Burnout: Das Managerleider ist in der Primarschule angekommen, Bild: Getty Images
Wenn Kinder einfach nicht mehr können, Sonntagsblick, 8.2. von Deborah Lacourrège
Er ist
erst zehn, doch sein Terminkalender ist so prall gefüllt wie der eines
Managers: Nico* aus Zürich geht zur Schule und drei Mal pro Woche in den
Tennisunterricht. «Er hat so viel Potenzial», sagen seine Eltern. Nico bekommt
Nachhilfe in Französisch. Und – um ihn musisch zu fördern – auch noch
Schlagzeugstunden. Seine Eltern waren
überzeugt: Sie tun ihrem Sohn etwas Gutes. Sie wollten ihn optimal
unterstützen, damit er in zwei Jahren den Übertritt ins Gymnasium schafft – und
danach studieren kann. Doch dann kam alles anders: Nico mochte nicht mehr
Tennis spielen, ass kaum noch, seine Noten wurden immer schlechter.
«Wir wussten nicht, was
los ist», sagt seine Mutter. Die Eltern wollen anonym bleiben. Zu gross ist die
Angst, dass Nico in der Schule ausgelacht wird. Die Mutter: «Den Stempel
Burnout bringt man so schnell nicht wieder weg.»
Denn der Schulpsychiater
stellte fest: Nico leidet an einer Erschöpfungsdepression, besser bekannt unter
dem Begriff Burnout. Das Managerleiden ist in der Primarschule angekommen.
«Seit zwei Jahren
erkranken immer mehr Grundschüler», sagt der deutsche Kinderpsychiater Michael
Schulte-Markwort (58) im Interview (rechts). Er schätzt, dass eines von 60
Kindern an Burnout leidet.
Bei einer Befragung im
Auftrag der WHO gab jeder dritte Schweizer Schüler an, an Stresssymptomen zu
leiden. Sie klagten über Bauchschmerzen oder Schlafstörungen. Die Folgen zeigt
ein bisher unveröffentlichter Bericht des Bundes zur psychischen Gesundheit:
4,4 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden an einer depressiven Störung.
Andreas Diethelm (52)
arbeitet in Zürich als Burnout-Coach. Auch seine Patienten werden immer jünger.
«Die Gesellschaft hat an kleine Kinder eine grosse Erwartungshaltung», sagt
Diethelm. Sie lernten sehr früh, sich auf ihre Zukunft zu fokussieren – und
setzen sich selber unter Druck. «Deshalb fördern die Eltern sie in Fächern, die
sie in der Schule noch gar nicht haben.»
Übereifrige Eltern,
überforderte Kinder: Lehrer stehen vor immer grösseren Herausforderungen. Jürg
Brühlmann, der im Lehrerverband LCH die Pädagogische Arbeitsstelle leitet:
«Private Nachhilfe und der Druck auf Lehrpersonen wegen Schulnoten hat deutlich
zugenommen.» Brühlmann rät Lehrern, Auffälligkeiten früh mit den Eltern zu
besprechen. «Zu viel Leistungsdruck kann sich auch in Unruhe oder
Unaufmerksamkeit äussern.»
Nico ist heute in
Behandlung bei einem Psychologen. Der hilft ihm und der Familie, nach den
Ursachen für seine Erschöpfungsdepression zu suchen – und einen Gang
herunterzuschalten. «Mittlerweile ist es für uns auch in Ordnung, wenn er die
Sek A besucht», sagt die Mutter. Die Französisch-Nachhilfe ist gestrichen,
ebenso der Tennisunterricht. Nico soll nur tun, was ihm wirklich Spass macht.
Dazu der Burnout-Coach
Andreas Diethelm: «Qualität statt Quantität – das gilt auch bei Hobbys.»
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