16. Februar 2015

Bildungsraum Nordwestschweiz existiert nur noch auf Papier

Nach der Wahl von Monica Gschwind (FDP) zur Baselbieter Bildungsdirektorin dürften die Spannungen innerhalb des Bildungsraums Nordwestschweiz (BS, BL, AG, SO) eher zu als abnehmen. Während Gschwind bei den Reformen auf die Bremse treten will, zieht ihr Basler Kollege Christoph Eymann die Reformprojekte unvermindert weiter. Offen bleibt, ob es Gschwind gelingt, die Bürokratie abzubauen und das Geld vermehrt zugunsten der Schülerinnen und Schüler zu verwenden.  

Gschwind: "Das Baselbiet muss bei der Umsetzung des Lehrplans 21 nicht schneller als andere Kantone sein", Bild: Monica Gschwind

Bildungsraum Nordwestschweiz ist gespalten, Basler Zeitung, 16.2. von Franziska Laur


Die kleine Sophie bringt einen Zettel nach Hause mit Anordnungen zur Wahl des Znünis. Elmar muss von den Eltern unterschreiben lassen, dass er eine Strafaufgabe wegen Zuspätkommens erhalten hat, und Lias Eltern werden bestellt, um den Lernbericht mit der Lehrerin durchzugehen. Wer mehrere Kinder hat, kann ein Lied davon singen, welche Papierflut täglich ins Haus schwappt: Beurteilungen, Sanktionen, Dispensationen, Hausaufgaben. Doch auch die Lehrer ächzen unter der Papierflut und vor allem unter den vielen Reformen.
Die designierte Baselbieter Bildungsdirektorin Monica Gschwind hat daher schon jede Menge Anliegen von Lehrpersonen auf dem Tisch liegen, die sie als Rettungsanker sehen. Denn die FDP-Frau und Mutter von zwei Töchtern in Ausbildung hat angekündigt, dass sie die Bürokratie bekämpfen und die Reformen stoppen und überprüfen will. Dazu steht sie auch heute und daher will sie sich noch vor ihrem Amtsantritt von Urs Wüthrich einarbeiten lassen. Natürlich habe der Kanton gewisse Aufträge, sinniert sie auf die Frage, wo man konkret mit der Bürokratie zurückfahren könnte: «Doch gewisse Bedürfnisse werden auch geschaffen.» Und bezüglich Harmos und Lehrplan 21 sagt sie: «Wir brauchen einen Marschhalt und eine Auslegeordnung.»
Für Eymann schwierige Situation
Daran dürfte der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann keine Freude haben. Eine Stellungnahme zur Wahl von Monica Gschwind und die Auswirkungen auf den Bildungsraum Nordwestschweiz will er allerdings erst geben, wenn er mit der designierten Bildungsdirektorin zusammengeses­sen ist. Doch ihm dürfte der angestrebte Kurswechsel unangenehm sein. Schliesslich ist er nicht nur als Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), sondern auch als vorpreschender Basler Erziehungsdirektor an Einigkeit interessiert. Basel will den neuen Lehrplan 21 schon in diesem August einführen. «In der Umsetzung von Reformschritten braucht es meiner Meinung nach Entschlossenheit und Klarheit in der Zielsetzung und Verlässlichkeit in der Umsetzung», sagt er. Dies habe man sich in Basel-Stadt von Beginn weg vorgenommen.
Dabei bewährt sich übermässige Eile in der Bildungslandschaft keineswegs. Blenden wir etwas über sechs Jahre zurück. Im Winter 2008 und Frühling 2009 stand der umtriebige aargauische Bildungsdirektor Rainer Huber (CVP) vor einem Scherbenhaufen. Jahrelang hatte er für sein Bildungskleeblatt gekämpft. Schliesslich wurde er abgewählt und seine Reformvorschläge an der Urne abgelehnt. Die vier Blätter des Klees: Eingangsstufe anstatt Kindergarten, durchlässige Sekundarstufen anstatt Bezirksschule, Tagesstrukturen und mehr Lektionen für mit schwierigen Schülern belastete Schulklassen. Alles Dinge, die der Aargau jetzt gemächlich und unter anderem Namen einführt – abgesehen von der Abschaffung der Bezirksschule, also des Vorgymnasiums.
Schulreformen schwächen den Lehrkörper und lenken vom Kerngeschäft, dem Unterrichten, ab. Das weiss auch Monica Gschwind, und deshalb hat sie schon während ihres Wahlkampfs für Ruhe plädiert. «Das Baselbiet muss beim Einführen des Lehrplans 21 keine Musterschülerin und zeitlich schneller sein als andere Kantone», sagte sie. Und sie sprach auch die Kosten an – ein Tabu bei der Bildungslobby. Seit dem Jahr 2000 seien die Kosten um 40 Prozent gestiegen. Und Harmos fördere nur das heillose Durcheinander statt Harmonisierung. Sie sagte auch klipp und klar, dass jeder Bildungsfranken direkt in die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler investiert werden solle und nicht in der Bildungsverwaltung versickern dürfe.
Sparpotenzial ist vorhanden
Das sind hehre Ziele. Ob Monica Gschwind sie erreichen wird, steht indes noch in den Sternen. Sicher ist, dass sie mit solchen Aussagen den Nerv einer reformmüden Lehrerschaft trifft. «In Sachen Harmos gibt es überall eine riesige Verunsicherung und es ist ein grosses juristisches Wirrwarr», sagt Urs Kalberer, Bildungsbeobachter und Bildungsblog-Betreiber aus Malans und Sekundarlehrer in Landquart. Er beobachte die Bildungslandschaft in der Schweiz aufmerksam, in der Region Nordwestschweiz laufe jedoch am meisten – einerseits wegen der Umstellung auf 6/3 und weil hier die Unzufriedenheit über die verschiedenen Reformen besonders gross sei.
Einig geht Kalberer mit Gschwind, dass eine gute Schule nicht einfach mit Geld besser werden kann. Doch für ihn ist es fraglich, ob sie die Aufblähung der Verwaltung stoppen und Stellen in der Bildungsverwaltung abbauen kann. Gschwind müsste dies jedoch tun, wenn sie, wie versprochen, Gelder von der Verwaltung in die Klassenzimmer umverteilen will. Einen möglichen umsetzbaren Ansatzpunkt sieht Kalberer in der Streichung von Schulevaluationen. Ein solcher Schritt werde auch in anderen Kantonen ins Auge gefasst. Dies spare Kosten ohne Qualitätseinbusse und entlaste die Lehrer. Spar­potenzial sieht er auch bei der Beurteilung der Schüler. Hier könne man vieles vereinfachen. «Dies entlastet die Lehrer spürbar und kostet nichts.» Heute werden aufwendige Lernberichte erstellt, die viel Zeit, Nerven und Geld kosten.
Während in den Nordwestschweizer Landkantonen die Lehrpersonen unter den Reformen ächzen und sich dagegen auflehnen, zieht sie der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann entschlossen durch. Ihm kommt entgegen, dass die Lehrerschaft froh ist, sich vom alten, schlechten Schulsystem lösen zu können. Er selbst sagt dazu: «Das Tempo war letztlich bei uns ganz einfach am höchsten, weil wir mit Abstand die grössten und meisten Veränderungen umsetzen müssen. So fällt zum Beispiel mit der Orientierungsschule eine ganze Schulstufe weg.»
Der mangelnde Widerstand gegen das angeschlagene Tempo vonseiten der Lehrerschaft könnte jedoch zumindest teilweise auch daran liegen, dass dem Tiger die Zähne gezogen sind. Die Pädagogen werden von keinem wirklich unabhängigen Verband gestützt. Die Geschäftsleitung der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt ist im vollen Umfang auch in der Kantonalen Schulkonferenz vertreten.
Fünf Burnouts im Schulhaus
Doch hinter den Kulissen rumort es dennoch. Das bürokratische Denken und die Reformwut seien in Basel-Stadt überbordend, schreibt eine Lehrerin der BaZ. So habe Basel-Stadt die Integration praktisch aller Kinder durchgesetzt und Klein-, Einführungs- und Fremdsprachenklassen aufgelöst. Ausserdem stelle man auf sechs Jahre Primar- und eine neue Sekundarstufe um, ausserdem müsse man neu Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten schriftlich ab Kindergarten erfassen. Und last but not least habe Basel-Stadt die komplizierteste Notenschnittberechnung der Schweiz für den Übertritt an die Sekundarstufe. Nun wolle man diesen Sommer noch den Lehrplan 21 einführen. In Basel-Stadt rede man zwar nicht über die Probleme, allein in ihrem Schulhaus hätten jedoch fünf Lehrpersonen ein Burnout.
Mit Biss und Beharrlichkeit kämpfen jedoch in den anderen Nordwestschweizer Kantonen Lehrpersonen und immer mehr Eltern darum, dass die Reformen verlangsamt und an die Bedürfnisse von Schülern und Lehrpersonen angepasst werden. Die Baselbieter dürften in dieser Hinsicht nun mit Monica Gchwind eine vielversprechende Mitkämpferin haben. So sieht es ganz danach aus, wie wenn Eymann immer mehr im Abseits steht. Er selbst sorgt sich jedoch nicht um die Einigkeit im Bildungsraum Nordwestschweiz und sagt: «Die Bevölkerung der Region will gleiche oder ähnliche Schulsysteme in unseren Kantonen.»
Der oberste Lehrervertreter Beat W. Zemp jedoch sagt: «Der Bildungsraum Nordwestschweiz existiert nur noch auf dem Papier.» Dies sehe man insbesondere bei der Einführung der Fremdsprachen, und daran, dass die Einführung des Lehrplans nicht koordiniert sei. Umso mehr begrüsst er, dass die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) im Sommer Bilanz ziehen will, wo die Kantone bezüglich gemeinsamer Lernziele und Strukturen stehen.


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