sei. Und dass von Systemwechsel keine Rede
sein könne. Wiedemann und seine Mitstreiter glauben ihnen nicht.
Sie sind
enttäuscht, gekränkt. Darüber, dass sie nicht gefragt wurden. Sie, die seit
Jahrzehnten mit Herzblut unterrichten und wissen, was es heißt, ein guter Lehrer zu
sein. Wiedemann sagt: "Den besten Draht zu den Schülern habe
ich, wenn ich traditionell unterrichte. Also nur wenige sogenannte erweiterte
Lernformen anbiete, nur ausnahmsweise mit Wochenplänen arbeite und anderen
Formen der Selbstorganisation." Er ist überzeugt, dass er diese
Methodenfreiheit verlieren würde. Allen Beteuerungen der Befürworter zum Trotz.
Der
Kampf, den er heute führe, sei im Grunde derselbe wie vor bald 30 Jahren, als
er für die Abschaffung der Armee kämpfte. Es sei demokratisch fragwürdig, wenn
eine Handvoll Experten und die Erziehungsdirektorenkonferenz im stillen
Kämmerlein einen fundamentalen Systemwechsel beschlössen. "Diese
Top-down-Hierarchie ging mir schon früher auf den Wecker." Dass es eine
groß angelegte Vernehmlassung gab, lässt er nicht gelten: "Die Weichen
waren gestellt."
Der Kampf
gegen Obrigkeiten begleitet ihn schon sein ganzes Leben. Als Siebenjähriger
hörte er auf, ein Pfadfinder zu sein,
als er ein braunes Hemd hätte anziehen sollen. Er hätte lieber ein grünes
getragen. Dasselbe in der Politik. Seit er nicht mehr bei den Grünen ist, fühlt
er sich pudelwohl. Weil es in der Fraktionsgemeinschaft mit den Grünliberalen
nur eine Regel gibt: "Es gibt keine Regel."
Sein
Kampf gegen den Lehrplan 21 hat aber auch eine ironische Note. Vor Jahren war
es just der Kanton Baselland, der mit einer Standesinitiative die große
Bildungsreform angestoßen hatte. Die Aufbruchstimmung von damals ist verflogen.
Ausgerechnet dort, wo alles begann, wächst nun der Widerstand. Er ist
inzwischen so groß, dass Wiedemann überzeugt ist: "Der Lehrplan 21 kommt
in Baselland nicht. Wir werden eine adaptierte Version einführen."
Seine
"Starke Schule Baselland" hat weitere Initiativen im Köcher. Sie
fordern wahlweise: nur eine Fremdsprache an der Primarschule; die Ausbildung
der Sekundarlehrer an den Universitäten statt an den Pädagogischen Hochschulen;
niveaugetrennter Unterricht auch in Wahlpflichtfächern wie Musik oder textilem
Gestalten.
Droht dem
Kanton Baselland die Isolation in der Schweizer Bildungslandschaft? Jürg
Wiedemann lächelt sein Wiedemann-Lächeln. Er hofft auf das Gegenteil. Darauf,
dass der widerständige Geist aus dem Baselbiet die Nachbarkantone ansteckt. Den
Aargau hat er bereits erfasst. Dort wird im nächsten Februar über den Lehrplan
21 abgestimmt. Und ennet dem Jura, im Kanton Solothurn, wird Ende Juni ein
Bündel an Anti-Reform-Initiativen eingereicht. Eine trägt den Titel:
"Keine Birchermüesli-Fächer an
der Sekundarschule".
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