Boxenstopp für die Fremdsprachen-Initiative, NZZ, 10.6. von Walter Bernet
Der Zeitpunkt war nicht zufällig. Unmittelbar vor der Nidwaldner
Abstimmung über die zweite Fremdsprache in der Primarschule trat Ende Februar
auch ein Zürcher Initiativkomitee an die Öffentlichkeit, das die Primarschüler
per Volksinitiative von dem heute geltenden Fremdsprachen-Doppelpack befreien
wollte. Die Initiative hatte eine ähnliche Stossrichtung wie manch andere in
anderen Kantonen: Nur ein fremdes Idiom soll fortan in der Primarstufe
unterrichtet werden. Welche Sprache auf die Sekundarstufe zu verschieben ist,
bliebe den zuständigen Instanzen überlassen.
Nicht ohne Harmos-Austritt
Endgültig lancieren wollten die Initianten um die Gruppierungen Schule
mit Zukunft, Kindgerechte Schule und die Zürcher Kantonale Mittelstufe ihren
Vorstoss im Juni. «Wir standen unmittelbar vor der Einreichung zur Vorprüfung»,
sagt auf Anfrage der Meilemer Werner Wunderli, als Vertreter von Schule mit
Zukunft Co-Präsident des Initiativkomitees. Es war aber nicht die aus seiner
Sicht verlorene Abstimmung in Nidwalden vom 8. März, die dem Komitee
schliesslich den Wind aus den Segeln nahm. «Einen Strich durch die Rechnung»,
so Wunderli, machte den Initianten erst ein Urteil des St. Galler
Verwaltungsgerichts von Ende April.
In diesem Urteil bestätigte das Gericht die von der St. Galler Regierung
erklärte Ungültigkeit einer ähnlichen Initiative im Kanton St. Gallen. Im
Zentrum des Urteils steht die Prüfung der Vereinbarkeit des Initiativbegehrens
mit übergeordnetem Recht. Das Gericht kommt zum Schluss, dass das von den Initianten
angestrebte St. Galler Ausscheren in der Sprachenfrage einer Verabschiedung aus
dem gesamtschweizerischen Harmonisierungskonzept und damit einer Verletzung der
von der Bundesverfassung vorgegebenen Koordinationspflicht gleichkomme. Zudem
widerspreche die Volksinitiative dem Inhalt des in St. Gallen wie in Zürich am
30. November 2008 vom Volk angenommenen Harmos-Konkordats. Dieses schreibt
unter anderem vor, dass die erste Fremdsprache spätestens nach dem 5., die
zweite spätestens nach dem 7. Schuljahr (inklusive Kindergarten) zu
unterrichten ist. Als interkantonaler Vertrag gehe das Konkordat kantonalem
Recht vor. Die Initiative verstosse also sowohl gegen Bundesverfassungsrecht
als auch gegen das für die beigetretenen Kantone verbindliche Harmos-Konkordat.
In St. Gallen haben die Initianten deshalb den Umweg über einen Austritt
aus dem Harmos-Konkordat angetreten. Eine dazu lancierte zweite Volksinitiative
ist inzwischen zustande gekommen. Heinz Herzog, Mitinitiant der für ungültig
erklärten Initiative «Für die Volksschule», hält es für sehr wahrscheinlich,
dass auch im Kanton Zürich nur ein Austritt aus dem Harmos-Konkordat den Weg
zum Verzicht auf die zweite Fremdsprache in der Primarstufe freimacht. Ein
Entscheid ist in Zürich noch nicht gefallen. Es stünden verschiedene Lösungen
zur Debatte, sagt Wunderli. Sein Komitee diskutiere über diese in der zweiten
Junihälfte. Sicher habe es keinen Sinn, eine Fremdsprachen-Initiative zu
lancieren, bevor die juristische Ausgangslage geklärt sei.
Ein Lausanner Entscheid?
Ob Herzog und seine Mitdenker das Urteil des St. Galler
Verwaltungsgerichts ans Bundesgericht weiterziehen, wird in den nächsten Tagen
bekanntgegeben. Man spreche die Entscheidung noch mit den Komitees ähnlicher
Initiativen in andern Kantonen ab, sagt Herzog. Chancenlos sei man vor
Bundesgericht nicht. Festzustehen scheint, dass hier wie dort eine
Volksabstimmung über die Fremdsprachenfrage nur zu haben ist, wenn die heftigen
Grundsatzdiskussionen von 2008 über Vor- und Nachteile der Schulharmonisierung
noch einmal geführt werden.
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