Wüsste man es nicht besser, man müsste
bei den Grünen einen akuten Anfall von Lebensmüdigkeit vermuten. Nach einer
nicht enden wollenden Folge niederschmetternder Wahlresultate denken sie laut
über die Abschaffung des Langzeitgymnasiums nach. Abgesehen vielleicht von
einem generellen Verbot des Fleischkonsums gibt es wenige politische
Forderungen, mit denen man seine Wählerinnen und Wähler nachhaltiger vergraulen
könnte wie mit einer solchen Attacke auf die höhere Bildung. Kommt dazu, dass
die Grünen mit einer Abschaffung des Langzeitgymis die Hoffnung auf Kosteneinsparungen
verbinden – nur Wochen nachdem sich Schüler und Lehrer am «Tag der
Bildung» mit Unterstützung vieler Grüner lautstark für ein weiteres Wachstum
der Bildungsausgaben eingesetzt haben. Kurz: Es grenzt an einen politischen
Suizidversuch, überhaupt einen solchen Vorstoss zu erwägen.
Braucht es das Langzeitgymnasium? Tages Anzeiger, 30.1. von Edgar Schuler
Und das ist
nur die politische Seite dieser Geschichte. Dass das Langzeitgymnasium in
Zürich so breite Unterstützung geniesst, ist sachlich und inhaltlich
einwandfrei begründbar. Denn entwicklungspsychologisch lässt sich kaum ein
besseres System für den Zugang zur Hochschulreife denken als die über Jahre
gestaffelte Zulassung an die Mittelschulen. Kinder, die schon in den sechs Jahren
Primarschule genügend Neugier und Biss für die gymnasiale Bildung entwickelt
haben, können nach der sechsten Klasse übertreten. Am Gymi profitieren sie früh
von einer akademisch animierenden Lernumgebung. Andere, denen der Knopf erst
später aufgeht, absolvieren eben noch zwei oder drei Jahre Sekundarschule,
bevor sie an eine Mittelschule wechseln.
Das entspricht exakt dem Sinn und Ziel
unseres Schulsystems. Es soll die Schülerinnen und Schüler gemäss ihren
individuellen Begabungen und Potenzialen unterstützen und fördern. Die
Wahlfreiheit zwischen Lang- und Kurzzeitgymnasium setzt auch genau das um, was
die Grünen in ihren Grundsatzpapieren fordern: «Jeder junge Mensch soll die
Chance erhalten, die eigenen Stärken zu entdecken und zu entwickeln.»
Mit der
Aufwertung der Berufsmaturität, der Fachhochschulen und der Erwachsenenbildung
wurden immer mehr Türen zu höheren akademischen Weihen aufgestossen, und zwar
zu Recht. Jetzt wäre es ein Witz, ausgerechnet bei den Jüngsten wieder neue
Barrikaden aufzutürmen. Jahre der Unterforderung in einer Sekundarschule für
den frühbegabten Nachwuchs kann niemand im Ernst fordern. Es wäre mehr als ein
bildungspolitischer Rückschritt: eine Dummheit. Dass man als Politiker eine
Abschaffung des Langgymis trotzdem als Beitrag zu mehr Chancengleichheit im
Bildungswesen anpreisen kann, ist ein unergründliches grünes Rätsel.
Immerhin: Für
die Grüne Partei spricht, dass sie ihren Vorstoss zur Abschaffung des
Langzeitgymis zwar diskutiert, aber noch nicht einmal eingereicht hat. Dafür
ist er den Grünen offenbar doch nicht geheuer genug. Sie können ihn getrost in
der Schublade liegen lassen.
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