16. Februar 2015

Heuchelei in der Sprachenpolitik

Die Begeisterung des Journalisten und der Bildungsdirektorin ist riesig: "Immersion", "eine sehr anspruchsvolle Versuchsanordnung", "immenses Interesse", "wir wurden regelrecht überrumpelt". Und auch der Seitenhieb gegen die verhasste SVP darf nicht fehlen - da sind sich der Journalist und die SP-Regierungsrätin einig. Beim Lesen wird nun deutlich, dass die Immersion (französisch/deutsch) gar nicht flächendeckend ist. Pro Schulkreis erhält nur eine Schule Immersionsunterricht. Damit entpuppt sich das Zaubermittel Immersion nicht zum wunderschönen Schmetterling sondern zum hässlichen Nachtfalter. Denn längst nicht alle Kinder können von diesem Angebot profitieren. Wie bei ähnlichen Versuchen in Biel und Chur sind es vor allem Mittelstandseltern, die auf diesem Weg ihren Kindern einen Weg aus den von ausländischen Kindern in stark Anspruch genommenen Schulen ermöglichen wollen. Immersion entlarvt sich in unseren Landen somit nicht als sprachliche Methode, sondern in erster Linie als Flucht und Entsolidarisierung. Während die ursprünglichen Schulen darben, werden Evaluatoren bald das Loblied auf die Immersion anstimmen, die - welch Wunder - sehr gute Resultate vorzeigen wird. Dass diese groteske Chancenungleichheit besonders von Sozialdemokraten bejubelt und tatkräftig gefördert wird, ist nur eine der vielen Nuancen der Heuchelei, die in unserer Sprachenpolitik mitschwingt. (uk)
"Das Interesse der Eltern an unserem Immersionsunterricht ist immens", NZZ, 16.2. Interniew von Christophe Büchi mit der Neuenburger Erziehungsdirektorin Monika Maire-Hefti


Der Kanton Neuenburg bietet seinen Primarschülern einen Unterricht teils auf Französisch, teils auf Deutsch an. Worin besteht genau das Angebot?
Das Projekt, das noch von meinem Vorgänge Philippe Gnaegi initiiert wurde, läuft seit dem Schuljahr 2011/2012. Die Primarschüler werden ab der ersten Klasse gemäss Harmos, also ab 4 Jahren, jeweils von zwei Lehrpersonen unterrichtet, von denen eine auf Französisch und die andere auf Deutsch Schule gibt und zu Beginn je die Hälfte des Unterrichts bestreitet. Der Unterricht ist spielerisch und soll in erster Linie Freude vermitteln, aber auch Vorurteile abbauen. Auf den höheren Stufen geht der Anteil des auf Deutsch unterrichteten Pensums dann auf ein Drittel zurück, weil der Schulstoff zunimmt.

Dies ist eine sehr anspruchsvolle Versuchsanordnung: Wahrscheinlich hat nicht jede Neuenburger Primarlehrerin - es handelt sich ja meistens um Frauen - die nötige Sprachkompetenzen und die Bereitschaft, auf Deutsch zu unterrichten.
Das stimmt. Dies können in der Regel nur Lehrer deutscher Muttersprache, oder Lehrerinnen, die perfekt zweisprachig sind. Das ist auch unser Hauptproblem, nämlich genügend geeignete Lehrpersonen zu finden. Aber ich hoffe, dass wir dank unserer Zusammenarbeit mit den Deutschschweizer Kantonen Solothurn und Schaffhausen mehr Lehrkräfte anziehen können.

Und wie ist das Angebot bisher angekommen?
Die Nachfrage ist immens. Wir wurden vom Enthusiasmus der Eltern regelrecht überrumpelt. Wir müssen viele Eltern, die ihre Kinder für den Unterricht anmelden wollen, enttäuschen.

Wird dieser Unterricht also nicht flächendeckend angeboten?
Nein, so weit sind wir noch nicht. Wir haben entschieden, dass im Prinzip jeder Schulkreis eine Schule mit Immersionsunterricht haben soll, haben dies aber noch nicht erreicht. Zurzeit haben wir 28 Klassen mit insgesamt 540 Schülern, vor allem in La Chaux-de-Fonds und auf dem Littoral (Neuenburg und Seeufer).

Es gibt sogar eine Gemeinde, Cornaux, deren politische Behörden beschlossen haben, dass alle Kinder in den Immersionsunterricht gehen.
Ja, dies ist eine sehr bemerkenswerte Initiative, die von der ganzen Gemeinde mitgetragen wird.

Können Sie schon eine erste Bilanz ziehen? Können die Kinder, die Immersionsunterricht haben, tatsächlich auch besser Deutsch?
Für eine solche Evaluation ist es noch zu früh. Uns geht es ja in erster Linie darum, die Sympathie für die Sprache zu wecken. Und das wird sicher erreicht.

Interessieren sich die Erziehungsbehörden der anderen welschen Kantone für Ihr Experiment?
Wir sprechen natürlich in der Westschweizer und Tessiner Erziehungsdirektorenkonferenz CIIP miteinander. Aber es ist natürlich schon so, dass alle ein bisschen in ihren eigenen Mauern bleiben und ihre eigenen Sorgen haben.

Die welschen Kantone haben aber gemeinsam und blitzschnell die Vorverlegung des Deutschunterrichts auf die dritte Schulklasse (5. Klasse gemäss Harmos) durchgezogen. Hat dies zu politischen Verwerfungen geführt, wie es in Deutschschweizer Kantonen mit der Vorverlegung des Französischunterrichts der Fall ist?
Nein, dies ging in der welschen Schweiz völlig reibungslos über die Bühne.

Haben Sie keine SVP, die dagegen aufmuckt?
Wir haben schon eine SVP, aber diese legt sich in dieser Frage nicht quer.

Was sagen Sie jenen Kantonen, die wie der Thurgau den Französischunterricht entgegen dem 2004 verabschiedeten EDK-Kompromiss wieder aus der Primarschule verbannen wollen?
Ich kann wirklich nicht verstehen, dass ausgerechnet eine Partei wie die SVP, die sich immer als so heimatverbunden gibt, gegen die Landessprachen mobil macht. Das muss man mir erklären!

Sie sind auch in der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz EDK, die sich in der Sprachenfrage um eine einvernehmliche Lösung bemüht. Glauben Sie noch an einen Kompromiss?
Wir müssen miteinander reden und einen Kompromiss finden. Ich bin fest überzeugt, dass wir die Mehrsprachigkeit pflegen müssen.

Notfalls, wenn die Kantone vom EDK-Kompromiss abweichen, werde der Bund einschreiten, kündet SP-Bundesrat Alain Berset an. Sie sind SP-Politikerin. Was sagen Sie hierzu?
Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn der Bund intervenieren würde. Die Kantone müssen sich zu einer Einigung durchringen.

Der Kanton Neuenburg leistet in Bezug auf Immersion Pionierarbeit. Weitere Kantone versuchen den Deutschunterricht mit anderen Mitteln zu verbessern, Genf beispielsweise mit einer Schweizerdeutsch-Sensibilisierung im Orientierungs-Zyklus. Was halten Sie davon?
Ich bin nicht überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Aber für die Romands liegt hier natürlich schon ein Problem. Hochdeutsch und Schweizerdeutsch sind eben schon zwei ganz verschiedene Sprachen.

Das wohl doch nicht!

Doch, ich glaube schon. Meine Kinder sind zweisprachig aufgewachsen. Ich erinnere mich aber sehr gut, dass sie sich mit dem Dialektproblem schwertaten.

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