Der klassische Frontalunterricht liefert gute Resultate, Bild: DAPD
Frontalunterricht macht klug, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12.2012 von Inge Kloepfer
Schulen von heute sind
Dauerbaustellen. Jedes Jahr wird reformiert. Eltern ärgert das. Denn sie
bekommen das Gefühl, ihre Kinder müssen zu häufig Versuchskaninchen für neue
Unterrichtsformen spielen. Eines haben die modernen Methoden gemeinsam, sie
alle wollen Alternativen zum klassischen Frontalunterricht sein.
In der Empirie finden die
Reformpädagogen allerdings wenig Legitimation: Kinder lernen immer noch am
besten, wenn man sie in guter alter Manier frontal unterrichtet. Das haben
Bildungsökonomen in einer groß angelegten Analyse herausgefunden. Zwar nicht für
Deutschland, sondern für die Vereinigten Staaten, weil es dort eine Unmenge
qualitativ guter Daten gibt. Die Aussage ist aber eindeutig: Frontalunterricht
bringt mehr als problemorientierter oder gar offener Unterricht.
„Lehrer wenden häufig eine Kombination
verschiedener Unterrichtsmethoden an“, sagt Guido Schwerdt vom Münchener
Ifo-Institut und Autor der Untersuchung. „Wenn Lehrer 10 Prozent mehr Zeit auf
frontales Unterrichten verwenden, dann zeigen Schüler einen Leistungsvorsprung,
der ungefähr dem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung
entspricht.“
Mehr
zuhören, weniger diskutieren
Dabei ist nicht nur die
Zeit relevant. Mehr Frontalunterricht bringt offenbar auch bessere Ergebnisse
in Leistungsvergleichstests. „Die Praxis ging über Jahre in die
entgegengesetzte Richtung“, sagt der Wissenschaftler. Weniger Frontalunterricht
wurde häufig mit besseren Leistungen assoziiert, vor allem für schwächere
Schüler. „Aber das stimmt so nicht. Bei einem durchschnittlich begabten
Pädagogen hat die Abkehr vom Frontalunterricht deutlich negative Effekte.“
Mehr zuhören, weniger diskutieren,
üben statt ständig experimentieren - das erscheint nicht nur für die guten
Schüler äußerst gewinnbringend, sondern auch für schwächere und vor allem jene
aus eher benachteiligten Schichten. In Amerika haben diese Ergebnisse die
Fachwelt elektrisiert. Eine neuseeländische Metastudie kommt zu ähnlichen
Ergebnissen. Es ist ein Witz: Die moderne Didaktik mit ihrem Anspruch,
Chancengleichheit zu bringen, schadet denen am meisten, die Hilfe brauchen.
Götz Bieber, Leiter des
Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg sträubt sich gegen die
Erkenntnisse zum Frontalunterricht. „Diese Form ist eine risikoreiche Methode,
Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, effektiv zu lernen.“
Schließlich wisse man als Lehrer nach so einer der Schulstunde nicht genau, was
die Kinder wirklich gelernt haben. „Unterrichte ich nur nach dieser Methode“,
sagt Bieber, „erreiche ich eine Reihe von Kindern möglicherweise nicht.“
Argument gegen die
Erkenntnisse der Frontalunterricht-Befürworter ins Feld: „Wäre der alte
Unterricht wirklich effizient, hätten die deutschen Schüler in den
internationalen Leistungsvergleichsstudien wohl deutlich besser abgeschnitten.“
Bieber plädiert für einen Methoden-Mix: kooperatives und eigenverantwortliches
Lernen in Kombination mit Feedbacks und einer klugen Instruktion.
Viele denken wie Bieber.
Also wird entwickelt und probiert, was nicht nur für die Eltern, sondern auch
für die Praktiker eine Zumutung sein kann und viel kostet: Entwicklungskosten,
Umsetzungskosten, Lehrerfortbildungskosten - alles ohne messbare Erfolge. Am
teuersten wird es, wenn die Lehrer neue Methoden halbherzig anwenden. Dann
zahlen vor allem die Schüler drauf. Michael Felten macht das Hin und Her nun
schon seit 30 Jahren mit. Oder auch nicht. Der Mathematik- und Kunstlehrer hat
die Streitschrift „Schluss mit dem Bildungsgerede!“ verfasst. Aus der Praxis
weiß er: Frontalunterricht produziert gute Resultate.
„In Finnland wird
vorwiegend nach dieser Form unterrichtet“, sagt Felten. Und Finnland gilt - vor
allem wegen seiner Schulleistungseffizienz - als das Referenzland schlechthin.
Deutschland hingegen propagiert Eigeninitiative, Partnerarbeit,
Selbstkontrolle. Die Lehrperson scheine beinahe überflüssig zu werden, klagt
Felten, ganz anders als in Finnland. Der Vollblutpädagoge Felten meidet den
Begriff des Frontalunterrichts, der ein bisschen nach Schwarzer Pädagogik
klinge, und spricht lieber von starker Lehrersteuerung. „Im Zentrum des Geschehens
muss der Lehrer stehen.“ Wenn dieser in das Zentrum seines Handelns wiederum
den Schüler stellt, lernt dieser am meisten. Der gute Lehrer als Welterklärer -
nichts anderes haben Schwerdt und Wuppermann herausgefunden.
„Ein
Menschenexperiment entlang des Zeitgeistes“
„Man könnte die Schule
seit Jahren als ein großes Menschenexperiment entlang des Zeitgeistes
bezeichnen“, sagt Felten. Ineffizient sei das alles vor allem im Hinblick auf
die schwächeren Schüler. Gerade die brauchten die genaue Instruktion des
Lehrers. „Die Schüler müssen ganz klar wissen, was der Lehrer will.“ Vieles,
was die moderne Pädagogik für fortschrittlich hält, ist vor allem für Kinder
und Jugendliche aus bildungsfernen Milieus von Nachteil. Eine eher auf
Erfahrungswerten, denn auf statistischen Grundlagen basierende Einsicht in die
Vorteile des Traditionellen trieb Hilbert Meyer, den Papst der Lehrerausbildung
schon vor ein paar Jahren um.
Er bekannte sich 2004 in
seinem Buch „Was ist guter Unterricht?“, zu der eigenen Fehleinschätzung, dass
ein hoher Anteil an Selbstregulation der Schüler dem traditionellen Unterricht
weit überlegen sei. Also zurück zur alten Schule? Nein, das fordert auch Felten
nicht. Er will keine Lehrermonologe wie sie zu Zeiten des 19. oder 20.
Jahrhunderts noch überwiegend üblich waren.
Der Lehrer solle
präsentieren, erklären, Zusammenhänge stiften. Zwischendurch müssten die
Schüler selbst ausprobieren, debattieren, trainieren. „Aber nicht zu lange
alleine“, sagt Felten. Und auch Bildungsökonom Schwerdt warnt davor, seine
Ergebnisse als Aufforderung zu lesen, ganz zum Frontalunterricht
zurückzukehren. Aber wieder ein bisschen mehr davon steigere Schülerleistungen
nun einmal unmittelbar.
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