23. Februar 2016

Berner Beurteilungsschema wird überarbeitet

Die Wogen gingen hoch, nachdem der Berner Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) letzte Woche im Gymnasium Lerbermatt den Entwurf der neuen Beurteilungsberichte nach Lehrplan 21 vorgestellt hatte. Der Bieler Lehrer Alain Pichard und Kinder- und Jugendpsychologe Allan Guggenbühl äusserten am Wochenende harsche Kritik: Die «psychometrische Vermessung» der Kinder sei «inakzeptabel». Sie stören sich insbesondere an der neu vorgesehenen Bewertung von Verhalten und Charakter der Schüler (siehe BT von gestern).













Pulvers Beurteilungsschema wirft Fragen auf, Bild: Andreas Blatter
"Wir wollen das genaue Gegenteil", Bieler Tagblatt, 23.2. von Marius Aschwanden

Jetzt versucht Pulver, die Wogen zu glätten: «Was wir wollen, ist das genaue Gegenteil: weniger Vermessung, weniger Beurteilung und weniger Zeugnisse.»

Begründete Kritik
Ursprung der Kritik ist ein sechsseitiges Dokument, das die «Basler Zeitung» am Samstag publik machte. Darin ist ersichtlich, dass Lehrpersonen im Kanton Bern in den siebten bis neunten Schuljahren künftig auch die «personalen und sozialen Kompetenzen» ihrer Schüler ausweisen müssen. Entsprechende Bewertungen gibt es etwa für Selbstreflexion und Selbstständigkeit. Hinzu kommen Punkte für Dialog-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit sowie für ideologisch gefärbte Einschätzungen wie «Umgang mit Vielfalt».

«Diese Kategorien sind tatsächlich problematisch», sagt auch Bernhard Pulver. Insbesondere ideologische Einschätzungen hätten dort nichts verloren. So habe es sich auch nur um einen ersten Entwurf gehandelt, «mit dem ich selber noch nicht glücklich bin», sagt er. Hingegen dürfe das Dokument auch nicht aus seinem Zusammenhang gerissen werden. Und um diesen zu verstehen, müsse man die Entstehungsgeschichte des Bewertungsschemas kennen.

Anspruch der Lehrbetriebe
Die geplante Einführung des Lehrplans 21 auf das Schuljahr 2018/2019 erfordert auch eine Anpassung der Bewertung in der Volksschule. «Im Zentrum stand dabei stets eine Vereinfachung der Zeugnisse», sagt Pulver. So habe er Mitte 2015 in vier Hearings vor Lehrpersonen verschiedene Änderungen präsentiert: Die Zeugnisse im Kindergarten und der ersten Klasse werden abgeschafft, die überfachlichen Kompetenzen wie «Arbeits- und Lernverhalten» werden aus den Zeugnissen gestrichen, und in der Oberstufe gibt es anstelle von zwei nur noch ein Zeugnis pro Schuljahr. «Diese Änderungen wurden zwar gut aufgenommen. Die Oberstufenlehrer haben aber darauf hingewiesen, dass Lehrbetriebe in Bewerbungsschreiben auch eine Bewertung von überfachlichen Kompetenzen verlangen würden», so Pulver.

Pulver gibt sich selbstkritisch
Deshalb habe sich die Erziehungsdirektion mit Wirtschaftsvertretern zusammengesetzt, um deren Erwartungen an ein Zeugnis zu eruieren. Auf dieser Grundlage sei anschliessend das vergangene Woche vorgestellte Bewertungsschema der «personalen und sozialen Kompetenzen» erarbeitet worden. «Die Einschätzung hat mit der Notengebung aber nicht das Geringste zu tun», hält Pulver fest. Vielmehr soll es eine Alternative zum mittlerweile weit verbreiteten Multicheck sein. Mit diesem Test können Schüler auf Lehrstellensuche ihre überfachlichen Kompetenzen darlegen.

Wieso Pulver aber ein Dokument vorstellt, das er selber für noch nicht ausgereift hält, begründet er so: «Ich wollte von den Lehrpersonen wissen, wie sie darüber denken. Rückblickend war es aber vielleicht ein Fehler, ein noch nicht abgestütztes Papier zu präsentieren.» Jetzt werde das Bewertungsschema wie geplant überarbeitet. «Anschliessend werden wir weitere Hearings mit Lehrpersonen sowie eine breite Vernehmlassung durchführen.» Zur Anwendung kommen die neuen Beurteilungsberichte frühestens im Jahr 2018. 

2 Kommentare:

  1. Pulvers 180°Grad Wende: Sensationell, wie er sich aus dem Kakao zu winden versucht. Der Mann kann offenbar alles rechtfertigen. Immerhin ist nun klar, dass nochmals überarbeitet wird. Der Schlag aus der Presse von Samstag und Sonntag kam konzentriert, heftig und platziert. Er wird auch in den anstehenden Debatten zum LP 21 nachhallen.

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  2. Das erinnert doch sehr an die Methode des EU-Oberkommissars Jean-Claude Juncker:

    "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." - in Die Brüsseler Republik, Der Spiegel, 27. Dezember 1999.

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