Es ist
kein Wunder, dass man bei der Berichterstattung über die Bildung Noten
verteilt.Die SonntagsZeitung gibt
den Schulreformen der letzten Jahre eine blutte «2» und erhält postwendend eine
Retourkutsche von «ganz oben». Eine Pressemitteilung der «SchweizerischenKonferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren» ist überschrieben mit: «Note 2für die SonntagsZeitung». Die Art der Berichterstattung, schreibt
das Generalsekretariat der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) in einer eigens
verfassten Pressemitteilung, sei ungenügend, da nur Kritiker zu Wort kämen. Die
Qualität der Berichterstattung sei eine Irreführung der Leserinnen und Leser
der Sonntagszeitung.
Die Schweizer Schule im Korsett des Lehrplans 21, Bild: Simone Meier
Lehrplan 21 in der Kritik, Infosperber.ch, 6.12. von Heinz Moser
Sekundiert
wird die Kritik von einer Stellungnahme der DeutschschweizerErziehungsdirektorenkonferenz, die ihrerseits mit grobem Geschütz auffährt. Die
D-EDK habe mit Befremden von der einseitigen und mit vielen falschen
Darstellungen bestückten Berichterstattung Kenntnis genommen. Doch worum geht
es in der geharnischen Kritik von der Spitze der Bildungsverantwortlichen?
Warum muss die EDK an die Presse ungenügende Noten verteilen – als wenn mit
Kanonen auf Spatzen geschossen würde?
Wirrwarr
der Reformen und eine ungenügende Diskussion
Die EDK
betont, dass die in der SonntagsZeitung geäusserte Kritik,
wonach die Harmonisierung des Bildungswesens stagniere und der Wirrwarr in der
obligatorischen Schule seit der Abstimmung über die Bildungsartikel noch
grösser geworden sei, nicht zutreffe. Richtig ist dabei sicher, dass die
Harmonisierung in einigen Bereichen der Schule Fortschritte gemacht hat. Aber
wenn Chefredaktor Arthur Rutishauser in derSonntagsZeitung etwas
süffisant schreibt, dass sich die Kantone mit viel Herzblut untereinander
streiten, wer nun genau wann mit welcher Fremdsprache beginne, so trifft er
ebenfalls ins Schwarze.
Die
Deutschschweizer EDK findet sodann den Vorwurf unberechtigt, es habe keine öffentliche
Debatte gegeben und der Lehrplan 21 werde eingeführt, ohne dass es eine
demokratisch legitimierte Debatte gegeben habe. Nun hat es zum Lehrplan 21
zweifellos ein breites Vernehmlassungsverfahren gegeben; doch erst im
Nachhinein.
Bei der
Erarbeitung des Lehrplans bekam man den Eindruck, dass handverlesene Experten
in geheimen Zirkeln am Lehrplan arbeiteten. Die Sitzungen fanden hinter
verschlossenen Türen statt, und man legte viel Wert darauf, dass vor der
öffentlichen Präsentation nichts vom neuen Lehrplan hinaussickern durfte. Mit
anderen Worten: Anstatt zu Beginn eine breite öffentliche Debatte zu führen,
fand diese erst statt, als die wichtigsten Eckpunkte des Lehrplans 21
feststanden. Und das war viel zu spät. Bei den Skeptikern führte dies zu Vermutungen,
dass man sie auf diesem Weg geschickt abservieren wollte. Denn natürlich ist es
schwieriger, einmal gefasste Entscheide umzustossen, als wenn man von Beginn an
der Diskussion beteiligt ist.
Die
Nerven der EDK liegen blank
Insgesamt
ist die massive Art und Weise, wie die EDK gegen die SonntagsZeitung vorgeht,
ungewöhnlich. Die Nerven müssen blank liegen, wenn man glaubt, sich auf diese
Weise mit mehreren Presseerklärungen wehren zu müssen. Dahinter muss mehr
liegen als der Ärger über die Berichterstattung einer Zeitung.
Fast
panisch scheint man wahrzunehmen, dass das Unternehmen «Lehrplan 21» ernsthaft
gefährdet ist – obwohl es sich so gut angelassen hatte. Zwar gab es von Anfang
an Skeptiker aus konservativen Kreisen und aus der SVP. Doch man hoffte, dieser
Kritik den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Nun zeigt aber der Bericht derSonntagsZeitung,
dass sich die Lage massiv verschärft hat. Es wird deutlich, dass der Gegenwind
nun auch aus dem linken und dem liberalen Lager kommt und sich zum Sturm
auswächst. Eine ganze Reihe von SP-Politikern, von linksliberalen Professoren
und Lehrpersonen wenden sich mit einer eigenen Streitschrift («Einspruch»)
gegen den Lehrplan 21. Dazu gehören Persönlichkeiten wie der Zürcher
Erziehungswissenschaftler Roland Reichenbach, der Bieler Lehrer und
GLP-Politiker Alain Pichard oder die Basler Ständerätin Anita Fetz.
Da muss
es den Bildungsbürokraten ungemütlich werden, wenn es nicht mehr gegen die
Kritik von einer einzigen Seite geht. Allein gegen die konservative Seite
könnte man sich womöglich behaupten. Doch der Lehrplan 21 wird kaum
Überlebenschancen haben, wenn er im Zangenangriff von links und rechts unter
Beschuss gerät.
Kopie von
unausgegorenen Ideen der 70er Jahre
Nicht
zuletzt werden aus dem Kreis der kritischen Erziehungswissenschaftler auch
theoretische Argumente gegen den Kernbegriff der Kompetenzen vorgebracht, der
mit dem Lehrplan 21 verbunden ist. Die dahinterliegende Idee ist eigentlich
sinnvoll: Anstatt oberflächliches Wissen zu vermitteln, sollen Kompetenzen im
Mittelpunkt der Schule stehen, welche das Handeln der Schülerinnen und Schüler
prägen. Können statt Wissen ist hier die Devise.
Doch
leider wird diese Idee vor allem technisch behandelt. Die SonntagsZeitung hat
nachgezählt: der Lehrplan enthält 363 Kompetenzen und 2304 Kompetenzstufen. Da
werden wohl alle Lehrerinnen und Lehrer überfordert sein.
In
unguter Weise erinnert dies an die Diskussion um die «Lernziele» vor 50 Jahren.
Auch damals wollte man die Lehrpläne verändern und sicherstellen, dass die dort
formulierten Lernziele in der Schule auch Wirksamkeit entfalten. Das hiess
damals allerdings «operationalisierte» Lernziele und nicht «Kompetenzen». Doch
im Effekt ging es um Ähnliches. Und es zeigte sich schon damals, dass es für
die Schulen kein gangbarer Weg ist, die Lehrerinnen und Lehrer über den
Lehrplan mit Hunderten von Lernzielen zu gängeln. Die Übung wurde jedenfalls
Knall auf Fall abgebrochen.
Umso
unverständlicher ist es, dass in den letzten Jahren solche Ideen wieder neu
aufgenommen wurden. Damit hat man sich selbst in die Bredouille gebracht, die
nun dazu führt, dass die Kritik immer lauter wird und in mehreren Kantonen
Volksabstimmungen stattfinden, welche die Harmonisierung des schweizerischen
Schulwesens noch ganz ins Stocken geraten lassen könnten.
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