Nach der Kritik aus konservativen Kreisen
kommt jetzt die Kampfansage der Linken: Für sie ist der Lehrplan 21 praxisfern,
viel zu teuer und politisch nicht legitimiert.
Jetzt wird der Lehrplan 21 auch von links unter Beschuss genommen, Bild: Armin Müller
Diese Rechnung geht nicht auf, Sonntagszeitung, 29.11. von Nadia Pastega
Jetzt wird sogar Remo Largo ungeduldig. Der
berühmteste Schweizer Erziehungsratgeber, Kinderarzt und Buchautor sagt: «Es
ist höchste Zeit für das Eingeständnis, dass wir einen kostspieligen und nicht
kindgerechten pädagogischen Irrweg eingeschlagen haben.» Kam die Opposition
gegen den Lehrplan 21, das neue Regelwerk für die Schulen der Deutschschweizer
Kantone, bisher in erster Linie aus der SVP, formiert sich nun auch breiter
Widerstand aus liberalen und linken Kreisen.
Eine Gruppierung von SP-Politikern,
linksliberalen Professoren und Lehrern schaltet sich mit einer 30-seitigen
Streitschrift in die Debatte ein. «Einspruch!» lautet der Titel der
Kampfbroschüre.
Die Oppositionsgruppe agiert unter
Federführung des Bieler Lehrers und GLP-Politikers Alain Pichard, der bereits
das lehrplankritische Memorandum «550 gegen 550» initiierte. Zum rund
20-köpfigen Autorenteam der Streitschrift gehören die Basler SP-Ständerätin
Anita Fetz, der ehemalige Parteipräsident der SP Basel, Roland Stark, sowie
Walter Herzog, emeritierter Professor am Institut für Erziehungswissenschaften
der Universität Bern, und Roland Reichenbach, Zürcher Uniprofessor und
Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Bildungsforschung. Zu Wort
melden sich auch die Politologin Regula Stämpfli, der Publizist Beat Kappeler,
der Philosophieprofessor Peter Bieri, Autor des Bestsellerromans «Nachtzug nach
Lissabon», sowie Bestsellerautor Remo Largo.
Öffentliche Debatte wurde nie geführt
Der neue Lehrplan werde durchgedrückt, «ohne
dass irgendein Parlament oder eine demokratisch legitimierte Instanz dazu
irgendetwas sagen konnten», lautet die Kritik. Der neue Bildungsentwurf sei
politisch nicht legitimiert. Es handle sich um ein behördlich in die Welt
gesetztes Dokument – eine öffentliche Debatte habe nie stattgefunden.
Bisher war der Lehrplan 21 ein
Expertenprojekt, das vor allem die Eidgenössische Erziehungsdirektorenkonferenz
(EDK) interessierte. Die Zentralinstanz des Schweizer Bildungsföderalismus
verordnet den Schulen mit dem neuen Regelwerk eine Radikalkur. In allen 21
Deutschschweizer Kantonen soll künftig ein einheitlicher Lehrplan gelten.
Gleichzeitig hält in den Schulstuben ein
neues Bildungssystem Einzug: Der Lehrplan beschreibt nicht mehr, welche Inhalte
die Lehrer unterrichten sollen, sondern welche «Kompetenzen» die Schüler
beherrschen müssen.
Nach offizieller Zählung enthält der neue
Lehrplan 363 Kompetenzen und 2304 Kompetenzstufen. Dabei sollen nicht mehr
Lösungen von Problemen gelehrt werden, sondern der Prozess des Problemlösens.
Die Schüler sollen nicht Wissen lernen, sondern «reflektieren». Das Modewort
findet sich im 480-seitigen Werk nicht weniger als 146-mal. Auch sonst zeigt
sich der Lehrplan auf der Höhe des Zeitgeists: Der Begriff «nachhaltig» taucht
76-mal auf. Die Kritiker zweifeln, ob sich Kompetenzen überhaupt so aufbauen
lassen, wie es der Lehrplan vorgibt. «Es gibt keine wissenschaftliche
Untersuchung, die das belegt», sagt Alain Pichard. Der Bieler Lehrer und seine
Mitstreiter fürchten vor allem, dass künftig «Standardisierung und Testerei»
den Schulalltag prägen werden. Denn der Lehrplan schafft die Voraussetzung für
nationale Leistungskontrollen. «Es ist absehbar, dass im Unterricht nur noch
behandelt wird, was zum guten Abschneiden in den Tests nötig ist», sagt
Pichard.
Das sogenannte selbst gesteuerte Lernen sei
im Lehrplan 21 Trumpf, kritisiert die Opposition weiter. Das benachteilige
ausgerechnet die schwachen Schüler. Mit ihrer Streitschrift, die in einer
Auflage von 1000 Exemplaren gedruckt wird, wollen die Lehrplankritiker eine
«längst fällige öffentliche Diskussion» anstossen. Kein bisher bekannter
Lehrplan mache «dermassen rigide Vorgaben» wie das neue Regelwerk, halten sie
fest. Diese «überbordende Detailliertheit» zeige, dass der Lehrplan zu einem
«Kontrollorgan» umfunktioniert werden solle, um Einfluss auf die
Unterrichtsgestaltung zu nehmen. Der Lehrplan 21 «ist Auswuchs einer
Bildungspolitik, die sich masslos überschätzt, ihre Kompetenzen sträflich
überschreitet und der Schule damit mehr Schaden als Nutzen zufügt», sagt der
Erziehungswissenschaftler Walter Herzog.
Es droht ein grosser Flickenteppich
Bereits in 13 Kantonen laufen
Volksinitiativen gegen den Lehrplan 21. Das jüngste Beispiel: Im Kanton Zürich
wurde die Initiative am Freitag eingereicht. In den Komitees sitzen besorgte
Eltern, skeptische Lehrer und Politiker mit SVP-Parteibuch.
Die Argumente der Volkspartei gegen den
Lehrplan sind teilweise die gleichen, wie sie jetzt linksliberale Kreise
formulieren: praxisferne, umstrittene Kompetenzorientierung, massive Eingriffe
in die Methodenfreiheit der Lehrer und steigende Kosten. Bereits heute leistet
sich die Schweiz weltweit eines der teuersten Bildungssysteme. Der neue
Lehrplan bringe einen weiteren Kostenschub, sagt Pichard: «Das Geld fliesst in
Strukturreformen, Weiterbildungen, Testentwicklung und neue Lehrmittel. Es
fliesst in die Taschen der Pädagogischen Hochschulen und von Bildungsexperten.»
Die Schweizer Bevölkerung hat 2006 Ja gesagt
zu einer Harmonisierung der Schulen. Eine Annäherung der Bildungssysteme sollte
verhindern, dass in Zukunft ein Umzug von einem Kanton in den anderen für
Eltern und Kinder in einem Bildungsfiasko endet. Die Schweizer stimmten einem
Verfassungsartikel zu, der vorsieht, dass das Schuleintrittsalter, die Dauer
der Schulstufen, deren Ziele und Übergänge einheitlich sein sollen. Von einem
Reform-Lehrplan, der nicht mehr auf Inhalte, sondern auf Kompetenzen beruht,
war nicht Rede.
Bislang, so Pichard, werde jede Kritik am
Lehrplan 21 «in die konservative Ecke gestellt» und als «konservative
Meinungsmache schubladisiert». Die Kampfansage von links soll das nun ändern.
An der Basler Fasnacht wird manches auf den Punkt gebracht und kein Blatt vor den Mund genommen, dachte ich, denn 2016 fehlte der Lehrplan 21, mindestens in den TV Streams inexistent, sieht schwer nach Zensur von höchster Stelle her aus.
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