16. November 2015

Neue Erkenntnisse über Gruppenpuzzles

Gruppenpuzzles sind eine beliebte Unterrichtsform. Eine ETH-Studie zeigt nun, dass bei der Anwendung auf bestimmte Punkte geachtet werden sollte.











Gruppenpuzzles sollten nicht eingesetzt werden, um Zeit zu sparen, Bild: Gaetan Bally
Nachhilfe für Lehrer, Tages Anzeiger, 16.11. von Mirjam Fuchs


Um Wissen in die Köpfe der Kinder zu bringen, setzen Lehrerinnen und Lehrer gerne auf Gruppenpuzzles. Das Grundgerüst der Methode ist schnell erklärt: In einem ersten Schritt spezialisieren sich die Schülerinnen und Schüler auf ein bestimmtes Thema, also auf ihr Puzzlestück. Im darauffolgenden Austausch, zum Beispiel in einer Dreiergruppe, wird das Puzzle zusammengefügt: Die Schüler tauschen sich mit den Klassenkameraden über ihre Themen aus, am Ende kennt jeder sämtliche Teile des mehrteiligen Puzzles.
Ein amerikanischer Professor hat das Gruppenpuzzle Anfang der 70er-Jahre erfunden, um Rassenkonflikte zwischen Jugendlichen in Austin, Texas, zu lösen. Nach der Auflösung der Rassentrennung sassen weisse, schwarze und lateinamerikanische Schüler erstmals gemeinsam in einem Klassenzimmer, und es kam zu Streit und Prügeleien. Die Gruppenpuzzles brachten Frieden: Weil bei der Methode jeder Beitrag gleich viel zählt, mussten die Schüler kooperieren, das stärkte den sozialen Zusammenhalt.
Seither setzen auch viele Schweizer Lehrpersonen auf die Gruppenpuzzles. Nicht nur um die Stimmung in den Klassen zu verbessern, sondern auch, weil die Puzzles so effizient und einfach umsetzbar scheinen. Die Annahme vieler Lehrer: Jeder Schüler muss nur einen Teil des Materials lesen und bringt es danach den anderen bei. Im Geschichtsunterricht zum Beispiel ist es eine zeiteffiziente Methode, um verschiedene zeitgenössische Perspektiven zu einem Thema kennen zu lernen. Das funktioniert, wenn an der Prüfung nur diejenigen Perspektiven abgefragt werden, auf die sich die Schüler spezialisierten.
Doch so verführerisch einfach ist es leider nicht. «Die Gruppenpuzzles sollten nicht genutzt werden, um Zeit zu sparen», sagt Anne Deiglmayr vom Institut für Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich. Sie hat vor kurzem mit ihrem Kollegen Lennart Schalk eine Studie zum Thema im Wissenschaftsjournal «Learning and Instruction» publiziert.
Methode kritisiert
Auslöser waren Lehrpersonen, die Weiterbildungen bei den ETH-Lernforschern besuchten und die Methode kritisierten. Der Grund: Ihre Schüler würden nach einem Gruppenpuzzle nicht alle Puzzleteile beherrschen. Frühere Forschung bestätigt den Eindruck der Lehrer. Bei der Methode sind die Schüler stark vom Wissen der anderen abhängig. Wenn einer ein Puzzlestück falsch oder nur teilweise versteht, kann er es den anderen nicht beibringen. Mit ihrer Studie wollten Deiglmayr und Schalk herausfinden, wie die Lehrpersonen die Methode verbessern können.
Die Lernforscher baten 78 Studenten gegen finanzielle Entschädigung zum Versuch. Nachdem sie einen Test zu ihrem Vorwissen ausgefüllt hatten, mussten sie sich mit mathematischen Urnenmodellen befassen. Urnenmodelle werden benutzt, um Zufallsexperimente zu veranschaulichen, zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit auf einen Sechser im Lotto. Dieses Thema wurde für den Versuch ausgewählt, da Studierende oft Mühe haben, Urnenmodelle zu verstehen und anzuwenden, wenn sie nicht gerade Mathematik studieren.
Zentrale Inhalte nicht splitten
Die Forscher verteilten die Lerninhalte unterschiedlich auf Dreiergruppen. Die eine Hälfte der Gruppen bearbeitete die Urnenmodelle wie im klassischen Gruppenpuzzle: Jede Person spezialisierte sich mittels mehrerer Beispiele auf je ein Urnenmodell. Für die andere Hälfte der Gruppen entwarfen die Forscher ein spezielles Skript: Jede Person befasste sich mit allen Urnenmodellen, die Theorie war aber in verschiedene Szenarien verpackt. «So sind die Lernenden weniger vom Wissen der anderen abhängig», sagt Deiglmayr. Statt Experten für ein Modell wurden die Schüler zu Experten für ihr jeweiliges Szenario, das alle Modelle enthielt. Die Szenarien umfassten verschiedene Geschichten rund um die Wahrscheinlichkeit auf farbige Velohelme oder den ersten Platz beim Skispringen. Für die Auswertung analysierten die Forscher den Austausch der Teilnehmer im schriftlichen Gruppenchat sowie ihr Abschneiden in dem Mathetest vor und nach dem Gruppenpuzzle. Dabei fanden sie heraus, dass Lerner mit wenig Vorwissen stark profitierten, wenn sie sämtliche Urnenmodelle bereits vor dem Austausch mit der Gruppe kennen lernten.
Deshalb sollten Lehrer beim Gruppenpuzzle die zentralen Lerninhalte nicht aufsplitten. «Wer zum Beispiel wichtige Kapitel aus einem Lehrbuch auf einzelne Schüler aufteilt, riskiert, dass einige auf der Strecke bleiben», sagt Deiglmayr. Ein Gruppenpuzzle zu designen, bei dem die Lerner nur wenig vom Wissen der anderen abhängig sind, verlangt etwas Vorbereitung. Die Forscherin rät den Lehrpersonen, in ihrem Versuch verschiedene Szenarien zu entwerfen, in denen alle zentralen Lerninhalte vorkommen. «Leider sind bestehende Lehrbücher nicht so strukturiert», sagt Deiglmayr. Der Effort lohne sich aber, für Lehrer und für Schüler.


1 Kommentar:

  1. Diese Methode kann ja durchaus in bestimmten Situationen das Schulgeschehen bereichern. Aber für fachliche Bildung genügen Gruppenpuzzles sicher nicht. Warum nicht einfach gut vorbereiteten Unterricht halten? Von einem kompetenten Lehrer lernen die Schüler garantiert mehr aus der Nacherzählung eines zuvor gelesenen Textes durch einen Mitschüler.

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