7. August 2015

Rassismus in Kinderbüchern

Sollen Kinderbücher vom N-Wort gesäubert werden? Gedanken dazu von Sieglinde Geisel.
Das N-Wort im "Jim Knopf", NZZ, 7.8. von Sieglinde Geisel


In der aktuellen Ausgabe des Oetinger-Verlags ist Pippi Langstrumpfs wohlbeleibter, temperamentvoller Papa kein Neger-König mehr, sondern ein Südsee-König, und er spricht nicht mehr die Neger-Sprache, sondern die Taka-Tuka-Sprache. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass über verbotene Wörter in Kinderbüchern debattiert wurde. Mit einer kolorierten Neuausgabe zum 55. Geburtstag wäre dieser Tage nun Michael Endes «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» dran. «Das scheint mir ein kleiner Neger zu sein», sagt Herr Ärmel über den Inhalt des Pakets, das der Postbote bei Frau Waas auf Lummerland abgegeben hat. Vor zwei Jahren hatte der Thienemann-Verlag Otfried Preusslers «Die kleine Hexe» von anstössigen Wörtern gesäubert, diesmal jedoch hat man sich dagegen entschieden. Bei Herrn Ärmels Aussage handelt es sich um Rollenprosa im besten Sinn: Jedes Kind weiss, dass wir es mit einem Besserwisser und nicht mit einem Rassisten zu tun haben.
Wer ernstlich der Meinung ist, man solle Texte aus früheren Zeiten den heutigen Empfindlichkeiten anpassen, gerät rasch in Teufels Küche. So befand etwa Schopenhauer, «dass Jeder in dem Maasse gesellig ist, wie er geistig arm und überhaupt gemein ist. [. . .] Die geselligsten aller Menschen sollen die Neger sein, wie sie eben auch intellektuell entschieden zurückstehn.» In solchen Entgleisungen ist der Philosoph ein Kind seiner Zeit - niemandem fällt es ein, hier zu säubern.
Bei den Klassikern der Kinderliteratur liegt das Problem anders: Zum einen gibt es hier einen Erziehungsauftrag, und zum andern muss man beim Vorlesen die inkriminierten Wörter selbst in den Mund nehmen, weshalb viele Eltern vorbeugend umformulieren. Die Bücher von Ende, Preussler und Lindgren entstanden zu einer Zeit, da im Nachkriegsdeutschen Alltagsgrobheiten wie «Negerpimmel» (für Blutwurst) geläufig waren. Vor diesem Hintergrund sind die Kinderbuchautoren Vordenker des Multikulturalismus: Pippi ist stolz auf ihren Neger-König-Papa, und der gewitzte Jim Knopf - er findet Waschen überflüssig, weil seine Haut ohnehin schwarz sei - bietet Kindern grossartige Identifikationsmöglichkeiten. Das Problem ist nicht das Wort, sondern die Aufregung darüber. Es ist eine Ablenkungsdebatte - saubere Kinderbücher verschaffen ein gutes Gewissen, das uns nichts kostet. Der Kampf gegen den Rassismus muss anderswo geführt werden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen