Eine qualifizierte Französischlehrerin darf nicht mehr unterrichten, weil sie nicht an die "Sprachsee-Ideologie" glaubt.
Katrin Schaltenbrand sollte zur "Vorzeige-Französischlehrerin" ausgebildet werden, Bild: Nicole Pont
Kaum Verständnis für richtiges Französisch, Basler Zeitung, 17.3. von Daniel Wahl
Ein bemerkenswerter
Vorgang, der sich derzeit an den Sekundarschulen im Kanton Baselland abspielt:
Wer nicht bereit ist, zwei volle Wochen für die Ausbildung am heftig
kritisierten Französischlehrmittel «Mille feuilles» (3. bis 6. Schuljahr) und
dem Anschlusslehrmittel in den Sekundarschulen «Clin d’œil» (7. und 8.
Schuljahr) zu investieren, muss von den Sekundarschulleitungen vor die Tür
gestellt werden. Das Unterrichten wird von einer «obligatorischen» Weiterbildung
abhängig gemacht. Lehrer, die nicht daran teilnehmen, erhalten keine
Unterrichtsstunden mehr.
Bis
vor einer Woche herrschte darüber noch Verwirrung an den Sekundarschulen. Da
teilte im vergangenen Dezember Regierungsrätin Moncia Gschwind schriftlich mit:
«Die Schulleitungen haben den notwendigen Spielraum dazu, denn sie ermitteln im
Mitarbeitergespräch (MAG) den individuellen Fortbildungsbedarf jeder
betroffenen Lehrperson. Die Schulleitungen teilen den Lehrern die Fächer und
das Pensum zu. Wird kein funktionsbezogener Fortbildungsbedarf ermittelt, so
haben die Schulleitungen die Möglichkeit, den Französischlehrpersonen auch
künftig Französischlektionen zuzuteilen.» Was so interpretiert wurde: Die
Schulleitungen hätten die Kompetenz, im Französisch denjenigen einzusetzen, den
sie dazu für befähigt halten.
Zwingender
«Fortbildungsbedarf»
An
der Konferenz der Schulleiter erklärte aber Schulleiter Thomas von Felten, der
vom früheren Bildungsdirektor Urs Wüthrich beauftrage Lehrplan-21-Promotor, die
Weiterbildung am neuen umstrittenen Lehrmittel für obligatorisch. Es besteht
also zwingend «Fortbildungsbedarf.»
Hintergrund
ist die vertragliche Verpflichtung von sechs Deutschschweizer Kantonen, im
Rahmen des Projekts «Passepartout» Französisch als Erstsprache an der Schule zu
unterrichten. Aber nicht nur das: Bindend sind auch das gemeinsame Lehrmittel
und die Teilnahme an der explosionsartig angewachsenen Weiterbildung.
Normalerweise werden für die Einführung eines Lehrmittels drei Halbtage
investiert. Die Lehrmittelexperten haben sich mit einer Versechsfachung des
Kursunterrichts insgesamt 84 Stunden zugeschanzt.
Unter
diesen Voraussetzungen wird ab kommendem Schuljahr auch die bei den Kindern
beliebte und qualifizierte Französischlehrerin Kathrin Schaltenbrand zu leiden
haben. Unterrichtserlaubnis gibt es nur noch für Klassen, die nach alter
Didaktik ihre Schullaufbahn beenden. Hält sich die Schulleitung der
Sekundarschule Allschwil an die Instruktion der Bildungsdirektion, darf sie
«ihre Angestellte» nicht mehr im Unterricht für die «Mille feuilles»-Schüler
einsetzen. Erstmals gibt es im Baselbiet ein Didaktik-Gebot: Unterrichtsmethode
geht vor beruflicher Qualifikation.
Dabei
hätte es gerade bei Kathrin Schaltenbrand anders herauskommen sollen. Die junge
Sekundarschullehrerin war auserwählt, zur Vorzeige-Französischlehrerin
ausgebildet zu werden. Ihre guten Referenzen hätten sie dazu prädestiniert, als
Instruktorin ihre Kollegen im neuen Konzept von «Mille feuilles & Co.»
einweisen zu dürfen. Gemäss dieser Methode geht es darum, den Schülern ein
«zweisprachiges Aufwachsen» vorzuleben – lernen wie kleine Kinder, die in einem
«Bilingue-Elternhaus» aufwachsen. Eingetaucht in einen Sprachsee, wo die
Schüler die Fremdsprache wie die Muttermilch aufsaugen.
Neugierig
und unvoreingenommen besuchte die Lehrerin, die seit dem Jahr 2002 ein
100-Prozent-Pensum hat und «Franzi» unterrichtet, Kursstunden und sah dann
aber, dass das Konzept «schlicht untauglich» sei. «Während zwei Stunden
Unterricht an der Sekundarschule kann man nicht ein 24-Stunden-Sprachbad
simulieren, wie das Kinder in zweisprachigen Gebieten erleben», sagt sie. «Es
geht nur um die Verständigung, und nicht mehr ums Französisch-Können», führt
sie aus und kommt in Bezug auf die künfti- gen Französischkompetenzen in der Schweiz
zum verheerenden Schluss: «Schüler, die nach dem Didaktikkonzept unterrichtet
werden, werden eine schriftliche Französischmatur nicht bestehen können.»
Schaltenbrands
Erkenntnis teilt der Bieler Stadtrat und Lehrer Alain Pichard, der seit über
einem Jahr nach der neuen Ideologie unterrichten muss. Seine Schüler seien mit
dem neuen Lehrmittel nicht besser geworden, dafür seien die Probleme
angestiegen. «Aufgrund der Erkenntnis, dass die Schüler am Ende ihrer Laufbahn
wegen des neuen Lehrmittels nicht besser, sondern schlechter Französisch
sprechen, ist unter den Gymlehrern bereits die abenteuerliche Idee aufgetaucht,
Französisch als Selektionsfach abzuschaffen», sagt Pichard. Die Idee, Forfait
zu geben, ist also lanciert.
Praxisfremdes Kinderbild
Die
von «Mille feuille» gelehrte Philosophie des Spracherwerbs bezeichnet der
Bieler Lehrer als überholt. «Man weiss, dass Kinder zwischen drei und vier
Jahren keine Wörtchen lernen und Grammatik büffeln.» Daraus zu schliessen, dass
ältere Kinder genauso denken, gehe von einem praxisfremden Kinderbild aus.
Schulfähige Kinder seien mit einem Lehrmittel verloren, in dem sich die Sprache
einem selber erschliessen sollte, mit einem Lehrmittel, das keinen
grammatikalischen Aufbau mitbringt und in welchem kein roter Faden erkennbar
ist. Ob Pichard recht hat? Eine wissenschaftliche Validierung für den Erfolg
von «Mille feuilles» gibt es seltsamerweise in dieser akademischen Branche
nicht. Auch die Baselbieter Bildungsdirektion befindet sich seit Einführung im
Blindflug.
Initiativen von «Starke
Schule»
Und
für diesen wollte sich Katrin Schaltenbrand nicht hergeben. Dass sie bewährten
Französischunterricht geben kann, hat sie gegenüber Schulleitung und Schulrat
bewiesen. Beide Gremien bekräftigen denn auch gegenüber der BaZ, die engagierte
Franzi-Lehrerin «behalten zu wollen». Eine Anfrage an die Bildungsdirektion hat
die Sekundarschule gestellt, offiziell beantwortet wurde sie noch nicht.
Ohnehin
ist die Zukunftsperspektive dieser Sprachsee-Ideologie wieder infrage gestellt.
Das Komitee Starke Schule hat angekündigt, die beiden angekündigten Initiativen
«Eine Fremdsprache auf der Primarstufe» und «Austritt aus dem
Passepartout-Fremdsprachenprojekt» am Montag einzureichen. Offenbar sind die
Initiativen zustande gekommen. Würde «Passpartout» abgeschossen, dürfte Kathrin
Schaltenbrand auf einmal wieder unterrichten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen