24. Februar 2016

Fundierte Kritik wird totgeschwiegen

In diesen Tagen erscheint ein Buch des Philosophen Christoph Türcke mit dem provokativen Titel «Lehrerdämmerung. Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet» (Verlag C. H. Beck). Angesichts der anhaltenden Unsitte der Schulbürokratie, der politischen Parteien, der Medien und leider auch der Lehrerverbände, sich einer offenen, mit Argumenten geführten Bildungsdiskussion – über die Substanz der Reformen, nicht nur über die Fassade – zu verweigern, hätte die Überschrift eigentlich «Debattendämmerung» heissen müssen.
Zu den Widersprüche in der Basler Bildungspolitik, Basler Zeitung, 24.2. von Roland Stark


Christoph Türcke beschreibt den Siegeszug der neoliberalen Ideologie durch die Schulstuben und sieht die Gefahr eines neuen Zwangssystems heraufziehen. Elementare Techniken wie Kopfrechnen oder Rechtschreiben gelten nicht mehr «als Unterbau höherer Leistungen, sondern sind unter der Würde von Kindern, die durch kreatives Entdecken statt durch Pauken vorankommen sollen. Kompetenzmodellierer und Bildungspolitiker argumentieren wie Pianisten, die kaum mehr Klavier üben, weil es nicht auf die Technik ankomme, sondern auf Musik. Oder wie Fussballtrainer, die das Kraft- und Konditionstraining abschaffen, um Zeit für das Eigentliche zu gewinnen: das intellektuelle Zusammenspiel, die Hackentricks und Fallrückzieher. Sie sägen also an dem Ast, auf dem das Eigentliche sitzt (Süddeutsche Zeitung, 10. 2. 2016). Locker, kreativ und individuell. Anton Hügli (SP, BS), ehemaliger Direktor des Lehrerseminars Basel, warnt vor einer Erziehungswissenschaft, die «ihre Reputation allein daraus zieht, Handlangerin zu sein für die mit der Schulbürokratie verfilzten Expertokratie».

Der klassische Lehrer wird ausgemustert, an seine Stelle treten immer mehr mobiles Coaching und flexibles Kompetenzdesign.

Die Strategie, jegliche Kritik an Bologna, Harmos, Lehrplan 21 oder Integrationskonzept als rechtskonservative Polemik zu etikettieren und damit zu erledigen, ist lange aufgegangen. Verantwortlich für diesen zweifelhaften Erfolg ist auch das Desinteresse der Sozialdemokratie, sich intensiv mit schulpolitischen Themen, einst ihr klassisches Kerngeschäft, zu beschäftigen.

Im Kanton Basel-Stadt keimt nun aber Hoffnung auf. Kurz vor der Fasnacht hat Rot-Grün angekündigt, für die Regierungsratswahlen fünf Kandidaten aufzustellen und die Übernahme des Erziehungsdepartements anzustreben. Damit wäre eigentlich der Boden für eine bildungspolitische Auseinandersetzung bestellt. Allerdings ist die Ausgangslage mehr als unübersichtlich.

Die Basler Schulpolitik ist bereits seit Jahren sozialdemokratisch geprägt und nicht zuletzt deshalb einer kontroversen Debatte weitgehend entzogen. Fundierte Kritik wird nicht widerlegt, sondern einfach totgeschwiegen. Dem viel beachteten Artikel «Basler SP-Front gegen Schulreformen» etwa (BaZ, 10. 12. 2015), in dem auf die 30-seitige Streitschrift «Einspruch», mit der SP-Ständerätin und zwei ehemaligen SP-Fraktions- und -Parteipräsidenten als Autoren, verwiesen wurde, begegnete die Partei unbeeindruckt mit der Losung: «Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.»

Es wäre deshalb aufschlussreich zu erfahren, ob die linken Herausforderer «die Überfahrt in die – ach so schöne – ökonomistische Welt» unserer Bildungslandschaft (Anton Hügli) stoppen oder lieber fortsetzen wollen. Mit einer BastA!-Kandidatur auf dem Fünferticket ist eine gemeinsame Position nur schwer vorstellbar. Mit ein paar flotten Phrasen aus der Küche eines Werbe­büros werden sich die Widersprüche jedenfalls nicht zukleistern lassen.
Wer ernsthaft Anspruch auf das Erziehungsdepartement anmeldet, muss zuerst aus dem bildungspolitischen Funkloch krabbeln und den Kontakt zur schulischen Wirklichkeit wiederherstellen. Ansonsten droht eine Bruchlandung.

Roland Stark (SP) ist ehemaliger Grossrats- und Verfassungsrats­präsident des Kantons Basel-Stadt


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