Passepartout ist der Name
für ein interkantonales Sprachenerwerbskonzept in der Volksschule entlang der
Sprachgrenze Deutsch–Französisch, das seit 2006 von sich reden macht. Es
betrifft die Kantone Basel-Stadt, Baselland, Bern, Freiburg, Solothurn und Wallis.
Vorweggenommen: Damit verbunden ist auch ein grosser Kritikpunkt an Harmos
selbst, denn ebendiese Deutschschweizer Kantone präferieren Französisch als
erste Frühfremdsprache, während der Rest der Deutschschweiz auf Englisch setzt.
Der viel diskutierten Mobilität in der Schweiz samt Kind und Kegel stellt sich
dieser Zankapfel entgegen, monieren die einen. Am Ende der Volksschule sind eh
alle gleich weit, tönt es von der anderen Seite. Als Nicht-Sprachenlehrer habe
ich mir die Aufgabe gestellt, über erste Erfahrungen mit «Passepartout» zu
recherchieren und zu räsonieren. Damit entgehe ich dem Vorwurf der
Voreingenommenheit.
Der Schlüssel scheint lange nicht allen zu passen, Bild: kaba.com
Est-ce que ça passe partout? Basler Zeitung, 14.10. von Daniel Vuilliomenet
Sprung ins kalte Wasser
Viele nicht mehr ganz
junge Personen erinnern sich sicher noch an ihren eigenen Französisch- oder
Englischunterricht. Das hiess vor allem: Wörtli lernen, konjugieren, viel
Grammatik und Übersetzungen. Mit dem soll nun Schluss sein. Die Harmos-Klassen
der «Passepartout»-Primarschulen werden ab der 3. Klasse mit Französisch und ab
der 5. Klasse in der englischen Sprache «frühfremd» vertraut gemacht, vorab in
spielerischen Formen. Dazu dienen die beiden Lehrmittel «Mille feuilles» und
«New World», fortgesetzt auf der Sekundarschule mit «Clin d’œil» und ebenfalls
«New World».
Die damit einhergehende
Sprachdidaktik geht neue Wege. Anstatt auf den systematischen
Wortschatzaufbau, verbunden mit der Erlangung grammatikalischer Fähigkeiten,
setzen die neuen Lehrmittel auf den berühmten Sprung ins kalte Wasser.
«Sprachbad» heisst das im Fachjargon. So wie kleine Kinder in ihren ersten
Lebensjahren ganz natürlich durch Nachahmen Sprache erwerben, sollen auch
aktuelle Harmos-Schüler ihren Fremdsprachenerwerb gestalten. Dabei bleibt es in
der Primarschule nicht bei einer bearbeiteten Fremdsprache – nein, gleich zwei
Fliegen gilt es auf einen zeitlich gestaffelten Schlag zu «erledigen».
Ist das gut? Bewältigen
das die Kids von heute mühelos? Hat die digitale Revolution der letzten Jahre
und Jahrzehnte althergebrachtes, konventionelles Lernen hinfällig gemacht? Die
Antwort lautet: ja und nein! Es gibt Hinweise in beide Richtungen. Doch die
Befürchtungen, dass mit dem Sprachbad auch ein Grossteil der Kinder
ausgeschüttet wird, nehmen zu. Es sind vor allem diejenigen Kinder, denen das
Lernen, wie immer es auch geschieht, nicht ganz leichtfällt. Dazu kommt, dass
gerade Primarlehrpersonen von zunehmenden Schwierigkeiten vieler Schülerinnen
und Schüler mit der Erstsprache Deutsch berichten, vor allem auch dann, wenn
diese sogenannte Erstsprache nicht der Muttersprache entspricht. Darauf weist
auch eine kürzlich präsentierte Studie der Universität Zürich hin (S. E.
Pfenninger im Dezember 2014). Deren provokanter Titel lautet: «Wer gut im
Deutsch ist, lernt besser Englisch.»
Lehrmittel zunehmend
webbasiert
All die schönen
neurolinguistischen Begründungen im Passepartout-Konzept, die der parallelen
funktionalen Mehrsprachigkeit das Wort reden, scheinen an der bereits
erfahrenen Realität des Schulalltages anzustossen. Das kann zweifach begründet
werden: Erstens steht das gesamte Konzept zur Diskussion, zweitens aber dürfte
(gerade behördenseits) schnell einmal der Vorwurf laut werden, die bereits
mehrsprachig tätigen Lehrpersonen seien noch nicht ganz in der Lage, den Kern
der Botschaft «Passepartout» zu vermitteln. Doch da ist meiner Meinung nach
äusserste Vorsicht geboten.
Die neuen Lehrmittel sind
stark digitalisiert und arbeiten ab der Sekundarstufe 1 zunehmend
webbasiert. Das bedeutet, dass Schulen auch dementsprechend ausgerüstet sein
müssten. Nebst der Tatsache, dass die neuen Lehrmittel rund zehnmal so teuer
sind wie bisheriges Material, werden auch Anschaffungen von Tablets geprüft.
Alles gut und recht, doch wir stecken im Kanton Baselland mitten in einer
Bildungssparrunde. Schon an der Vollversammlung aller Lehrpersonen im 2010 habe
ich dem damaligen Bildungsdirektor Urs Wüthrich gegenüber deutlich angemahnt,
dass Sparen und Reformieren sich in der Regel nicht vertragen.
Von «Frühfremd» betroffene
Sekundarlehrpersonen berichten mir, dass der Übertritt von der Primarschule in
die Sekundarstufe 1 im Fach Französisch für etliche Schüler einen
regelrechten Praxisschock nach sich gezogen hätte. Bis anhin musste nichts
geschrieben werden (was sich mit der aktuellen Frühförderung ab diesem
Schuljahr etwas relativiert) und nun plötzlich eine zusätzliche Anforderung in
der Rechtschreibung – Deutsch allein genügte ja vollkommen. Dazu kommt,
dass einige Primarklassen offenbar gewohnt waren, in der Fremdsprache
Französisch phonetisch zu notieren, also anstatt «je» eben «schö». Das
vielleicht in Anlehnung an das berühmt-berüchtigte Leselernprogramm der
Primarunterstufe «Lesen durch Schreiben» von Jürg Reichen.
«Mille feuilles» und «New
World» setzen stark auf Kommunikation. Dennoch berichtete mir kürzlich meine
Frau, die als Primarlehrerin auf der Mittelstufe arbeitet, dass ihre Klasse in
einem Lager in der welschen Schweiz weder wusste, was «boulangerie» bedeutet
noch was das Wort «laiterie» meinen könnte. Dies nach gut zwei Jahren
Frühfranzösisch.
Sekundarlehrpersonen in
den Fächern Französisch und Englisch werden derzeit intensiv weitergebildet. 26
Halbtage (!) braucht es, um die neuen Lehrmittel zu verstehen. Dies, obwohl
jede dieser Lehrpersonen ihre Sprachfächer über mehrere Jahre studiert hat. Man
will Nägel mit harten Köpfen machen und riskiert, dass ebendiese Nägel
kopfscheu werden.
Deshalb meine Frage zum «Passepartout»-Konzept: Est-ce que ça passe
partout?
Daniel Vuilliomenet
(Ettingen) ist Sekundarlehrer in den Fachbereichen Mathematik,
Naturwissenschaften und Musik.
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