Anfangs
November 2015 findet in Frankfurt eine von der Gesellschaft für Bildung und
Wissen ausgeschriebene Tagung mit dem Titel «Zehn Jahre Frankfurter Einsprüche
gegen die Ökonomisierung des Bildungswesens» statt, unter anderem auch mit
Referenten aus der Schweiz. Ziel der Gesellschaft ist eine Neubesinnung von
Schulen und Universitäten im Zeichen von Bildung und Wissen. Die Gesellschaft
plädiert für eine kritische Aufarbeitung der politischen und ökonomischen
Übergriffe auf das Bildungswesen.
Die schleichende Ökonomisierung unserer Volksschule, Südostschweiz Blog, 3.11. von Elisabeth Calcagnini
Auch hierzulande
beunruhigt zunehmend die Tatsache, dass im Bildungswesen seit vielen Jahren die
Tendenz zur Ökonomisierung unvermindert und praktisch unwidersprochen anhält.
Bereits 2011 beklagte Bruno Nüsperli (Forum Schweiz) in einem Brief an die Bildungsdirektoren
der Kantone einen massiven Übergriff internationaler Organisationen wie der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf das
schweizerische Bildungswesen.
Im Hochschulbereich
begann es mit dem Bologna-Prozess, durch den die internationale Harmonisierung
von Strukturen und Zielsetzungen gefördert wurde. Durch PISA wurde die
ökonomische Begründung der Bildung in der Volksschule eingeführt. (Mehr dazu im offenen Brief an
Andreas Schleicher, OECD, Paris)
Im Kanton Zürich war es
Bildungsdirektor Ernst Buschor, der mit seiner Doktrin des New Public
Management jegliche demokratische Mitsprache ausklammern wollte. Später wurde
er als Vorsitzender ins Kuratorium der deutschen Bertelsmann-Stiftung berufen,
die als einflussreicher Think Tank für die «Schule der Zukunft» die neuen Führungs-
und Sozialtechniken auch für die Organisation der Schule einführen will. In
Weiterbildungen für Lehrpersonen hörte man in der Folge viel von
«Selbstmanagement» und von «Qualitätssicherung».
Das Projekt Harmos, das
im Kanton Graubünden zwar abgelehnt wurde, folgte diesem internationalen Trend,
den Stellenwert des Messbaren zu überhöhen. Bildung wurde zunehmend unter dem
Aspekt der Nützlichkeit und der Verwertbarkeit betrachtet. «Qualität von
Bildung» wurde das beschönigend genannt. Und die Maschinerie läuft seit PISA
auf Hochtouren. Eine Flut von Tests begleitet den Schulalltag der Kinder und
verbreitet Druck statt Lernfreude. Nur noch Punkte zählen in diesem allgemeinen
Wettbewerb.
Im linken Think Tank
«Denknetz» kritisiert die für den Bildungsbereich zuständige Linda Stibler,
dass auch in der Schweiz zunehmend neoliberale Konzepte die Bildungspolitik
bestimmen. Die Folge ist, dass Bildung vor allem darauf ausgerichtet ist, die
wirtschaftliche Verwertbarkeit des Menschen als sogenanntes Humankapital ins Zentrum
zu stellen.
Diese Art von Bildung
fördert bei den Schülern und Schülerinnen eine Mentalität des «Abhakens»,
vertieftes Üben verliert an Wichtigkeit. Bildung darf nicht dazu verkommen,
dass schon Kinder in der Schule nur noch das Nötigste erledigen, dass es um
Punkte oder um Kreuze im richtigen Kästli geht statt um interessante Inhalte.
Als Folge davon beklagen schon heute viele kleine und mittlere Betriebe das
ungenügende Grund- und Fachwissen der Schulabgänger.
Auch der Lehrplan 21
muss in diesen Zusammenhang gestellt werden. Mit seiner Orientierung an
Kompetenzen wird die verlässliche Messung der Lernergebnisse ins Zentrum der
Bildung gerückt, die dann in den PISA-Tests der Wirtschaftsorganisation OECD
abgefragt werden können.
Es ist daher sehr zu begrüssen,
dass nun nach vielen anderen Kantonen auch im Kanton Graubünden mit der
Initiative «Gute Schule Graubünden – Mitbestimmung des Volkes bei Lehrplänen»
die demokratische Legitimation von grundlegenden Änderungen im Bereich der
Volksschule, wie sie der Lehrplan 21 darstellt wieder eingefordert wird.
Kritiker sind weder Ewiggestrige noch Besitzstandwahrer, sondern setzen sich
sehr zu Recht zur Wehr gegen den Schaden, den die Ökonomisierung mit sich
bringt: Niveausenkung und Verzicht auf Fachlichkeit. Weder die im Lehrplan 21
favorisierte Output-Orientierung, noch die hochgelobten Kompetenzen werden dazu
beitragen, dass jedes Kind in der Schule sein volles Potenzial als Person und
Bürger in der Gesellschaft entwickeln kann.
Eine weitere Folge
dieses Irrweges ist beispielsweise auch die im Lehrplan 21 vorgesehene,
kurzsichtige Abschaffung der Geschichte als eigenständiges Fach. Der Unterricht
in Sammelfächern wie «Natur, Mensch, Gesellschaft» verzichtet weitgehend auf
Fachlichkeit, erschwert den Zugriff auf viele traditionell verankerte
Bildungsinhalte und birgt die Gefahr einer unverbindlichen Beliebigkeit. In
einer Demokratie müssen die zukünftigen Bürgerinnen und Bürger einen Sinn für
gemeinschaftliches Denken und Handeln entwickeln. Dies gehört unverzichtbar zur
Allgemeinbildung. Ranglisten und Rankings sagen dazu wenig bis nichts aus.
Elisabeth
Calcagnini ist Heilpädagogin und Mitglied im Initiativkomitee «Gute Schule Graubünden – Mitsprache des Volkes bei
Lehrplänen!».
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