Tausende Kompetenzen für eine bessere Volksschule, Blog Südostschweiz, 8.9.von Fritz Tschudi
Doch das Internet schwieg sich darüber beharrlich
aus. Es lieferte stattdessen lauter gängige Behauptungen und Floskeln, welche
den neuen Lehrplan und die Heilslehre des konstruktivistischen Unterrichts als
Selbstverständlichkeit preisen. Hinterfragt wird nichts. Begründungsfreie
«Verständnishilfen» wie diese hier, vorgetragen in zweckdienlicher
Genügsamkeit, beherrschen die Szene.
Selbst die Fachinstanzen, als Horte der Seriosität
und Wissenschaftlichkeit gewertet, wagen sich nicht aus der Deckung. Die
Pädagogischen Hochschulen (PH) sind offenbar voll damit beschäftigt, künftige
Lehrpersonen auf die Vorgaben des neuen Lehrplans einzustimmen. Der Lehrplan 21
wird trotz des implantierten gesellschaftspolitisch bedeutsamen
Richtungswechsels, hemmungslos, unter Verzicht auf basisdemokratische
Legitimation in die Köpfe gepackt. Es wird nach aussen so getan, als ginge es
lediglich um den Erlass einer neuen Lehrstoffsammlung. – Dass der Lehrplan 21
in Wahrheit auf schwachen Füssen steht, wissen die Erziehungsdirektoren, die PH
und auch die Lehrerverbände (!) aber sehr genau!
Einsichtige Pro-Argumente sind rar,
wissenschaftlich fundierte fehlen gänzlich
Der Kompetenzorientierung im LP21 und der
Verknüpfung mit dem konstruktivistischen Unterricht (Lerngelegenheiten,
Selbstorganisiertes Lernen, Lehrverbot) fehlt jede wissenschaftlich tragfähige
Basis. Die durch die internationale politische Konformität begünstigte, aber
sachlich nie offen begründete Übernahme und Adaption eines importierten
Konzeptes aus dem Hause OECD, gefährdet empirisch nachweisbar das
Bildungsniveau. Es widerspricht den Leitzielen eines demokratischen
Bildungswesens, zersetzt didaktisches und pädagogisches Denken und Handeln und
behindert Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu mündigen
Staatsbürgern. Diese Ausrichtung ist auch deshalb von eminenter
gesellschaftlicher Bedeutung, weil sie bestehende Traditionen bekämpft und die
Entwurzelung unserer Schuljugend begünstigt. Ziel ist die Heranbildung des
klaglos funktionierenden, angepassten, vor allem der ökonomischen
Verwertbarkeit dienlichen Mensch. Dass dieses Menschenbild kaum politische
Mündigkeit zulässt und damit den Weiterbestand der Demokratie gefährdet, liegt
auf der Hand. Absicht oder Naivität ist hier die zentrale Frage.
Das Kompetenzkonzept verhindert zudem das bisher
unbestrittene Prinzip der beruflichen Methodenfreiheit der Lehrerinnen und
Lehrer. Damit wird eine wesentliche Basis für die Motivation im Beruf, die
«unternehmerische Freiheit» als Voraussetzung zur Gestaltung eines
begeisternden Unterrichts in eigener Verantwortung, zu Grabe getragen. Die
Folgen für den Lehrerberuf und die Unterrichtsqualität sind verheerend.
Das Zauberwort heisst seit Jahren
«Professionalisierung». Unter dieser Prämisse wird heute viel Unsinn verkündet.
Die Pseudowissenschaftlichkeit verhilft dem konstruktivistischen Gedankengut zu
unübersehbarer Präsenz in Schulen und Medien. Die Publizität rückt die
Wahrnehmung eines grundsätzlich verfehlten Unterrichtsprinzips ins Zentrum der
Aufmerksamkeit. Dies trotz der eindeutigen Zeichen von Schwindsucht,
Sektierertum und weltweiter dramatischer Erfolglosigkeit. Die Aufrechterhaltung
dieser Irrwege wird für Aussenstehenden nur einsichtig, wenn man der
Bildungspolitik unterstellt, genau jene Ziele anzustreben, welche die Umsetzung
des Konstruktivismus und der Kompetenzorientierung real zeitigt: Schülerleistungen
und Bildung für alle abbauen, immer weiter nach unten nivellieren und den
Missstand mit Notendumping soweit kaschieren, dass es der Öffentlichkeit nicht
allzu krass auffällt. (siehe Deutschland nach zehn Jahren
Kompetenzorientierung!).
Der französische Mathematiker und Wissenschaftler, Laurent
Lafforgue, meint in seiner Schrift «Die Wissenschaftler und die Schule»:
Die erste Wirkung der ‚Verwissenschaftlichung’ der
Unterrichtspraxis ist, dass sie naiv macht. Genau davon
profitieren die sogenannten «Bildungswissenschaften». Weil sie sich als
«wissenschaftlich» ausgegeben haben, konnten sie die traditionellen
Unterrichtsmethoden diskreditieren, sie als blosses Handwerk denunzieren, und die
alten Lehrerbildner aus den Lehrerbildungseinrichtungen verjagen, deren
Know-how verloren gegangen ist. Das Ergebnis ist katastrophal. Daher muss die
Autorität, die man im Namen der «Wissenschaft» diesen angeblichen
Wissenschaftlern, ihren Theorien und ihren Praxismethoden über eine lange
Schonzeit zugestanden hat, in Zweifel gezogen werden.
Auch Prof. Jochen Krautz überzeugt mit starken Thesen (ab S.6).
Die Befürworter sehen sich ausserstande, die
fundamentalen Schwächen ihres «Jahrhundertwerkes» überzeugend zu entkräften
Der Zürcher Bildungsexperte Urs Moser bekannte
schon vor Jahren freimütig, der Lehrplan 21 sei nicht für die Lehrer gemacht.
Er diene primär der periodischen Kontrolle der Lernleistungen durch Messungen
zur Speisung des nationalen Bildungsmonitorings, zur Steuerung des
Bildungssystems. Der neue Lehrplan ist im Wesentlichen das Ergebnis dieses
politischen Kalküls.
Wer dem Lehrplan 21 pädagogischen Nutzen attestiert
will, sieht sich darum genötigt, Binsenwahrheiten des Unterrichtens zu
verkünden. Es scheint schon zu genügen, den LP21 als unverzichtbarer
Fortschritt zu proklamieren. – Viele Politiker, aber auch Lehrer tappen
wunschgemäss in diese Falle. (Wer will denn schon als «rückwärtsgewandt»
gelten?)
Dass erst mit der Kompetenzorientierung im Lehrplan
21 vernetztes Denken und Tun, handlungsorientiertes Lernen und Können in die
Schulen Einzug halte, ist leicht als unseriöse Unterstellung verantwortungsloser
Propagandisten zu entlarven. Die Frage aber ist, warum Verfechter eines
umstrittenen Projekts sich aus der untersten Schublade bedienen, wenn nicht aus
purer Hilflosigkeit?
Der Verzicht der Befürworter auf offene Debatten
ist selbsterklärend
Jedes offen geführten Gespräch zur Problematik des
LP21 führt die Verteidiger in eine desolaten Lage: Die Ungereimtheiten lassen
sich weder mit wissenschaftlichem noch mit empirischem Fundus entkräften. Es
bleibt nur die Rhetorik oder beharrliches Schwiegen. Das grosse Schweigen zu
sachlich unverzichtbaren Fragen über Jahre ist demnach nicht Ausdruck von
Arroganz oder überbordender Selbstherrlichkeit; nein, es ist der Versuch der
Selbsterrettung aus einer misslichen Lage.
Für die Lehrplanverantwortlichen besteht folglich
kein Anlass, sich von ihrer bewährten Taktik zu verabschieden. Die zumeist eher
lapidaren Werbebotschaften und die Verkündung alternativloser Direktiven (...
am Lehrplan 21 führt kein Weg vorbei ...) werden uns also erhalten bleiben.
Währenddessen sorgen die Schulbürokraten und deren Helfer unentwegt für die
stramme Ausrichtung der Lehrer auf die kompetenzorientierte neue Schulwelt. Sie
sind sich der bereitwilligen Unterstützung durch Lehrerverbände gewiss. Der Ruf
zum «Change Management» erschallt schon im Thurgau und anderswo; die Herde
folgt (noch) ohne zu murren …
… und als passender humoristischer Schlusspunkt
bietet sich eine Episode aus der Satiresendung «Giacobbo/Müller», vom 2. November 2014 an.
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