Lehrplan-Anhänger schaffen Tatsachen, NZZ, 23.2. von Lucien Scherrer
Der Lehrplan 21 ist in den letzten Monaten von links und rechts
unter Beschuss geraten. In mehreren Kantonen sind wegen pädagogischer und
politischer Vorbehalte Initiativen zustande gekommen, die eine Volksabstimmung
erzwingen wollen - mit dem Ziel, das ehrgeizige Projekt der Eidgenössischen
Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) zu stoppen.
Auch
im Kanton Zürich könnte der Souverän das letzte Wort haben. Wie die
Staatskanzlei am Freitag mitgeteilt hat, ist die Ende November von Pädagogen,
Kinderärzten sowie rechtskonservativen und jungfreisinnigen Politikern
eingereichte Initiative «Lehrplan vors Volk» mit mehr als 6000 geprüften
Unterschriften zustande gekommen.
Unbeirrt weitermachen
«Nun
hoffen wir, dass möglichst bald abgestimmt werden kann», sagt SVP-Kantonsrätin
Anita Borer namens der Initianten. Die maximale Frist von der Einreichung bis
zur Abstimmung beträgt 30 Monate. Konkret verlangt die Initiative, dass nicht
wie üblich der Bildungsrat, sondern der Kantonsrat über die Einführung des
neuen Lehrplans entscheidet. Da der Entscheid des Parlaments dem fakultativen
Referendum unterstellt werden soll, könnte es letztlich zu einer
Volksabstimmung kommen - und allenfalls auch zu einem «Nein» zu den
Bestrebungen der EDK, die Bildungsziele in den 21 Deutschschweizer Kantonen mit
einem Katalog von Hunderten «Kompetenzen» zu vereinheitlichen. Trotz diesen
Fragezeichen treibt die Bildungsdirektion die Umsetzung des «Jahrhundertwerks»
(so Ex-Bildungsdirektorin Regine Aeppli) voran, als wäre nichts geschehen. Man
mache «unbeirrt» weiter, erklärte Volksschulamt-Chef Martin Wendelspiess vor einem
Jahr dem «Landboten».
An
dieser Devise hat sich nichts geändert. Auch der Bildungsrat hat just eine
Stunde vor der Einreichung der Initiative im letzten November entschieden, den
neuen Lehrplan ab Schuljahr 2018/19 einzuführen. Eine Antwort auf eine Anfrage
von Anita Borer und weiteren Kantonsräten, ob es angesichts der drohenden
Abstimmung nicht angebracht wäre, die Einführung zu sistieren, ist der
Regierungsrat bis dato schuldig geblieben. Dafür hat der Bildungsrat dem
Zürcher Lehrmittelverlag verschiedene Lehrmittel in Auftrag gegeben, die auf
den Lehrplan 21 ausgerichtet sind, etwa «Gesellschaften im Wandel» oder «Kinder
begegnen Natur und Technik». Die Initianten empfinden das als Affront. «Man
versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen, obwohl es noch gar keinen Auftrag
gibt», sagt Anita Borer, «dabei wäre angesichts des Widerstandes ein Marschhalt
angebracht.»
«What else?»
Fest
steht, dass die Initiative keine aufschiebende Wirkung hat. Das Volksschulamt
weist die Kritik aber auch inhaltlich zurück. In Sachen Lehrmittel gebe es
keine scharfe Trennlinie «vor dem Lehrplan» und «mit dem Lehrplan», sagt
Sprecherin Brigitte Mühlemann: «Der Anforderungskatalog für neue Lehrmittel war
bereits vor dem Vorliegen des Lehrplans 21 in Richtung Kompetenzorientierung
angelegt.» Zudem betont Mühlemann, dass der Lehrmittelverlag keine Subventionen
beanspruche und sich selber finanziere - womit dem Kanton wegen der neuen
Lehrmittel keine Mehrkosten entstünden. Tatsächlich werden andere die Kosten zu
tragen haben, nämlich die Schulgemeinden. Sicher ist aber auch, dass der Kanton
weiterhin für das unternehmerische Risiko des Verlags (mit)haftet. Denn die
öffentlichrechtliche Institution soll zwar in eine Aktiengesellschaft
umgewandelt werden, Mehrheitsaktionär wird nach dem Willen der kantonsrätlichen
Bildungskommission aber der Kanton bleiben. Völlig am Markt vorbei sollten neue
Lehrmittel also nicht produziert werden.
An
den pädagogischen Hochschulen ist die Vermarktung des langersehnten, weil
Aufträge generierenden Lehrplans 21 derweil in vollem Gang. So bietet die PH
Zürich Kurse und Workshops an mit Titeln wie: «Lehrplan 21 - Nachhaltige
Ernährung macht Schule» oder: «Lehrplan 21 und Sexualpädagogik? What else?» Die
rhetorische Frage aus der Nespresso-Werbung ist offensichtlich nicht nur in
sexuellen Belangen Programm.
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