20. Dezember 2015

Moderne Didaktik schadet Chancengerechtigkeit

Der folgende Text stammt aus dem Jahr 2012. Noch immer huldigt man in der Schweiz den pädagogischen Heilslehren unserer "Reformer" in der Aus- und Weiterbildung. Die in der letzten Zeit abgetretenen Direktoren unserer PH haben der Entwicklung tatenlos zugeschaut oder sie verdeckt gefördert. Das, neben ihrem Kuschen in der Fremdsprachenfrage, wird ihr Vermächtnis bleiben. Besonders der verteufelte Frontalunterricht ist zu rehabilitieren. (uk)











Der klassische Frontalunterricht liefert gute Resultate, Bild: DAPD
Frontalunterricht macht klug, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12.2012 von Inge Kloepfer


Schulen von heute sind Dauerbaustellen. Jedes Jahr wird reformiert. Eltern ärgert das. Denn sie bekommen das Gefühl, ihre Kinder müssen zu häufig Versuchskaninchen für neue Unterrichtsformen spielen. Eines haben die modernen Methoden gemeinsam, sie alle wollen Alternativen zum klassischen Frontalunterricht sein.

In der Empirie finden die Reformpädagogen allerdings wenig Legitimation: Kinder lernen immer noch am besten, wenn man sie in guter alter Manier frontal unterrichtet. Das haben Bildungsökonomen in einer groß angelegten Analyse herausgefunden. Zwar nicht für Deutschland, sondern für die Vereinigten Staaten, weil es dort eine Unmenge qualitativ guter Daten gibt. Die Aussage ist aber eindeutig: Frontalunterricht bringt mehr als problemorientierter oder gar offener Unterricht.
 „Lehrer wenden häufig eine Kombination verschiedener Unterrichtsmethoden an“, sagt Guido Schwerdt vom Münchener Ifo-Institut und Autor der Untersuchung. „Wenn Lehrer 10 Prozent mehr Zeit auf frontales Unterrichten verwenden, dann zeigen Schüler einen Leistungsvorsprung, der ungefähr dem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung entspricht.“

Mehr zuhören, weniger diskutieren

Dabei ist nicht nur die Zeit relevant. Mehr Frontalunterricht bringt offenbar auch bessere Ergebnisse in Leistungsvergleichstests. „Die Praxis ging über Jahre in die entgegengesetzte Richtung“, sagt der Wissenschaftler. Weniger Frontalunterricht wurde häufig mit besseren Leistungen assoziiert, vor allem für schwächere Schüler. „Aber das stimmt so nicht. Bei einem durchschnittlich begabten Pädagogen hat die Abkehr vom Frontalunterricht deutlich negative Effekte.“

Mehr zuhören, weniger diskutieren, üben statt ständig experimentieren - das erscheint nicht nur für die guten Schüler äußerst gewinnbringend, sondern auch für schwächere und vor allem jene aus eher benachteiligten Schichten. In Amerika haben diese Ergebnisse die Fachwelt elektrisiert. Eine neuseeländische Metastudie kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Es ist ein Witz: Die moderne Didaktik mit ihrem Anspruch, Chancengleichheit zu bringen, schadet denen am meisten, die Hilfe brauchen.

Götz Bieber, Leiter des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg sträubt sich gegen die Erkenntnisse zum Frontalunterricht. „Diese Form ist eine risikoreiche Methode, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, effektiv zu lernen.“ Schließlich wisse man als Lehrer nach so einer der Schulstunde nicht genau, was die Kinder wirklich gelernt haben. „Unterrichte ich nur nach dieser Methode“, sagt Bieber, „erreiche ich eine Reihe von Kindern möglicherweise nicht.“

Argument gegen die Erkenntnisse der Frontalunterricht-Befürworter ins Feld: „Wäre der alte Unterricht wirklich effizient, hätten die deutschen Schüler in den internationalen Leistungsvergleichsstudien wohl deutlich besser abgeschnitten.“ Bieber plädiert für einen Methoden-Mix: kooperatives und eigenverantwortliches Lernen in Kombination mit Feedbacks und einer klugen Instruktion.

Viele denken wie Bieber. Also wird entwickelt und probiert, was nicht nur für die Eltern, sondern auch für die Praktiker eine Zumutung sein kann und viel kostet: Entwicklungskosten, Umsetzungskosten, Lehrerfortbildungskosten - alles ohne messbare Erfolge. Am teuersten wird es, wenn die Lehrer neue Methoden halbherzig anwenden. Dann zahlen vor allem die Schüler drauf. Michael Felten macht das Hin und Her nun schon seit 30 Jahren mit. Oder auch nicht. Der Mathematik- und Kunstlehrer hat die Streitschrift „Schluss mit dem Bildungsgerede!“ verfasst. Aus der Praxis weiß er: Frontalunterricht produziert gute Resultate.

„In Finnland wird vorwiegend nach dieser Form unterrichtet“, sagt Felten. Und Finnland gilt - vor allem wegen seiner Schulleistungseffizienz - als das Referenzland schlechthin. Deutschland hingegen propagiert Eigeninitiative, Partnerarbeit, Selbstkontrolle. Die Lehrperson scheine beinahe überflüssig zu werden, klagt Felten, ganz anders als in Finnland. Der Vollblutpädagoge Felten meidet den Begriff des Frontalunterrichts, der ein bisschen nach Schwarzer Pädagogik klinge, und spricht lieber von starker Lehrersteuerung. „Im Zentrum des Geschehens muss der Lehrer stehen.“ Wenn dieser in das Zentrum seines Handelns wiederum den Schüler stellt, lernt dieser am meisten. Der gute Lehrer als Welterklärer - nichts anderes haben Schwerdt und Wuppermann herausgefunden.

„Ein Menschenexperiment entlang des Zeitgeistes“

„Man könnte die Schule seit Jahren als ein großes Menschenexperiment entlang des Zeitgeistes bezeichnen“, sagt Felten. Ineffizient sei das alles vor allem im Hinblick auf die schwächeren Schüler. Gerade die brauchten die genaue Instruktion des Lehrers. „Die Schüler müssen ganz klar wissen, was der Lehrer will.“ Vieles, was die moderne Pädagogik für fortschrittlich hält, ist vor allem für Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Milieus von Nachteil. Eine eher auf Erfahrungswerten, denn auf statistischen Grundlagen basierende Einsicht in die Vorteile des Traditionellen trieb Hilbert Meyer, den Papst der Lehrerausbildung schon vor ein paar Jahren um.
Er bekannte sich 2004 in seinem Buch „Was ist guter Unterricht?“, zu der eigenen Fehleinschätzung, dass ein hoher Anteil an Selbstregulation der Schüler dem traditionellen Unterricht weit überlegen sei. Also zurück zur alten Schule? Nein, das fordert auch Felten nicht. Er will keine Lehrermonologe wie sie zu Zeiten des 19. oder 20. Jahrhunderts noch überwiegend üblich waren.

Der Lehrer solle präsentieren, erklären, Zusammenhänge stiften. Zwischendurch müssten die Schüler selbst ausprobieren, debattieren, trainieren. „Aber nicht zu lange alleine“, sagt Felten. Und auch Bildungsökonom Schwerdt warnt davor, seine Ergebnisse als Aufforderung zu lesen, ganz zum Frontalunterricht zurückzukehren. Aber wieder ein bisschen mehr davon steigere Schülerleistungen nun einmal unmittelbar.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen