Die Berner IG für eine starke Volksschule setzt sich für mehr Mitsprache des Volkes beim Lehrplan 21 ein, Bild: Keystone
Die Probleme der Lehrplangegner, Bund, 28.9. von Adrian M. Moser
Lange hat es so ausgesehen, als werde es im Kanton Bern keine
Volksabstimmung über den Lehrplan 21 geben. Während sich in mehr als der Hälfte
der Deutschschweizer Kantone Initiativkomitees formierten, blieb es im
Wirkungsgebiet von Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) ruhig – bis zum
16. August. An diesem Tag machte die «SonntagsZeitung» publik, dass sich die
Interessengemeinschaft für eine starke Volksschule im Kanton Bern gebildet
habe. «Wir wollen den Lehrplan 21 verhindern», erklärte Gründungsmitglied Rahel
Gafner.
Es war das erste und einzige Mal, dass Gafner sich öffentlich zu den
Initiativplänen äusserte. Ruft man sie an, sagt sie stets, es sei «noch zu
früh, um etwas zu sagen». Am Freitag sagte sie immerhin dies: «Der
Initiativtext steht. Wir lassen ihn nun juristisch abklären.»
Das Volk soll entscheiden
Aus anderen Quellen ist etwas mehr zu erfahren. Die Initiative zielt
nicht direkt auf den Lehrplan 21, sondern auf den Prozess, den er vor seiner
Einführung durchlaufen muss. Heute entscheidet allein der Regierungsrat über
den Lehrplan. Die Mitglieder der IG wollen, dass künftig der Grosse Rat und –
falls jemand das Referendum ergreift – das Volk darüber befinden kann. Dieses
Vorgehen haben etwa auch die Initianten im Kanton Zürich gewählt.
Doch die Lehrplangegner im Kanton Bern haben ein Problem: Der Prozess
der Einführung ist hier deutlich weiter fortgeschritten als in Zürich. Um den
Lehrplan 21 zu verhindern, reichte es deshalb wohl nicht, wenn die neue
Regelung ab dem Tag der Abstimmung in Kraft träte, sie müsste auch rückwirkend
gelten. Ob eine Initiative mit einem solchen Text gültig wäre, ist unter den
Lehrplangegnern umstritten und soll nun juristisch abgeklärt werden.
Die Lehrplangegner im Kanton Bern haben aber noch ein zweites Problem:
Die Gründe, weshalb sie den Lehrplan 21 ablehnen, sind höchst unterschiedlich.
Am 16. Juni kamen in Bern etwa 50 Personen zusammen, um über die Initiative zu
beraten: Mehrheitlich Konservative, aber auch einige Linke. Anwesend waren auch
prominente Kritiker wie der Lehrer Alain Pichard, der Erziehungswissenschaftler
Walter Herzog und die SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler.
Die treibende Kraft sind laut mehreren Quellen drei Frauen aus dem
Berner Oberland, allesamt Mütter von schulpflichtigen Kindern. Rahel Gafner ist
eine von ihnen. Sie will nichts über sich und ihre Mitstreiterinnen erzählen,
sondern sagt nur: «Die Initiative zu dieser Initiative kam nicht aus der
Politik, sondern von Eltern und Lehrern. Das ist mir wichtig.» Gafner will auch
nicht sagen, welche weiteren Personen sich für die Initiative einsetzen. «Wir
sind daran, Gespräche zu führen», sagt sie. «Dieses Projekt muss breit
abgestützt sein.»
Christlich-konservatives Umfeld
Die Sorge, die Initiative könnte als Projekt aus einer bestimmten
politischen Ecke wahrgenommen werden, hat ihren Grund: Gafner kommt aus einem
christlich-konservativen Umfeld. Auf dem evangelikalen Internetportal
Livenet.ch bietet sie mit ihrem Mann eine Wohnung an. («Familie mit 5 Kindern
vermietet kinderfreundliche Ferienwohnung.») Weitere Eindrücke liefern die
zahlreichen Leserbriefe, die sie verfasst hat. «Die Medien haben wieder einmal
ein Opfer für einen Skandal gefunden», schrieb sie 2010 im «Berner Oberländer»
zur Debatte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Und 2011 zur
Waffeninitiative: «Solange es in unserem Land toleriert wird, dass jährlich
Tausende von Babys im Mutterleib zerstückelt, verätzt und abgesaugt werden,
muss mir niemand kommen, wir müssten jetzt unbedingt die paar Selbstmorde mit
Armeewaffen verhindern!» In weiteren Briefen geht es um das «erfundene
CO2-Theater» oder die «politisch korrekte Wissenschaft».
Zum Lehrplan 21 äussert sie sich zurückhaltender. «Alle Kinder haben ein
Anrecht auf echte Bildung», schrieb sie kürzlich im «Bieler Tagblatt». Deshalb
setze sie sich gegen den neuen Lehrplan ein. In einem anderen Zusammenhang warf
sie vor einigen Jahren in der «Berner Zeitung» «den Politikern» vor, ihnen gehe
es «eigentlich nur darum, die Kinder im Sinne des Staates zu erziehen».
Herzog und Pichard auf Distanz
Lehrer Pichard und Erziehungswissenschaftler Herzog gehen zu Gafner auf
Distanz. Pichard will sich auf Anfrage nicht zu den Initiativplänen äussern. Er
steht zwar mit Gafner in Kontakt, lässt aber offen, ob er ihr Projekt
unterstützen wird. Pichard wehrt sich stets dagegen, «in die konservative Ecke
gestellt zu werden». Die Angst, dass das wieder geschehen könnte, dürfte der
Hauptgrund für seine Zurückhaltung sein.
Herzog bekundet zwar Sympathie für das Anliegen, künftig Parlament und
Volk über den Lehrplan entscheiden zu lassen. Aber er sagt über die Versammlung
vom 16. Juni: «Dieses Umfeld war mir etwas suspekt.» Viele der Anwesenden
hätten Kritik an der Schule vorgetragen, die mit dem neuen Lehrplan nichts zu
tun habe. Er hat sich deshalb nicht weiter für das Projekt engagiert. (
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