10. Juni 2015

Juristische Fallstricke

Ein St. Galler Verwaltungsgerichtsurteil stellt die Zürcher Initianten vor noch ungelöste Probleme.
Boxenstopp für die Fremdsprachen-Initiative, NZZ, 10.6. von Walter Bernet


Der Zeitpunkt war nicht zufällig. Unmittelbar vor der Nidwaldner Abstimmung über die zweite Fremdsprache in der Primarschule trat Ende Februar auch ein Zürcher Initiativkomitee an die Öffentlichkeit, das die Primarschüler per Volksinitiative von dem heute geltenden Fremdsprachen-Doppelpack befreien wollte. Die Initiative hatte eine ähnliche Stossrichtung wie manch andere in anderen Kantonen: Nur ein fremdes Idiom soll fortan in der Primarstufe unterrichtet werden. Welche Sprache auf die Sekundarstufe zu verschieben ist, bliebe den zuständigen Instanzen überlassen.

Nicht ohne Harmos-Austritt

Endgültig lancieren wollten die Initianten um die Gruppierungen Schule mit Zukunft, Kindgerechte Schule und die Zürcher Kantonale Mittelstufe ihren Vorstoss im Juni. «Wir standen unmittelbar vor der Einreichung zur Vorprüfung», sagt auf Anfrage der Meilemer Werner Wunderli, als Vertreter von Schule mit Zukunft Co-Präsident des Initiativkomitees. Es war aber nicht die aus seiner Sicht verlorene Abstimmung in Nidwalden vom 8. März, die dem Komitee schliesslich den Wind aus den Segeln nahm. «Einen Strich durch die Rechnung», so Wunderli, machte den Initianten erst ein Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts von Ende April.

In diesem Urteil bestätigte das Gericht die von der St. Galler Regierung erklärte Ungültigkeit einer ähnlichen Initiative im Kanton St. Gallen. Im Zentrum des Urteils steht die Prüfung der Vereinbarkeit des Initiativbegehrens mit übergeordnetem Recht. Das Gericht kommt zum Schluss, dass das von den Initianten angestrebte St. Galler Ausscheren in der Sprachenfrage einer Verabschiedung aus dem gesamtschweizerischen Harmonisierungskonzept und damit einer Verletzung der von der Bundesverfassung vorgegebenen Koordinationspflicht gleichkomme. Zudem widerspreche die Volksinitiative dem Inhalt des in St. Gallen wie in Zürich am 30. November 2008 vom Volk angenommenen Harmos-Konkordats. Dieses schreibt unter anderem vor, dass die erste Fremdsprache spätestens nach dem 5., die zweite spätestens nach dem 7. Schuljahr (inklusive Kindergarten) zu unterrichten ist. Als interkantonaler Vertrag gehe das Konkordat kantonalem Recht vor. Die Initiative verstosse also sowohl gegen Bundesverfassungsrecht als auch gegen das für die beigetretenen Kantone verbindliche Harmos-Konkordat.

In St. Gallen haben die Initianten deshalb den Umweg über einen Austritt aus dem Harmos-Konkordat angetreten. Eine dazu lancierte zweite Volksinitiative ist inzwischen zustande gekommen. Heinz Herzog, Mitinitiant der für ungültig erklärten Initiative «Für die Volksschule», hält es für sehr wahrscheinlich, dass auch im Kanton Zürich nur ein Austritt aus dem Harmos-Konkordat den Weg zum Verzicht auf die zweite Fremdsprache in der Primarstufe freimacht. Ein Entscheid ist in Zürich noch nicht gefallen. Es stünden verschiedene Lösungen zur Debatte, sagt Wunderli. Sein Komitee diskutiere über diese in der zweiten Junihälfte. Sicher habe es keinen Sinn, eine Fremdsprachen-Initiative zu lancieren, bevor die juristische Ausgangslage geklärt sei.

Ein Lausanner Entscheid?

Ob Herzog und seine Mitdenker das Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts ans Bundesgericht weiterziehen, wird in den nächsten Tagen bekanntgegeben. Man spreche die Entscheidung noch mit den Komitees ähnlicher Initiativen in andern Kantonen ab, sagt Herzog. Chancenlos sei man vor Bundesgericht nicht. Festzustehen scheint, dass hier wie dort eine Volksabstimmung über die Fremdsprachenfrage nur zu haben ist, wenn die heftigen Grundsatzdiskussionen von 2008 über Vor- und Nachteile der Schulharmonisierung noch einmal geführt werden.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen