2. Mai 2016

Erziehung zur Bürokratie

Sekundar- und Realschüler vom Fröschmattschulhaus in Pratteln, die als erste im Kanton in Lernlandschaften eingeteilt wurden, befinden sich auf der Zielgeraden. Zeit, sich dort umzusehen. An einer Wand in einer Lernlandschaft (Lela), die als Grossraumbüro für bis 60 Schüler eingerichtet ist, hängen die ersten Trophäen: Bestätigungen für Schüler, die eine Lehrstelle gefunden haben.













Lernlandschaft in Pratteln. Bild: Jérôme Depierre
Routine anstelle von Faszination, Basler Zeitung, 2.5. von Daniel Wahl


Vier bis fünf Lehrer führen gemeinsam eine Lela. Von denen gibt es je zwei fürs Niveau A (Real) und E (Sek). Die Lehrer finden ihre kooperative Unterrichtsmethode gut und wollen vermutlich genauso wenig zurück wie jene Lehrer in Frenkendorf, die ohne öffentlichen Diskurs ebenso eine Lela eingerichtet haben. Bei den Schülern hingegen ist der Zauber verflogen. «Die vom P (progymnasialer Leistungszug, Anm. d. R.) müssen nicht in eine Lernlandschaft gehen. Wir E- und A-Schüler aber müssen», beginnt der 15-jährige Vladir das System im Fröschmattschulhaus zu erklären. Nicht dass er den Schulverleider hätte kurz vor dem Abschluss. Aber sein Kollege Alessio ergänzt: «Ich glaube, in der Lernlandschaft ist es anstrengender und etwas langweiliger, weil man viel mehr selber machen muss.» Attraktiv seien die Input-Stunden, wo im Klassenverband etwas erarbeitet wird und nicht die Schaffensphasen in den Lela, heisst es auf dem Pausenhof. Die Lehrer würden sagen, sie spielten weniger «den Unterhalter», die Kinder organisierten sich eigenständiger.

Etwas mehr als die Hälfte aller Oberstufenschüler besucht in Pratteln eine Lela. Wer am Pilotprojekt teilnimmt und wer in eine normale Klasse kommt, können die Schüler nicht mitentscheiden. Interessanterweise führt dies keineswegs zu Eifersüchteleien. Das System scheint für die Schüler weder besser noch schlechter zu sein; die anfängliche Faszination ist der Routine gewichen.
Protokolle als Schülerkontrolle
Die Rotation zwischen Input-Stunden, Turn- und Hauswirtschafts- oder Musikunterricht ist so gross, dass eine Lela fast immer dünn besiedelt ist. Der grosse Teil der trostlosen mit Lochblech umfriedeten Pulten bleibt unbesetzt, an denen permanent Regeln vor der Nase hängen wie: «Ich verhalte mich ruhig und arbeite konzentriert.» Oder: «Ich versuche selber einen Lösungsweg zu finden.» Musse könnte man sich auch anders vorstellen: weniger kontrolliert, wie es die Amerikaner machen – etwa im Film «Club der toten Dichter». In Pratteln ist das Lernen aber von einer grossen Bürokratie begleitet. Es gibt Planungsjournale, die Schüler müssen ihre Lernfortschritte laufend dokumentieren. Das ist wohl das Anstrengende, wie Alessio es formuliert hatte.


Ohnehin ist schriftlicher Organisationsaufwand in der Lela sichtbar. Offenbar, damit die Kinder nicht durch die Maschen schlüpfen können und die Lehrer die Kontrolle über Schüler behalten. Was Schüler in diesem Zusammenhang erzählen: Das selbst organisierte Lernen erfordert einen hohen Grad an Disziplin. Starken Schülern gelingt dies, schwache geraten am Ende unter Druck. Dann schreiben sie die Aufgaben schnell ab, um aufzuholen. Der Lerneffekt tendiert dabei gegen null. Das will die Schule in den Griff kriegen: mit mehr Bürokratie. «Lela sind verstärkt auf die erfolgreiche Laufbahn der Lernenden ausgerichtet», heisst es in den Zielen. Es ist der Arbeitsalltag mit Stempeluhren und Arbeitsprotokollen. Schulabgänger: willkommen in der Wirtschaft, willkommen in der Verwaltung.

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