17. März 2016

"Untaugliches" Französischkonzept wird mit obligatorischer Weiterbildung durchgesetzt

Eine qualifizierte Französischlehrerin darf nicht mehr unterrichten, weil sie nicht an die "Sprachsee-Ideologie" glaubt.













Katrin Schaltenbrand sollte zur "Vorzeige-Französischlehrerin" ausgebildet werden, Bild: Nicole Pont
Kaum Verständnis für richtiges Französisch, Basler Zeitung, 17.3. von Daniel Wahl
 
Ein bemerkenswerter Vorgang, der sich derzeit an den Sekundarschulen im Kanton Baselland abspielt: Wer nicht bereit ist, zwei volle Wochen für die Ausbildung am heftig kritisierten Französischlehrmittel «Mille feuilles» (3. bis 6. Schuljahr) und dem Anschlusslehrmittel in den Sekundarschulen «Clin d’œil» (7. und 8. Schuljahr) zu investieren, muss von den Sekundarschulleitungen vor die Tür gestellt werden. Das Unterrichten wird von einer «obligatorischen» Weiter­bildung abhängig gemacht. Lehrer, die nicht daran teilnehmen, erhalten keine Unterrichtsstunden mehr.

Bis vor einer Woche herrschte darüber noch Verwirrung an den Sekundar­schulen. Da teilte im vergangenen Dezember Regierungsrätin Moncia Gschwind schriftlich mit: «Die Schulleitungen haben den notwendigen Spielraum dazu, denn sie ermitteln im Mitarbeitergespräch (MAG) den individuellen Fortbildungsbedarf jeder betroffenen Lehrperson. Die Schulleitungen teilen den Lehrern die Fächer und das Pensum zu. Wird kein funktionsbezogener Fortbildungsbedarf ermittelt, so haben die Schulleitungen die Möglichkeit, den Französischlehrpersonen auch künftig Französischlektionen zuzuteilen.» Was so interpretiert wurde: Die Schulleitungen hätten die Kompetenz, im Französisch denjenigen einzusetzen, den sie dazu für befähigt halten.
Zwingender «Fortbildungsbedarf»
An der Konferenz der Schulleiter erklärte aber Schulleiter Thomas von Felten, der vom früheren Bildungsdirektor Urs Wüthrich beauftrage Lehrplan-21-Promotor, die Weiterbildung am neuen umstrittenen Lehrmittel für obligatorisch. Es besteht also zwingend «Fortbildungsbedarf.»

Hintergrund ist die vertragliche Verpflichtung von sechs Deutschschweizer Kantonen, im Rahmen des Projekts «Passepartout» Französisch als Erstsprache an der Schule zu unterrichten. Aber nicht nur das: Bindend sind auch das gemeinsame Lehrmittel und die Teilnahme an der explosionsartig angewachsenen Weiterbildung. Normalerweise werden für die Einführung eines Lehrmittels drei Halbtage investiert. Die Lehrmittelexperten haben sich mit einer Versechsfachung des Kursunterrichts insgesamt 84 Stunden zugeschanzt.

Unter diesen Voraussetzungen wird ab kommendem Schuljahr auch die bei den Kindern beliebte und qualifizierte Französischlehrerin Kathrin Schaltenbrand zu leiden haben. Unterrichtserlaubnis gibt es nur noch für Klassen, die nach alter Didaktik ihre Schullaufbahn beenden. Hält sich die Schulleitung der Sekundarschule Allschwil an die Ins­truktion der Bildungsdirektion, darf sie «ihre Angestellte» nicht mehr im Unterricht für die «Mille feuilles»-Schüler einsetzen. Erstmals gibt es im Baselbiet ein Didaktik-Gebot: Unterrichtsmethode geht vor beruflicher Qualifikation.

Dabei hätte es gerade bei Kathrin Schaltenbrand anders herauskommen sollen. Die junge Sekundarschullehrerin war auserwählt, zur Vorzeige-Französischlehrerin ausgebildet zu werden. Ihre guten Referenzen hätten sie dazu prädestiniert, als Instruktorin ihre Kollegen im neuen Konzept von «Mille feuilles & Co.» einweisen zu dürfen. Gemäss dieser Methode geht es darum, den Schülern ein «zweisprachiges Aufwachsen» vorzuleben – lernen wie kleine Kinder, die in einem «Bilingue-Elternhaus» aufwachsen. Eingetaucht in einen Sprachsee, wo die Schüler die Fremdsprache wie die Muttermilch aufsaugen.

Neugierig und unvoreingenommen besuchte die Lehrerin, die seit dem Jahr 2002 ein 100-Prozent-Pensum hat und «Franzi» unterrichtet, Kursstunden und sah dann aber, dass das Konzept «schlicht untauglich» sei. «Während zwei Stunden Unterricht an der Sekundarschule kann man nicht ein 24-Stunden-Sprachbad simulieren, wie das ­Kinder in zweisprachigen Gebieten erleben», sagt sie. «Es geht nur um die Verständigung, und nicht mehr ums Französisch-Können», führt sie aus und kommt in Bezug auf die künfti- gen Französischkompetenzen in der Schweiz zum verheerenden Schluss: «Schüler, die nach dem Didaktik­konzept unterrichtet werden, werden eine schriftliche Französischmatur nicht bestehen können.»

Schaltenbrands Erkenntnis teilt der Bieler Stadtrat und Lehrer Alain Pichard, der seit über einem Jahr nach der neuen Ideologie unterrichten muss. Seine Schüler seien mit dem neuen Lehrmittel nicht besser geworden, dafür seien die Probleme angestiegen. «Aufgrund der Erkenntnis, dass die Schüler am Ende ihrer Laufbahn wegen des neuen Lehrmittels nicht besser, sondern schlechter Französisch sprechen, ist unter den Gymlehrern bereits die abenteuerliche Idee aufgetaucht, Französisch als Selektionsfach abzuschaffen», sagt Pichard. Die Idee, Forfait zu geben, ist also lanciert.
Praxisfremdes Kinderbild
Die von «Mille feuille» gelehrte Philosophie des Spracherwerbs bezeichnet der Bieler Lehrer als überholt. «Man weiss, dass Kinder zwischen drei und vier Jahren keine Wörtchen lernen und Grammatik büffeln.» Daraus zu schliessen, dass ältere Kinder genauso denken, gehe von einem praxisfremden Kinderbild aus. Schulfähige Kinder seien mit einem Lehrmittel verloren, in dem sich die Sprache einem selber erschliessen sollte, mit einem Lehrmittel, das keinen grammatikalischen Aufbau mitbringt und in welchem kein roter Faden erkennbar ist. Ob Pichard recht hat? Eine wissenschaftliche Validierung für den Erfolg von «Mille feuilles» gibt es seltsamerweise in dieser akademischen Branche nicht. Auch die Baselbieter Bildungsdirektion befindet sich seit Einführung im Blindflug.
Initiativen von «Starke Schule»
Und für diesen wollte sich Katrin Schaltenbrand nicht hergeben. Dass sie bewährten Französischunterricht geben kann, hat sie gegenüber Schul­leitung und Schulrat bewiesen. Beide Gremien bekräftigen denn auch gegenüber der BaZ, die engagierte Franzi-Lehrerin «behalten zu wollen». Eine Anfrage an die Bildungsdirektion hat die Sekundarschule gestellt, offiziell beantwortet wurde sie noch nicht.

Ohnehin ist die Zukunftsperspektive dieser Sprachsee-Ideologie wieder infrage gestellt. Das Komitee Starke Schule hat angekündigt, die beiden angekündigten Initiativen «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe» und «Austritt aus dem Passepartout-Fremdsprachenprojekt» am Montag einzureichen. Offenbar sind die Initiativen zustande gekommen. Würde «Passpartout» abgeschossen, dürfte Kathrin Schaltenbrand auf einmal wieder unterrichten.


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