31. Januar 2016

Braucht es das Langzeitgymnasium? Nein!

Als ob man aus rauem Winterwetter in einen beheizten Raum tritt – so fühlte es sich an, als ich nach der zweiten Sek ins Gymnasium wechselte. Fast alle Mitschüler waren gut erzogen, fleissig. Ihre Eltern arbeiteten als Ärzte, Lehrer, Anwältinnen, bewohnten helle Einfamilienhäuser.
Braucht es das Langzeitgymnasium? Tages Anzeiger, 30.1. von Beat Metzler


Vorher, in der Sek, kamen viele Kinder aus Arbeiterfamilien, die Mutter putzte Büros, der Vater stand am Fliessband einer lauten Fabrik. Ins Schulzimmer nahmen sie den Geruch von Zigarettenrauch und Fischgerichten mit, der sich in ihren Blockwohnungen festgesetzt hatte. Auch härtere Umgangsformen brachten sie auf den Pausenhof. Um sich gegen sie durchzusetzen, brauchte es Schlagfertigkeit und die ständige Bereitschaft zum Austeilen, besonders wenn die eigenen Eltern Ärztinnen waren oder Lehrer. So wohlig sich das gymnasiale Klima anfühlte, eine Herausforderung fehlte, die Konfrontation mit Kindern aus anderen Verhältnissen. Man war in eine Blase geschlüpft, entschwebte der Welt der Knochenjobs. Oder wie es einer meiner Sek-Kollegen formulierte, als ich mich Richtung Gymnasium verabschiedete: «Geniess es mit deinen langweiligen Strebern.»
Soziale Trennwände entstehen sowieso, durch das Langzeitgymnasium tun sie es zwei Jahre früher – entscheidende Jahre, in denen bei Kindern viel passiert. Von einem längeren Zusammenbleiben profitieren beide Seiten, weil sie sich gegenseitig weiterbilden. Einfamilienhauskinder flüstern den Blockkindern im Unterricht Antworten zu, umgekehrt bekommen sie Nachhilfestunden darin, wie man sich in der Pausenhofhierarchie schlau nach oben bewegt. Und manchmal entwickeln sich Freundschaften, welche die spätere Trennung überstehen.
Das klingt nach Hollywood-Highschool-Drama mit einem Happy End, das alle Gegensätze überkitscht. Doch selbst wenn der Kontakt zwischen Gymnasiasten und Sekschülern rasch abbricht; die Erinnerung aneinander bleibt. Selten kommen einem Mitmenschen so nahe wie in einem präpubertären Klassenlager.
Das Langzeitgymnasium beschleunigt die soziale Abschottung nicht nur, es verfestigt sie zusätzlich. Der Übertritt nach der sechsten Klasse entzieht der Sek die besten Schüler, dadurch wird diese abgewertet, ihr Ruf leidet. Das verleitet viele Einfamilienhauseltern dazu, ihre Kinder noch früher für den Weg ins Gymnasium zu trimmen. Blockeltern können in diesem Wettbewerb nicht mithalten; und nur wenige Elfjährige beginnen von sich aus, auf eine Aufnahmeprüfung zu lernen. Die Geförderten ziehen davon, der Rest bleibt zurück.

Da eine Unterstufen-Kantischülerin mehr kostet als ein Sekschüler, würde das Schliessen der Langzeitgymnasien Millionen einsparen – Geld, das die Gymnasien in Zeiten der permanenten Budgetkürzungen dringend benötigen. Es passiert selten, dass man die Welt mit einer Sparmassnahme ein wenig fairer machen kann. Diese Chance nicht zu nutzen, wäre, na ja, ziemlich streberhaft.

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