31. Januar 2016

Braucht es das Langzeitgymnasium? Ja!

Wüsste man es nicht besser, man müsste bei den Grünen einen akuten Anfall von Lebensmüdigkeit vermuten. Nach einer nicht enden wollenden Folge niederschmetternder Wahlresultate denken sie laut über die Abschaffung des Langzeitgymnasiums nach. Abgesehen vielleicht von einem generellen Verbot des Fleischkonsums gibt es wenige politische Forderungen, mit denen man seine Wählerinnen und Wähler nachhaltiger vergraulen könnte wie mit einer solchen Attacke auf die höhere Bildung. Kommt dazu, dass die Grünen mit einer Abschaffung des Langzeitgymis die Hoffnung auf Kosteneinsparungen verbinden – nur Wochen nachdem sich Schüler und Lehrer am «Tag der Bildung» mit Unterstützung vieler Grüner lautstark für ein weiteres Wachstum der Bildungsausgaben eingesetzt haben. Kurz: Es grenzt an einen politischen Suizidversuch, überhaupt einen solchen Vorstoss zu erwägen.
Braucht es das Langzeitgymnasium? Tages Anzeiger, 30.1. von Edgar Schuler


Und das ist nur die politische Seite dieser Geschichte. Dass das Langzeitgymnasium in Zürich so breite Unterstützung geniesst, ist sachlich und inhaltlich einwandfrei begründbar. Denn entwicklungspsychologisch lässt sich kaum ein besseres System für den Zugang zur Hochschulreife denken als die über Jahre gestaffelte Zulassung an die Mittelschulen. Kinder, die schon in den sechs Jahren Primarschule genügend Neugier und Biss für die gymnasiale Bildung entwickelt haben, können nach der sechsten Klasse übertreten. Am Gymi profitieren sie früh von einer akademisch animierenden Lernumgebung. Andere, denen der Knopf erst später aufgeht, absolvieren eben noch zwei oder drei Jahre Sekundarschule, bevor sie an eine Mittelschule wechseln.

Das entspricht exakt dem Sinn und Ziel unseres Schulsystems. Es soll die Schülerinnen und Schüler gemäss ihren individuellen Begabungen und Potenzialen unterstützen und fördern. Die Wahlfreiheit zwischen Lang- und Kurzzeitgymnasium setzt auch genau das um, was die Grünen in ihren Grundsatzpapieren fordern: «Jeder junge Mensch soll die Chance erhalten, die eigenen Stärken zu entdecken und zu entwickeln.»
Mit der Aufwertung der Berufsmaturität, der Fachhochschulen und der Erwachsenenbildung wurden immer mehr Türen zu höheren akademischen Weihen aufgestossen, und zwar zu Recht. Jetzt wäre es ein Witz, ausgerechnet bei den Jüngsten wieder neue Barrikaden aufzutürmen. Jahre der Unterforderung in einer Sekundarschule für den frühbegabten Nachwuchs kann niemand im Ernst fordern. Es wäre mehr als ein bildungspolitischer Rückschritt: eine Dummheit. Dass man als Politiker eine Abschaffung des Langgymis trotzdem als Beitrag zu mehr Chancengleichheit im Bildungswesen anpreisen kann, ist ein unergründliches grünes Rätsel.

Immerhin: Für die Grüne Partei spricht, dass sie ihren Vorstoss zur Abschaffung des Langzeitgymis zwar diskutiert, aber noch nicht einmal eingereicht hat. Dafür ist er den Grünen offenbar doch nicht geheuer genug. Sie können ihn getrost in der Schublade liegen lassen.

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