Einen Geschichtsvortrag mit PowerPoint zu präsentieren ist gut und recht, aber zu wenig, Bild: Christof Schuerpf
Medienbildung gehört in die Lehrpläne - mit eigenem Schulfach, Südostschweiz, 29.9. von Dennis Bühler
Während das Internet für alte, mächtige Menschen wie Angela Merkel noch
immer «Neuland» ist, sind sie mit ihm aufgewachsen: Kinder, die zwischen sechs
und 13 Jahre alt sind und in die Primarschule gehen. Wie selbstverständlich
tippen sie auf dem Smartphone rum, das zu Hause aufliegt, ohne Probleme
scrollen sie im Internet und zoomen auf dem iPad. Kein Wunder: Während das
Internet zum Ende des letzten Jahrtausends – als Merkel noch nicht deutsche
Bundeskanzlerin, aber schon nicht mehr jung war – noch kaum eine Rolle spielte,
ist es heute allgegenwärtig. Gaben 1997 in einer Umfrage des Schweizer
Bundesamts für Statistik noch bloss sieben Prozent der Bevölkerung an, mehrmals
pro Woche zu surfen, sind es heute 87.
Seit gestern liegen die Ergebnisse der Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (ZHAW) vor, die erstmals in einer gross angelegten Studie die
Mediennutzung von Kindern im Primarschulalter untersucht hat. Die Erkenntnisse
sind vielschichtig: So zeigt sich erstens, dass die «Generation Touchscreen»
hierzulande bisher «mehr Mythos als Realität» ist, wie sich ZHAW-Forscher
Daniel Süss ausdrückte; so spielen Schweizer Kinder in ihrer Freizeit lieber
Fussball, Fangen oder Verstecken, als dass sie am Computer oder Tablet gamen.
Kein Verzicht aufs Handy
Doch zweitens verweist die Studie auch auf die herausragende Bedeutung
der digitalen Medien für Kinder im Primarschulalter. Mehr als ein Drittel der
Sechs- bis Siebenjährigen besitzt ein Handy, bei den 12- bis 13-Jährigen sind
es bereits drei Viertel. «Das Handy ist das mit Abstand beliebteste Medium –
selbst bei Kindern, die noch gar kein eigenes Gerät besitzen», so Süss. Auf die
Frage, welches Medium sie behalten würden, wenn sie alle ausser einem abgeben
müssten, antworteten denn auch mit Abstand am meisten der mehr als 1000
befragten Kinder im Primarschulalter mit «Handy».
Digitale Medien in den Lehrplan
Welcher Schluss sollte nun aus dieser ZHAW-Studie gezogen werden? In
erster Linie der folgende: Die digitale Transformation der Welt muss endlich
Auswirkungen auf die Lehrpläne haben, und zwar nicht nur an Gymnasien, sondern
bereits in der Primarschule. Was im Leben der Kinder und Jugendlichen einen so
hohen Stellenwert hat wie digitale Medien, gehört in den Unterricht – und zwar
besser heute als morgen. Den Umgang mit digitalen Medien nicht zu lehren, ist
geradezu fahrlässig. Doch das ist leider noch immer Alltag: Eine vor drei
Jahren veröffentlichte Studie des Kantons Zürich förderte zutage, dass von 1068
befragten Schülern im Alter von 12 bis 20 Jahren über 70 Prozent in der Schule
noch nie oder nur am Rande über das Internet gesprochen hatten.
Viel geändert hat sich in der Zwischenzeit nicht: Noch immer kennt
einzig der Kanton Solothurn ein Schulfach, in welchem Medienkompetenz
vermittelt wird – genannt wird es seit August «Informatische Bildung», um so
die Bedeutung der Informatik zu steigern. «Informatik ist eine Voraussetzung
für das Verständnis der Informationsgesellschaft und Teil der
Allgemeinbildung», heisst es in einer kürzlich publizierten Broschüre des Solothurner
Volksschulamtes zu Recht.
Medienbildung ab Kindergarten
Immerhin: Im Lehrplan 21, der im März nach ellenlangen Diskussionen
endlich zur Umsetzung an die Kantone gereicht wurde, ist Medienbildung
obligatorisch vorgesehen. Doch der propagierte integrative Ansatz genügt nicht:
Medienbildung muss – wie in Solothurn – als eigenes Fach angeboten werden; ab
und zu im Mathe-Unterricht ein Sudoku auf dem Tablet zu lösen oder einen
Geschichtsvortrag mit Power Point zu präsentieren, ist gut und recht. Aber zu
wenig. Auch soll Medienkompetenz nicht erst ab der 3. Primarschulklasse
gefördert werden, sondern schon ab dem Kindergarten. Diesen Bedarf hat die
Studie der ZHAW gestern erneut bestätigt.
Zum Schluss eine versöhnliche Nachricht – vielleicht sind die Zeichen
der Zeit ja doch erkannt: Imedias, die Beratungsstelle Digitale Medien in
Schule und Unterricht der Fachhochschule Nordwestschweiz, stellt dieser Tage
eine neue Online-Plattform vor, auf der Lehrer konkrete Ideen finden, wie sie
die Medienkompetenz ihrer Schüler fördern können. Nach den Herbstferien wird
mi4u.ch zur Verfügung stehen. Allen Lehrern, schweizweit. Sie müssen nur
wollen.
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