16. Februar 2016

Digitale Medien: Lernen mit Widerständen umzugehen, statt sie zu umgehen

Noch ist's nicht lange her, da war der neue Computerraum für die Schule mindestens eine Meldung in der Lokalzeitung und prophetische Eröffnungsreden des Schulleiters und des Schulpräsidenten wert. Der Bildschirm wurde zum Symbol einer modernen Bildung. Die Folgen sind weithin sichtbar: Das technische Wettrüsten an unsern Schulen ging und geht munter weiter. Kinder und Jugendliche werden heutzutage flächendeckend mit Notebooks, Smartphones und Tablets ausgestattet. Denn die digitalen Möglichkeiten scheinen eine erfolgreiche schulische Zukunft zu verheissen.
Per Mausklick in eine geistige Pseudoaktivität, St. Galler Tagblatt, 15.2. von Mario Andreotti


Erinnerungen an eine andere technische Neuerung an unsern Schulen werden wach. Vor ein paar Jahrzehnten war das Sprachlabor, das dem aktiven Training des Sprechens und Verstehens dienen sollte, der Hoffnungsträger ganzer Lehrergenerationen. Man glaubte, mit ihm den traditionellen Grammatikunterricht, das mühevolle Lernen von Wörtern und Grammatikregeln mehr oder weniger umgehen zu können. Auch damals waren die Lokalzeitungen und die Schulpräsidenten zugegen, wenn die Schule voller Stolz ihre Verbindung zur modernen Welt mit einem Sprachlabor unter Beweis stellen konnte. Die Idee ist kläglich gescheitert. Wie andere Ideen auch. Seit über zwei Jahrzehnten erspäht man nun schon in den jeweils neuesten Gerätschaften die Zukunft der Bildung. Social Media lösten ein, was ein moderner Unterricht fordere, heisst es in einer Werbebroschüre etwas vollmundig. Das riecht nach Kultstatus. Medienkompetenz wird zur neuen schulischen Schlüsselqualifikation. Die Moden kommen und gehen. Was bleibt, ist die Ernüchterung. Der digitalen Schulzukunft droht ein ähnliches Schicksal.

Mit der Gerätebegeisterung wird, oftmals sehr direkt, die Botschaft vermittelt, das Lernen mit digitalen Medien gehe einfacher, schneller, besser, die Schüler könnten sich im Grunde alles selber beibringen. Beim digitalen Lernen habe der Lehrer nicht mehr zu unterrichten, sondern seine Schüler höchstens noch als Coach zu begleiten und zu beraten. Das ist ein Trugschluss. Gerade in den letzten Jahren konnte in Studien immer wieder gezeigt werden, dass für die Lernleistung weniger die Methode oder irgendwelche Technik als vielmehr der Lehrer entscheidend ist. Denn es geht eben nicht darum, modische Neuheiten, wie etwa das iPad oder das Smartphone, geil zu finden, sondern das Lernen.

Lernen mit Anstrengung
Dabei gilt allerdings, dass Lernen ein individueller Konstruktionsprozess ist. Wer lernen und verstehen will, muss aus etwas Fremdem etwas Eigenes machen. Digitale Medien, Computer mit Breitband-Internetanschluss und Tablets etwa, können ihm da nur Hilfen sein. Mehr nicht. Und er muss lernen, mit den entsprechenden Widerständen konstruktiv umzugehen. Nicht, sie zu umgehen. Das gibt zu tun, weil nun einmal Lernen ohne Anstrengung nicht zu bewältigen ist. Daran ändern auch die digitalen Verheissungen nichts.

Trotzdem versetzen sich Kinder und Jugendliche per Mausklick in eine geistige Pseudoaktivität mit entsprechend flüchtigen Effekten. Da verwundert es nicht, dass der verheissene Leistungsschub in der Schulbildung bislang ausgeblieben ist. Kaum eine Studie konnte nachweisen, dass Schüler durch digitale und soziale Medien, deren Einsatz immer offensiver gefordert wird, besser lernen – und dies, obwohl Bildungsforscher in vielen Ländern schon lange nach Effekten fahnden. Einen besonders betrüblichen Befund steuerte der grosse Pisa-Leistungstest «Schüler online» vor gut sechs Jahren bei: Die Mehrheit der jugendlichen Probanden war, trotz dem schulischen Einsatz von Computern, nicht in der Lage, digitale Texte adäquat zu lesen und Informationen aus dem Internet auszuwerten. Mit andern Worten: Der Computer im Unterricht verbesserte nicht einmal den Umgang mit dem Computer selbst. 

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