2. Mai 2016

"Kooperation unter Lehrpersonen ist wichtig"

Thomas von Felten gilt im Kanton als Reform-Turbo – seine Ideale sind durch zahlreiche Initiativen und durch den Marschhalt blockiert













Thomas von Felten ist Schulleiter in Pratteln, Bild: Jérôme Depierre
"Ich nehme die Vergänge gelassen hin", Basler Zeitung, 2.5. von Daniel Wahl


BaZ: Thomas von Felten, im September 2010 war die Abstimmung – der Beitritt zum Harmos-Konkordat – gewonnen. Mit der Einführung des Lehrplans 21 wurde freudig gerechnet. Im Zuge dieser Aufbruchstimmung wurden letztlich Lernlandschaften in Pratteln eingeführt. Wie viel von der damaligen Euphorie ist noch übrig geblieben, jetzt, wo nahezu alle Reformen blockiert sind?
Thomas von Felten: Anlass für die Veränderung an der Sekundarschule Pratteln war nicht primär die Abstimmung zur Bildungsharmonisierung. Vielmehr war es Wunsch der Schulleitung und der Lehrer, eine Perspektive und einen Plan für die Sekundarschule Pratteln zu haben. Wir starteten mit einer Standortbestimmung. Wir wollten wissen, wie wir uns entwickeln können, um die politischen Veränderungen von aussen umsetzen zu können.

Was letztlich zur Installation von Lernlandschaften führte.
Ja, der Weg führte dorthin. Aber zunächst gelangten wir zur Erkenntnis, dass wir die Zusammenarbeit unter den Lehrern verbessern wollen. Die Umsetzung der Idee Lehrplan 21 war nie die primäre Triebfeder. Dank vielen kleinen Schritten näherten wir uns schliesslich dem Modell Lernlandschaften. Es begünstigt die Kooperation unter den Lehrern, was wir fördern wollten.

Diese Umwandlung des bisherigen Schulbetriebs zu Lernlandschaften geschah ohne öffentliche Diskussion – ohne Beteiligung der Politik. Das führte zu Aussagen wie: Stopp den pädagogischen Spielereien in Pratteln. Haben Sie in der Euphorie der Reformen das Fuder mit der Einführung von Lernlandschaften überladen?
Das glaube ich nicht. Das Projekt basierte auf der Initiative der Lehrpersonen und dem Wunsch des Kollegiums, sich verändern und entwickeln zu wollen. Ich gehe sogar davon aus, dass es für unsere Schule von Vorteil war, sich mit einem solchen Projekt zu beschäftigen, statt sich mit den politischen Reformen auseinandersetzen zu müssen. Natürlich aber setzen wir auch alle Vorgaben der Politik für unser Bildungswesen um.

Nochmals zurück zum Thema der Eingangsfrage: Die Reformen in der Schule sind gestoppt, die Einführung von Sammelfächern durch Initiativen blockiert. Es herrscht Marschhalt, während Sie als Reform-Turbo bezeichnet werden. Wie nahe geht Ihnen das?
Regierungsrätin Monica Gschwind hat die Sache mit dem Entscheid, einen Marschhalt einzulegen, meines Erachtens richtig angepackt. Sie muss sich zunächst einen Überblick verschaffen können und alle Beteiligten unterschiedlichster Kräfte des Kantons im Boot halten. In meiner Funktion als Sekundarschulleiter von Pratteln nehme ich die Vorgänge gelassen hin: Ein neuer Lehrplan ist nicht match­entscheidend. Was wir aber brauchen, ist Planungssicherheit. Das fehlt zugegebenermassen im Baselbiet zum Teil. Nun aber haben wissen wir, wie viele Ressourcen zur Verfügung stehen. Den Schulbetrieb können wir aufrechterhalten.

Das klingt nach Minimalprogramm.
Klar, die Stimmung unter den Lehrpersonen an unserer Schule ist aufgrund der Unklarheiten und Sparmassnahmen nicht immer gut. Darum ist jetzt Gelassenheit angesagt. Die Lehrer haben täglich im Hier und Jetzt ihren Job zu erledigen. Und das machen sie hervorragend.

Ihre Lehrer werden zu Ausbildungen aufgeboten – zum Beispiel in Sachen Sammelfächer –, die vielleicht gar nie gebraucht werden.
So ist es. Aber als Schulleiter habe ich den Auftrag, die Anweisungen des Amtes für Volksschulen umzusetzen. Es steht mir nicht zu, ein eigenes Reglement zu schaffen. Gibt es in zwei Jahren einen Austritt aus dem Projekt Passepartout, dann wäre dies ungünstig für uns. Allerdings liegt es nicht in meiner Kompetenz, unsere Ausbildungen zu stornieren.

Sie begeben sich etwas sehr in die Rolle eines Vollzugsbeamten. Sie haben doch einige Jahre an den Verordnungen mitgewirkt, die der Kanton einführen will.
Ich präzisiere: Es war ausschliesslich die Verordnung der Sekundarschule, an der ich mitgewirkt habe. Die Schulleiter der Sekundarschulen haben mich als ihren Präsident gewählt – so trage ich verschiedene Hüte und trenne das Berufliche von meiner privaten Meinung.

Sind Sie jetzt Politik-ergeben? Sie waren doch Gestalter. Nun sagen Sie, der Lehrplan 21 ist nicht matchentscheidend. Was ist Ihnen noch wichtig an Ideen, die angestossen wurden?
Als Schulleiter der Sekundarschule kann ich nur nochmals betonen: Es ist nicht entscheidend, ob es den Lehrplan 21 gibt oder ob Sammelfächer eingeführt werden oder nicht. Allerdings bin ich persönlich der Meinung, dass der Lehrplan 21 eine gute Sache ist. Das Sprachenkonzept Passepartout mit Frühfranzösisch und den Lehrmitteln «Mille feuilles» und «Clin d’Œil» könnte ein sinnvoller Weg sein, der allerdings von Geburtswehen begleitet ist. Für unsere Schule ist das aber genauso wenig matchentscheidend. Wichtiger für die Schule sind die Checks, die Projektarbeit und das Abschlusszertifikat. Sie sind aus meiner Sicht eine Chance, weil sie uns gute Rückmeldungen zum Lernstand der Schülerinnen und Schüler geben. Begleitend helfen uns die Checks, festzustellen, welche Schüler welche Schwächen haben, damit wir sie gezielt angehen und die Jugendlichen stärken können. Ausserdem ist mir als Schulleiter die Kooperation unter den Lehrpersonen wichtig. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist viel wichtiger als der neue Lehrplan 21.

Für viele ist er ein ideologisiertes Programm, das in eine falsche Richtung zielt. In diesem Zusammenhang ist die Stossrichtung «Einspruch» zu erwähnen, an der auch die SP-Ständerätin Anita Fetz partizipierte.
Diese Kritik ist politisch. Es ist korrekt, wenn man sich äussert. Wenn die Kompetenzen vom Bildungsrat an den Landrat verschoben werden, nehme ich dies als Schulleiter zur Kenntnis und richte mich entsprechend ein.

Werden die Kinder mit den teuren Reformen klüger und besser aus der Schule kommen?
Ob es mit den Neuerungen besser oder schlechter sein wird, kann ich derzeit nicht sagen. Ich bin kein Prophet. Was wir wissen: Es findet eine Veränderung statt. Ich höre aus der Wirtschaft immer wieder, dass es Bereiche gibt, die sich verbessert haben. In anderen sieht man Defizite.

Wo orten Sie diese?
Das Erlernen von Fremdsprachen war offenbar problematisch. Mit dem Projekt Passepartout soll es eine Verbesserung geben. Genauere Resultate erhalten wir erst nach der Evaluation des Projekts. Die ersten Rückmeldungen aus den Gymnasien im Wallis stimmen mich aber zuversichtlich: In der Grammatik und Textproduktion sind die Schüler zwar weniger gut, dafür sind sie viel stärker im Leseverstehen und im Reden. Letztlich kommt Sprache von Sprechen. In unserem viersprachigen Land ist das meines Erachtens ein gutes Zeichen.

Zurück zu Ihren Lernlandschaften. Wie evaluieren Sie den Bildungseffekt dieses Modells?
Im Schulbetrieb messen wir mit normalen Instrumenten: mit Tests und Orientierungsarbeiten. Wir haben Vergleiche. In Lernlandschaften sind die Leistungen an den kantonalen Orientierungsarbeiten in diesem Schuljahr leicht überdurchschnittlich ausgefallen. Abschliessend können wir den Erfolg jedoch beurteilen, wenn die ersten Jahrgänge unsere Schule verlassen und wir Rückmeldungen von Lehrmeistern und weiterführenden Schulen haben.

Nirgends werden beide Modelle so nahe beieinander geführt wie in Pratteln. Können Sie schon sagen, ob jemand in Pratteln bevorzugt ist, wenn er in die Lernlandschaft eingeteilt ist?
In Bezug auf die Fachkompetenz allein wird es keinen Unterschied geben. Das wage ich heute schon zu prognostizieren. Aber ich bin überzeugt, dass Schüler im Bereich der Selbstorganisation und des selbstverantwortlichen Lernens in Lernlandschaften im Vorteil sind. Sie können Aufgaben selbstständiger anpacken und den Lern­erfolg selber kontrollieren.

Wohin wird sich die Schule Baselland nach dem Reformstopp bewegen?
Das ist schwierig zu sagen. Es gibt viele Initiativen, das Verhältnis zwischen Bildungsrat und Landrat ist offen. In dieser politischen Situation müssen sich die Schulen auf sich, auf ihre Entwicklung und Arbeit konzentrieren. Die politischen Entscheide werden sie zur Kenntnis nehmen müssen und entsprechend umsetzen.

Einfach den Job machen …
Ja. Das ist mir ein Anliegen. Durch die schwierige Situation, verbunden mit der verständlicherweise sehr kritischen Berichterstattung, steht die Bildung im Baselland in einem ungünstigen Licht. Es herrscht eine grosse Diskrepanz zum Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer: Sie arbeiten gut. 


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