Der Baselbieter Lehrerverein
kündigt die Lancierung zweier Volksinitiativen an. Damit wächst im ehemaligen
Harmos-Pionierkanton die Liste der hängigen bildungspolitischen Volksbegehren.
Die Baselbieter Schule läuft Gefahr, zum Spielball politischer Interessengruppen
zu werden.
Wie viel soll das Volk der Volksschule dreinreden? Bild: Nils Fisch
Baselbieter Schule wird zum Spielball von Interessengruppen, Tageswoche, 11.3. von Dominique Spirgi
Der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann
zeigte sich nach der Abstimmung über die Wahlpflichtfach-Initiative am 28.
Februar in Sorge. Dies weniger wegen der Initiative selber, sondern weil er
ganz allgemein befürchtet, dass sich durch den Erfolg nun auch andere
Interessengruppen motiviert fühlen könnten, ihre Anliegen per Volksinitiative
durchzusetzen: «Initiativen sind nicht das geeignete Mittel», sagte Eymann
gegenüber der TagesWoche. «Sie bringen, wie sich das in anderen
Kantonen zeigt, viel Unruhe in die Schule.»
Mit den «anderen Kantonen» dürfte Eymann vor allem
das Baselbiet gemeint haben. Dort ist spätestens seit der Neuwahl der Regierung
und damit der Neubesetzung der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion eine wahre
Flut von Volksinitiativen zu Bildungs- und Schulthemen lanciert worden.
Besonders aktiv im Unterschriftensammeln ist das Komitee
Starke Schule Baselland um den streitbaren Lehrer und Landrat
Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige). Es hat schon über ein Dutzend
Bildungsinitiativen selber lanciert oder massgeblich mitgetragen.
Drei Bildungsinitiativen an einem
Abstimmungs-Wochenende
Am
nächsten Abstimmungstermin, dem 5. Juni, wird in Baselland gleich über drei
Bildungsinitiativen entschieden:
·
«Verzicht
auf kostentreibende Sammelfächer»: Die Parlamentarische Initiative will die im
Lehrplan 21 vorgesehenen Sammelfächer auf der Sekundarstufe I verhindern.
Einzelfächer wie Biologie, Geschichte und weitere Fächer sollen explizit im
Bildungsgesetz verankert werden.
·
«Einführung
Lehrplan 21»: Diese Parlamentarische Initiative möchte, wenn auch etwas
verklausuliert, genau das Gegenteil von dem erreichen, was ihr Titel
verspricht. Konkret geht es darum, die Kompetenzen zur Umsetzung des
umstrittenen Lehrplans 21 vom Bildungsrat an den (rechtsbürgerlich dominierten
und damit nicht sonderlich reformfreundlichen) Landrat zu übertragen.
·
«Bildungsqualität
auch für schulisch Schwächere»: Die unformulierte Volksinitiative will den mit
dem Entlastungspaket der Regierung beschlossenen Verzicht auf die Kaufmännische
Vorbereitungsschule verhindern.
Frontalangriff gegen Harmos
Das ist aber nur ein Teil der bildungspolitischen
Vorlagen, die in Baselland mittelfristig zur Abstimmung kommen werden. Eine der
gewichtigsten und symbolträchtigsten Vorlagen dürfte die Volksinitiative für
einen «Austritt aus dem überteuerten und gescheiterten Harmos-Konkordat» sein.
Pikant ist diese Vorlage, weil damit das Baselbiet, das die Schulharmonisierung
als Pionierkanton einst in Gang brachte, nun als einer der ersten Kantone den
Austritt beschliessen könnte.
Auch
gegen die neue Fremdsprachenregelung auf Primarschulstufe laufen die Reform-Skeptiker
im Landkanton Sturm. Dazu hat das Komitee Starke Schule Baselland im Oktober
2015 gleich zwei Initiativen lanciert: Eine fordert den Ausstieg aus dem
Passepartout-Fremdsprachenprojekt, die zweite will grundsätzlich verhindern,
dass in der Primarschule zwei Fremdsprachen auf dem Lehrplan stehen.
Weitere Initiativen im Köcher
Das waren noch immer nicht alle bereits
eingereichten und laufenden Initiativen. Auch derBaselbieter Lehrerinnen- und Lehrerverband kündigt die
Lancierung zweier Volksinitiativen an, «die sich gegen eine verfehlte und
einseitige Sparpolitik» im Schulbereich wenden. Genaueres möchte der
Geschäftsführer und Vizepräsident des Vereins, Michael Weiss, zu den
Initiativen, die am Mittwoch, 16. März, der Öffentlichkeit vorgestellt werden
sollen, noch nicht sagen. Er verrät nur, dass es bei diesen Initiativen nicht
um Partikularinteressen gehe.
Dass eine
ganze Reihe von Initiativen zur Debatte stehen, mit denen eben gerade
Partikularinteressen verfolgt werden, löst bei Weiss aber keine Abwehrhaltung
aus. «Das ist die demokratische Folge davon, dass der Diskurs über die
zahlreichen Reformvorhaben in der Öffentlichkeit bis jetzt nicht genügend
geführt wurde», sagt er. «Wir haben zwar über einen Beitritt zum
Harmos-Konkordat abgestimmt, aber damals wusste man nicht wirklich, worauf wir
uns damit einlassen.»
Monica Gschwind hätte gerne mehr Ruhe
Die
Bildungsdirektorin Monica Gschwind, die sich selber als Kritikerin des
Lehrplans 21 ins Amt hieven liess, gibt sich alle Mühe, etwas Ruhe in die
verwirrende Debatte zu bringen. Sie rief deshalb kurz nach ihrem Amstantritt im
Sommer 2015 einen «Marschhalt» bei der Umsetzung des Lehrplans auf
Sekundarstufe aus, damit sich alle Akteure aus dem Bildungsbereich an einem
runden Tisch aussprechen können.
«Das Ziel sind mehrheitsfähige und breit
abgestützte Lösungen für unser Bildungssystem im Kanton und letztlich auch die
Vermeidung weiterer Bildungsinitiativen», sagte sie am 28. Oktober, als sie vor
den Medien eine erste Zwischenbilanz ihrer noch jungen Regierungszeit zog.
Das Ziel,
weitere Initiativen zu vermeiden, wurde (noch) nicht erreicht, wird aber nach
Auskunft der Mediensprecherin der Baselbieter Bildungs-, Kultur- und
Sportdirektion, Deborah Murith, weiter angestrebt: «Das Ziel der
Bildungspolitik von Regierungsrätin Monica Gschwind ist es, in der
Zusammenarbeit mit den Anspruchsgruppen dahin zu gelangen, dass die empfundene
Notwendigkeit für Initiativen wegfällt», schreibt sie auf eine Anfrage der
TagesWoche. «Dieser Weg ist anspruchsvoll und braucht Zeit sowie gemeinsame Erfahrungen.»
Lehrerverein hat nichts gegen die Unruhe
Die Unruhe wird also wohl noch einige Zeit
andauern. Der Lehrerverein empfindet dies nicht als negativ. In der aktuellen
Ausgabe der seiner Zeitschrift «lvb-inform» bezeichnet der Präsident Roger von Wartburg
die «kollektive Sehnsucht nach Ruhe» gar als «erdrückend».
«Wer
weiterhin unbeirrt bildungspolitische Massnahmen hinterfragt, dem wird bald
einmal vorgeworfen, durch sein Verhalten Unruhe zu provozieren, ja ein
veritabler Unruhestifter zu sein», schreibt von Wartburg. Dabei sind es seiner
Meinung nach gerade diejenigen, die gegenwärtig am lautesten nach mehr Ruhe
rufen, die «durch ihre reformistische Endlosschlaufe für eine nachhaltige
Unruhe an den Schulen sorgten».
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