Als ob man aus rauem
Winterwetter in einen beheizten Raum tritt – so fühlte es sich an, als ich nach
der zweiten Sek ins Gymnasium wechselte. Fast alle Mitschüler waren gut
erzogen, fleissig. Ihre Eltern arbeiteten als Ärzte, Lehrer, Anwältinnen,
bewohnten helle Einfamilienhäuser.
Braucht es das Langzeitgymnasium? Tages Anzeiger, 30.1. von Beat Metzler
Vorher,
in der Sek, kamen viele Kinder aus Arbeiterfamilien, die Mutter putzte Büros,
der Vater stand am Fliessband einer lauten Fabrik. Ins Schulzimmer nahmen sie
den Geruch von Zigarettenrauch und Fischgerichten mit, der sich in ihren
Blockwohnungen festgesetzt hatte. Auch härtere Umgangsformen brachten sie auf
den Pausenhof. Um sich gegen sie durchzusetzen, brauchte es Schlagfertigkeit
und die ständige Bereitschaft zum Austeilen, besonders wenn die eigenen Eltern
Ärztinnen waren oder Lehrer. So wohlig sich das gymnasiale Klima anfühlte, eine
Herausforderung fehlte, die Konfrontation mit Kindern aus anderen
Verhältnissen. Man war in eine Blase geschlüpft, entschwebte der Welt der
Knochenjobs. Oder wie es einer meiner Sek-Kollegen formulierte, als ich mich
Richtung Gymnasium verabschiedete: «Geniess es mit deinen langweiligen
Strebern.»
Soziale
Trennwände entstehen sowieso, durch das Langzeitgymnasium tun sie es zwei Jahre
früher – entscheidende Jahre, in denen bei Kindern viel passiert. Von einem
längeren Zusammenbleiben profitieren beide Seiten, weil sie sich gegenseitig
weiterbilden. Einfamilienhauskinder flüstern den Blockkindern im Unterricht
Antworten zu, umgekehrt bekommen sie Nachhilfestunden darin, wie man sich in
der Pausenhofhierarchie schlau nach oben bewegt. Und manchmal entwickeln sich
Freundschaften, welche die spätere Trennung überstehen.
Das
klingt nach Hollywood-Highschool-Drama mit einem Happy End, das alle Gegensätze
überkitscht. Doch selbst wenn der Kontakt zwischen Gymnasiasten und Sekschülern
rasch abbricht; die Erinnerung aneinander bleibt. Selten kommen einem
Mitmenschen so nahe wie in einem präpubertären Klassenlager.
Das
Langzeitgymnasium beschleunigt die soziale Abschottung nicht nur, es verfestigt
sie zusätzlich. Der Übertritt nach der sechsten Klasse entzieht der Sek die
besten Schüler, dadurch wird diese abgewertet, ihr Ruf leidet. Das verleitet viele
Einfamilienhauseltern dazu, ihre Kinder noch früher für den Weg ins Gymnasium
zu trimmen. Blockeltern können in diesem Wettbewerb nicht mithalten; und nur
wenige Elfjährige beginnen von sich aus, auf eine Aufnahmeprüfung zu lernen.
Die Geförderten ziehen davon, der Rest bleibt zurück.
Da
eine Unterstufen-Kantischülerin mehr kostet als ein Sekschüler, würde das
Schliessen der Langzeitgymnasien Millionen einsparen – Geld, das die Gymnasien
in Zeiten der permanenten Budgetkürzungen dringend benötigen. Es passiert
selten, dass man die Welt mit einer Sparmassnahme ein wenig fairer machen kann.
Diese Chance nicht zu nutzen, wäre, na ja, ziemlich streberhaft.
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