28. September 2015

Trommelfeuer gegen Lehrplangegner

Das Trommelfeuer, das momentan gegen alle Lehrplangegner abgefeuert wird, hält an. Nach den Artikeln von Walter Bernet, Urs Moser und Hans Hess widmet sich nun der Berner Bund dem Thema und konstatiert ein "christlich-konservatives Umfeld" bei den Initianten. Dies und ein paar Fragezeigen bezüglich der Rechtsgültigkeit einer möglichen Initiative genügt dem Berner Blatt. Kein Wort wird darüber verloren, aus welchen inhaltlichen Gründen sich die Leute gegen den Lehrplan 21 wehren. Das wäre doch auch noch interessant, oder? (uk)













Die Berner IG für eine starke Volksschule setzt sich für mehr Mitsprache des Volkes beim Lehrplan 21 ein, Bild: Keystone
Die Probleme der Lehrplangegner, Bund, 28.9. von Adrian M. Moser


Lange hat es so ausgesehen, als werde es im Kanton Bern keine Volksabstimmung über den Lehrplan 21 geben. Während sich in mehr als der Hälfte der Deutschschweizer Kantone Initiativkomitees formierten, blieb es im Wirkungsgebiet von Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) ruhig – bis zum 16. August. An diesem Tag machte die «SonntagsZeitung» publik, dass sich die Inte­ressengemeinschaft für eine starke Volksschule im Kanton Bern gebildet habe. «Wir wollen den Lehrplan 21 verhindern», erklärte Gründungsmitglied Rahel Gafner.
Es war das erste und einzige Mal, dass Gafner sich öffentlich zu den Initiativplänen äusserte. Ruft man sie an, sagt sie stets, es sei «noch zu früh, um etwas zu sagen». Am Freitag sagte sie immerhin dies: «Der Initiativtext steht. Wir lassen ihn nun juristisch abklären.» 

Das Volk soll entscheiden
Aus anderen Quellen ist etwas mehr zu erfahren. Die Initiative zielt nicht direkt auf den Lehrplan 21, sondern auf den Prozess, den er vor seiner Einführung durchlaufen muss. Heute entscheidet allein der Regierungsrat über den Lehrplan. Die Mitglieder der IG wollen, dass künftig der Grosse Rat und – falls jemand das Referendum ergreift – das Volk darüber befinden kann. Dieses Vorgehen haben etwa auch die Initianten im Kanton Zürich gewählt.
Doch die Lehrplangegner im Kanton Bern haben ein Problem: Der Prozess der Einführung ist hier deutlich weiter fortgeschritten als in Zürich. Um den Lehrplan 21 zu verhindern, reichte es deshalb wohl nicht, wenn die neue Regelung ab dem Tag der Abstimmung in Kraft träte, sie müsste auch rückwirkend gelten. Ob eine Initiative mit einem solchen Text gültig wäre, ist unter den Lehrplangegnern umstritten und soll nun juristisch abgeklärt werden.
Die Lehrplangegner im Kanton Bern haben aber noch ein zweites Problem: Die Gründe, weshalb sie den Lehrplan 21 ablehnen, sind höchst unterschiedlich. Am 16. Juni kamen in Bern etwa 50 Personen zusammen, um über die Initiative zu beraten: Mehrheitlich Konservative, aber auch einige Linke. Anwesend waren auch prominente Kritiker wie der Lehrer Alain Pichard, der Erziehungswissenschaftler Walter Herzog und die SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler.
Die treibende Kraft sind laut mehreren Quellen drei Frauen aus dem Berner Oberland, allesamt Mütter von schulpflichtigen Kindern. Rahel Gafner ist eine von ihnen. Sie will nichts über sich und ihre Mitstreiterinnen erzählen, sondern sagt nur: «Die Initiative zu dieser Initiative kam nicht aus der Politik, sondern von Eltern und Lehrern. Das ist mir wichtig.» Gafner will auch nicht sagen, welche weiteren Personen sich für die Initiative einsetzen. «Wir sind daran, Gespräche zu führen», sagt sie. «Dieses Projekt muss breit abgestützt sein.»

Christlich-konservatives Umfeld
Die Sorge, die Initiative könnte als Projekt aus einer bestimmten politischen Ecke wahrgenommen werden, hat ihren Grund: Gafner kommt aus einem christlich-konservativen Umfeld. Auf dem evangelikalen Internetportal Livenet.ch bietet sie mit ihrem Mann eine Wohnung an. («Familie mit 5 Kindern vermietet kinderfreundliche Ferienwohnung.») Weitere Eindrücke liefern die zahlreichen Leserbriefe, die sie verfasst hat. «Die Medien haben wieder einmal ein Opfer für einen Skandal gefunden», schrieb sie 2010 im «Berner Oberländer» zur Debatte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Und 2011 zur Waffeninitiative: «Solange es in unserem Land toleriert wird, dass jährlich Tausende von Babys im Mutterleib zerstückelt, verätzt und abgesaugt werden, muss mir niemand kommen, wir müssten jetzt unbedingt die paar Selbstmorde mit Armeewaffen verhindern!» In weiteren Briefen geht es um das «erfundene CO2-Theater» oder die «politisch korrekte Wissenschaft».
Zum Lehrplan 21 äussert sie sich zurückhaltender. «Alle Kinder haben ein Anrecht auf echte Bildung», schrieb sie kürzlich im «Bieler Tagblatt». Deshalb setze sie sich gegen den neuen Lehrplan ein. In einem anderen Zusammenhang warf sie vor einigen Jahren in der «Berner Zeitung» «den Politikern» vor, ihnen gehe es «eigentlich nur darum, die Kinder im Sinne des Staates zu erziehen».

Herzog und Pichard auf Distanz
Lehrer Pichard und Erziehungswissenschaftler Herzog gehen zu Gafner auf Distanz. Pichard will sich auf Anfrage nicht zu den Initiativplänen äussern. Er steht zwar mit Gafner in Kontakt, lässt aber offen, ob er ihr Projekt unterstützen wird. Pichard wehrt sich stets dagegen, «in die konservative Ecke gestellt zu werden». Die Angst, dass das wieder geschehen könnte, dürfte der Hauptgrund für seine Zurückhaltung sein.
Herzog bekundet zwar Sympathie für das Anliegen, künftig Parlament und Volk über den Lehrplan entscheiden zu lassen. Aber er sagt über die Versammlung vom 16. Juni: «Dieses Umfeld war mir etwas suspekt.» Viele der Anwesenden hätten Kritik an der Schule vorgetragen, die mit dem neuen Lehrplan nichts zu tun habe. Er hat sich deshalb nicht weiter für das Projekt engagiert. (


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