Bei einer
Expertenanhörung im Landtag NRW (Deutschland) zur Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes
wurden markante und denkwürdige Stellungnahmen vorgebracht. Diese mahnten eine
grundsätzliche Revision der durch Bolognareform und Kompetenzorientierung
zunehmend wissenschafts- und bildungsfeindlichen Lehramtsstudiengänge an. Nicht
Bologna sei alternativlos: „Alternativlos ist nur Humanität“, so Ursula Frost
von der Universität zu Köln. Tatsächlich habe die Bolognareform die selbst
gesetzten Ziele nicht erreicht, sei rechtlich und theoretisch fragwürdig und
praktisch schädlich. „Kompetenz“ widerspreche dem Anspruch universitärer
Bildung, mit ihr würde eine Verhaltenssteuerung künftiger Lehrerinnen und
Lehrer angestrebt, die sich so kritiklos den ministeriell gewünschten
gewünschten Vorgaben anpassen sollten.
Lehrerbildung raus aus Bologna, Stellungnahmen zum Lehrerausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen, Gesellschaft für Bidung und Wissen, 26.2. von Jochen Krautz nach Beiträgen von Ursula Frost, Ulrich Heinen und Hans Peter Klein
Das Studium müsse
Persönlichkeitsbildung und Kohärenzerfahrung ermöglichen, was durch
Modularisierung und kleinteiliges studienbegleitendes Prüfen verhindert werde,
so Ulrich Heinen, der für die Lehrerbildung an der Bergischen Universität
Wuppertal an zentraler Stelle verantwortlich ist. Lehrerbildung auf technische
Regelsysteme auszurichten habe schon über Sowjetunion und DDR um 1960 in die
Reformen der Lehrerbildung hineinzuwirken begonnen und verschmelze neuerdings
insbesondere mit kybernetischen Lernauffassungen, die in Schlagworten wie
„individuelle Förderung“ und „Inklusion“ fortlebten, so Heinen.
Daher stelle der
Gesetzesentwurf einen weiteren „imperialen Durchgriff der Exekutive in die
Freiheit von Forschung und Lehre der nordrheinwestfälischen Universitäten“ dar,
stellte auch Hans Peter Klein von der Goethe Universität Frankfurt klar. Hierzu
gehöre die erneut verschärfte „Entfachlichung der Lehramtsstudiengänge
zugunsten fragwürdiger Unterrichtskonzepte“: Offenbar wolle man den
Fachdidaktiken nicht nur Inklusionsfragestellungen vorschreiben, sondern „die
völlig umstrittenen Konzepte der ‚Neuen Lernkultur‘ mit Individualisierung von
Unterricht, der Rolle des Lehrers als Lerncoach und konstruktivistischen
Unterrichtskonzepten entsprechend den Vorstellungen der rot-grünen
Landesregierung“ verbindlich durchsetzen, so Klein.
Tatsächlich sei für den
Lehrerberuf aber entscheidend, eigenständige Urteilsfähigkeit und unabhängigen
Sachverstand zu erwerben, Mut zu ungewöhnlichen Wegen anzuregen, Mitgefühl und
Solidarität zu kultivieren sowie politische und ethische Widerständigkeit, so
die Erziehungswissenschaftlerin Ursula Frost. Dies gelinge nur, wenn das
Studium die dialektische Studienerfahrung von Freiheit und Verantwortung
ermögliche, nicht aber durch modularisierte Gängelung: Wie sollten sonst
Lehrerinnen und Lehrer Urteilskraft und Verantwortung bei ihren zukünftigen
Schülerinnen und Schülern anleiten können?
Reflexionsinstanz hierzu
seien die Erziehungswissenschaften, nicht die „bildungsbürokratisch neu kreierte
Disziplin, die sogenannten ‚Bildungswissenschaften‘“, erklärte Ulrich Heinen.
Die Politik habe die Freiheit von Forschung und Lehre zu respektieren, nicht
zuletzt, weil die ministerielle Steuerung auf dem Verordnungsweg mehr zerstört
als gewinnt.
Empfohlen wird von den
genannten Experten die Aussetzung des Bologna-Prozesses, um einen neuen,
offenen Diskurs zu ermöglichen und eine Reform der Reform anzustoßen.
Insbesondere sei die Lehrerausbildung wieder an sachbezogener, persönlicher
Bildung im Kontext gesellschaftlicher und politischer Verantwortung
auszurichten. Fachsystematik habe Verhaltenssteuerung zu ersetzen, der Maßstab
mündiger Kritik die Normerfüllung. Einig waren sich die Experten zudem,
dass die Grundfragen der Lehrerbildung nicht länger der politischen und
fachlichen Debatte entzogen bleiben dürfen, sondern zurück in den Raum
demokratischer Mitbestimmung und diskursiver Verhandlung gerückt werden müssen.
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