29. September 2015

Medienbildung braucht eigenes Schulfach

Die Schule sollte sich mehr anstrengen, Medienkompetenz zu vermitteln. Eine Zürcher Studie kommt zum Schluss, dass Medienbildung bereits obligatorisch im Kindergarten vermittelt werden müsse.













Einen Geschichtsvortrag mit PowerPoint zu präsentieren ist gut und recht, aber zu wenig, Bild: Christof Schuerpf
Medienbildung gehört in die Lehrpläne - mit eigenem Schulfach, Südostschweiz, 29.9. von Dennis Bühler


Während das Internet für alte, mächtige Menschen wie Angela Merkel noch immer «Neuland» ist, sind sie mit ihm aufgewachsen: Kinder, die zwischen sechs und 13 Jahre alt sind und in die Primarschule gehen. Wie selbstverständlich tippen sie auf dem Smartphone rum, das zu Hause aufliegt, ohne Probleme scrollen sie im Internet und zoomen auf dem iPad. Kein Wunder: Während das Internet zum Ende des letzten Jahrtausends – als Merkel noch nicht deutsche Bundeskanzlerin, aber schon nicht mehr jung war – noch kaum eine Rolle spielte, ist es heute allgegenwärtig. Gaben 1997 in einer Umfrage des Schweizer Bundesamts für Statistik noch bloss sieben Prozent der Bevölkerung an, mehrmals pro Woche zu surfen, sind es heute 87.
Seit gestern liegen die Ergebnisse der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor, die erstmals in einer gross angelegten Studie die Mediennutzung von Kindern im Primarschulalter untersucht hat. Die Erkenntnisse sind vielschichtig: So zeigt sich erstens, dass die «Generation Touchscreen» hierzulande bisher «mehr Mythos als Realität» ist, wie sich ZHAW-Forscher Daniel Süss ausdrückte; so spielen Schweizer Kinder in ihrer Freizeit lieber Fussball, Fangen oder Verstecken, als dass sie am Computer oder Tablet gamen.

Kein Verzicht aufs Handy
Doch zweitens verweist die Studie auch auf die herausragende Bedeutung der digitalen Medien für Kinder im Primarschulalter. Mehr als ein Drittel der Sechs- bis Siebenjährigen besitzt ein Handy, bei den 12- bis 13-Jährigen sind es bereits drei Viertel. «Das Handy ist das mit Abstand beliebteste Medium – selbst bei Kindern, die noch gar kein eigenes Gerät besitzen», so Süss. Auf die Frage, welches Medium sie behalten würden, wenn sie alle ausser einem abgeben müssten, antworteten denn auch mit Abstand am meisten der mehr als 1000 befragten Kinder im Primarschulalter mit «Handy».

Digitale Medien in den Lehrplan
Welcher Schluss sollte nun aus dieser ZHAW-Studie gezogen werden? In erster Linie der folgende: Die digitale Transformation der Welt muss endlich Auswirkungen auf die Lehrpläne haben, und zwar nicht nur an Gymnasien, sondern bereits in der Primarschule. Was im Leben der Kinder und Jugendlichen einen so hohen Stellenwert hat wie digitale Medien, gehört in den Unterricht – und zwar besser heute als morgen. Den Umgang mit digitalen Medien nicht zu lehren, ist geradezu fahrlässig. Doch das ist leider noch immer Alltag: Eine vor drei Jahren veröffentlichte Studie des Kantons Zürich förderte zutage, dass von 1068 befragten Schülern im Alter von 12 bis 20 Jahren über 70 Prozent in der Schule noch nie oder nur am Rande über das Internet gesprochen hatten.

Viel geändert hat sich in der Zwischenzeit nicht: Noch immer kennt einzig der Kanton Solothurn ein Schulfach, in welchem Medienkompetenz vermittelt wird – genannt wird es seit August «Informatische Bildung», um so die Bedeutung der Informatik zu steigern. «Informatik ist eine Voraussetzung für das Verständnis der Informationsgesellschaft und Teil der Allgemeinbildung», heisst es in einer kürzlich publizierten Broschüre des Solothurner Volksschulamtes zu Recht.

Medienbildung ab Kindergarten
Immerhin: Im Lehrplan 21, der im März nach ellenlangen Diskussionen endlich zur Umsetzung an die Kantone gereicht wurde, ist Medienbildung obligatorisch vorgesehen. Doch der propagierte integrative Ansatz genügt nicht: Medienbildung muss – wie in Solothurn – als eigenes Fach angeboten werden; ab und zu im Mathe-Unterricht ein Sudoku auf dem Tablet zu lösen oder einen Geschichtsvortrag mit Power Point zu präsentieren, ist gut und recht. Aber zu wenig. Auch soll Medienkompetenz nicht erst ab der 3. Primarschulklasse gefördert werden, sondern schon ab dem Kindergarten. Diesen Bedarf hat die Studie der ZHAW gestern erneut bestätigt.

Zum Schluss eine versöhnliche Nachricht – vielleicht sind die Zeichen der Zeit ja doch erkannt: Imedias, die Beratungsstelle Digitale Medien in Schule und Unterricht der Fachhochschule Nordwestschweiz, stellt dieser Tage eine neue Online-Plattform vor, auf der Lehrer konkrete Ideen finden, wie sie die Medienkompetenz ihrer Schüler fördern können. Nach den Herbstferien wird mi4u.ch zur Verfügung stehen. Allen Lehrern, schweizweit. Sie müssen nur wollen.


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