Gruppenpuzzles sollten nicht eingesetzt werden, um Zeit zu sparen, Bild: Gaetan Bally
Nachhilfe für Lehrer, Tages Anzeiger, 16.11. von Mirjam Fuchs
Um
Wissen in die Köpfe der Kinder zu bringen, setzen Lehrerinnen und Lehrer gerne
auf Gruppenpuzzles. Das Grundgerüst der Methode ist schnell erklärt: In einem
ersten Schritt spezialisieren sich die Schülerinnen und Schüler auf ein
bestimmtes Thema, also auf ihr Puzzlestück. Im darauffolgenden Austausch, zum
Beispiel in einer Dreiergruppe, wird das Puzzle zusammengefügt: Die Schüler
tauschen sich mit den Klassenkameraden über ihre Themen aus, am Ende kennt
jeder sämtliche Teile des mehrteiligen Puzzles.
Ein amerikanischer
Professor hat das Gruppenpuzzle Anfang der 70er-Jahre erfunden, um
Rassenkonflikte zwischen Jugendlichen in Austin, Texas, zu lösen. Nach der
Auflösung der Rassentrennung sassen weisse, schwarze und lateinamerikanische
Schüler erstmals gemeinsam in einem Klassenzimmer, und es kam zu Streit und
Prügeleien. Die Gruppenpuzzles brachten Frieden: Weil bei der Methode jeder
Beitrag gleich viel zählt, mussten die Schüler kooperieren, das stärkte den
sozialen Zusammenhalt.
Seither setzen auch viele
Schweizer Lehrpersonen auf die Gruppenpuzzles. Nicht nur um die Stimmung in den
Klassen zu verbessern, sondern auch, weil die Puzzles so effizient und einfach
umsetzbar scheinen. Die Annahme vieler Lehrer: Jeder Schüler muss nur einen
Teil des Materials lesen und bringt es danach den anderen bei. Im
Geschichtsunterricht zum Beispiel ist es eine zeiteffiziente Methode, um
verschiedene zeitgenössische Perspektiven zu einem Thema kennen zu lernen. Das
funktioniert, wenn an der Prüfung nur diejenigen Perspektiven abgefragt werden,
auf die sich die Schüler spezialisierten.
Doch so verführerisch
einfach ist es leider nicht. «Die Gruppenpuzzles sollten nicht genutzt werden,
um Zeit zu sparen», sagt Anne Deiglmayr vom Institut für Lehr- und
Lernforschung an der ETH Zürich. Sie hat vor kurzem mit ihrem Kollegen Lennart
Schalk eine Studie zum Thema im Wissenschaftsjournal «Learning and Instruction»
publiziert.
Methode
kritisiert
Auslöser waren
Lehrpersonen, die Weiterbildungen bei den ETH-Lernforschern besuchten und die
Methode kritisierten. Der Grund: Ihre Schüler würden nach einem Gruppenpuzzle
nicht alle Puzzleteile beherrschen. Frühere Forschung bestätigt den Eindruck
der Lehrer. Bei der Methode sind die Schüler stark vom Wissen der anderen
abhängig. Wenn einer ein Puzzlestück falsch oder nur teilweise versteht, kann
er es den anderen nicht beibringen. Mit ihrer Studie wollten Deiglmayr und
Schalk herausfinden, wie die Lehrpersonen die Methode verbessern können.
Die Lernforscher baten
78 Studenten gegen finanzielle Entschädigung zum Versuch. Nachdem sie einen
Test zu ihrem Vorwissen ausgefüllt hatten, mussten sie sich mit mathematischen
Urnenmodellen befassen. Urnenmodelle werden benutzt, um Zufallsexperimente zu
veranschaulichen, zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit auf einen Sechser im
Lotto. Dieses Thema wurde für den Versuch ausgewählt, da Studierende oft Mühe
haben, Urnenmodelle zu verstehen und anzuwenden, wenn sie nicht gerade
Mathematik studieren.
Zentrale
Inhalte nicht splitten
Die Forscher verteilten
die Lerninhalte unterschiedlich auf Dreiergruppen. Die eine Hälfte der Gruppen
bearbeitete die Urnenmodelle wie im klassischen Gruppenpuzzle: Jede Person
spezialisierte sich mittels mehrerer Beispiele auf je ein Urnenmodell. Für die
andere Hälfte der Gruppen entwarfen die Forscher ein spezielles Skript: Jede
Person befasste sich mit allen Urnenmodellen, die Theorie war aber in
verschiedene Szenarien verpackt. «So sind die Lernenden weniger vom Wissen der
anderen abhängig», sagt Deiglmayr. Statt Experten für ein Modell wurden die
Schüler zu Experten für ihr jeweiliges Szenario, das alle Modelle enthielt. Die
Szenarien umfassten verschiedene Geschichten rund um die Wahrscheinlichkeit auf
farbige Velohelme oder den ersten Platz beim Skispringen. Für die Auswertung
analysierten die Forscher den Austausch der Teilnehmer im schriftlichen
Gruppenchat sowie ihr Abschneiden in dem Mathetest vor und nach dem
Gruppenpuzzle. Dabei fanden sie heraus, dass Lerner mit wenig Vorwissen stark
profitierten, wenn sie sämtliche Urnenmodelle bereits vor dem Austausch mit der
Gruppe kennen lernten.
Deshalb sollten Lehrer
beim Gruppenpuzzle die zentralen Lerninhalte nicht aufsplitten. «Wer zum
Beispiel wichtige Kapitel aus einem Lehrbuch auf einzelne Schüler aufteilt,
riskiert, dass einige auf der Strecke bleiben», sagt Deiglmayr. Ein
Gruppenpuzzle zu designen, bei dem die Lerner nur wenig vom Wissen der anderen
abhängig sind, verlangt etwas Vorbereitung. Die Forscherin rät den
Lehrpersonen, in ihrem Versuch verschiedene Szenarien zu entwerfen, in denen
alle zentralen Lerninhalte vorkommen. «Leider sind bestehende Lehrbücher nicht
so strukturiert», sagt Deiglmayr. Der Effort lohne sich aber, für Lehrer und
für Schüler.
Diese Methode kann ja durchaus in bestimmten Situationen das Schulgeschehen bereichern. Aber für fachliche Bildung genügen Gruppenpuzzles sicher nicht. Warum nicht einfach gut vorbereiteten Unterricht halten? Von einem kompetenten Lehrer lernen die Schüler garantiert mehr aus der Nacherzählung eines zuvor gelesenen Textes durch einen Mitschüler.
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