28. Januar 2015

Das grosse Gähnen

Morgenstund hat Gold im Mund – das geflügelte Wort aus agrarisch geprägten Zeiten wirkt sich bis auf den heutigen Schulalltag aus. In kaum einem anderen europäischen Land ertönen die Schulglocken so früh wie in der Schweiz. An der Oberstufe ist es die Regel, dass der Unterricht um 7.30 Uhr (oder sogar noch früher) beginnt. Falls die Jugendlichen aus verschiedenen Dörfern anreisen – an der Sekundarschule und an Gymnasien die Regel -  bedeutet dies Tagwache um 6.15 Uhr oder noch früher. Während dies in Graubünden als naturgegeben hingenommen wird, beginnt sich andernorts Widerstand zu regen.




Der frühe Schulbeginn wird vermehrt hinterfragt, Bild: Augsburger Allgemeine


Das grosse Gähnen, Schulblog Südostschweiz, 28.1. von Urs Kalberer
Der St. Galler Sekundarlehrer und BDP-Kantonsrat Richard Ammann reichte einen Vorstoss ein mit der Forderung, den Schulstart auf 8 Uhr zu verschieben. Ammann findet einen früheren Start nicht jugendgerecht. «80 Prozent der Firmen nehmen am Morgen vor acht Uhr kein externes Telefon ab», sagt Ammann. Studenten an Universitäten würden frühestens um acht Uhr Vorlesungen zugemutet – als «passive Zuhörer». Volksschüler dagegen müssten bereits kurz nach sieben Uhr «aktiv» am Unterricht teilnehmen – «das ist paradox». Ammann ist nicht alleine: Bereits hat Basel-Stadt eine Anpassung der Startzeiten beschlossen und die Stadt Bern prüft eine entsprechende Regelung.
Seitens der Wissenschaft weist die Lernforscherin Elsbeth Stern darauf hin, dass  die meisten Kinder früh morgens wenig leistungsfähig sind. Forschungen zeigen, dass besonders Jugendliche nur sehr schwer in Schwung kommen. Die Wissenschaft plädiert deshalb für einen späteren Schulbeginn. Eine Basler Untersuchung kommt zum Schluss, dass sich eine längere Schlafdauer positiv auf die Schulleistungen auswirkt. 

Doch, ist das Ganze nicht einfach ein weiterer Versuch, das Leistungsniveau zu drücken und den Schülern alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen? Schliesslich soll die Oberstufe auf den späteren Berufsalltag vorbereiten. Doch was für einen Fabrikarbeiter oder einen Buschauffeur von Belang ist, muss nicht auch für einen 13-Jährigen gelten, der mitten in der Pubertät steckt. Viele Schweizer Schüler müssen heute früher aus dem Haus als ihre berufstätigen Eltern. Da müssten doch Bildungsverantwortlichen ein Fragezeichen setzen, findet Christian Cajochen, der Leiter der Abteilung Chronobiologie der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel.

Wie könnte die ausfallende Frühlektion kompensiert werden? Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Eine verkürzte Mittagspause oder einen (noch) längeren Nachmittag. Beide Varianten dürften nicht mehrheitsfähig sein. Doch das eigentliche Problem liegt in der Lektionszahl unserer Schüler. Diese ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Mit dem Lehrplan 21 wurde die Chance verpasst, die Lektionentafel endlich zu entrümpeln. Da wird zwar ständig Neues (z.B. Primarfremdsprachen, Informatik, Tastaturschreiben, Wirtschaft, Sexualkunde, Berufswahlvorbereitung usw.) aufgenommen, doch alte Zöpfe werden nicht abgeschnitten, sondern weiter mitgeschleppt. Und so wächst dann die Wochenstundenzahl kontinuierlich an.

Am Anfang meiner Lehrerlaufbahn starteten wir um acht Uhr. Mit dem steigenden Angebot von Wahlfächern wurden diese dann vereinzelt vorverlegt. Anschliessend wurde der Samstag schulfrei, was den Stundenplan unter der Woche weiter füllte. Doch das Problem ist nicht der schulfreie Samstag. Die Schüler haben zu viele Lektionen und dies ist leider eine Folge von Konzeptlosigkeit und Fehlplanung auf Stufe der Bildungsadministration.


So ist denn ein späterer Morgen erst möglich, wenn endlich Konzepte für eine Straffung der Lektionszahl vorliegen. Doch daran wagt man in EDK-Kreisen gar nicht zu denken. Zu viel hat man in oberflächliche Kompetenzformulierungen – sprich Lehrplan 21 – gesteckt.

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