Gschwind: "Das Baselbiet muss bei der Umsetzung des Lehrplans 21 nicht schneller als andere Kantone sein", Bild: Monica Gschwind
Bildungsraum Nordwestschweiz ist gespalten, Basler Zeitung, 16.2. von Franziska Laur
Die kleine
Sophie bringt einen Zettel nach Hause mit Anordnungen zur Wahl des Znünis.
Elmar muss von den Eltern unterschreiben lassen, dass er eine Strafaufgabe
wegen Zuspätkommens erhalten hat, und Lias Eltern werden bestellt, um den
Lernbericht mit der Lehrerin durchzugehen. Wer mehrere Kinder hat, kann ein
Lied davon singen, welche Papierflut täglich ins Haus schwappt: Beurteilungen,
Sanktionen, Dispensationen, Hausaufgaben. Doch auch die Lehrer ächzen unter der
Papierflut und vor allem unter den vielen Reformen.
Die
designierte Baselbieter Bildungsdirektorin Monica Gschwind hat daher schon jede
Menge Anliegen von Lehrpersonen auf dem Tisch liegen, die sie als Rettungsanker
sehen. Denn die FDP-Frau und Mutter von zwei Töchtern in Ausbildung hat
angekündigt, dass sie die Bürokratie bekämpfen und die Reformen stoppen und
überprüfen will. Dazu steht sie auch heute und daher will sie sich noch vor
ihrem Amtsantritt von Urs Wüthrich einarbeiten lassen. Natürlich habe der
Kanton gewisse Aufträge, sinniert sie auf die Frage, wo man konkret mit der
Bürokratie zurückfahren könnte: «Doch gewisse Bedürfnisse werden auch
geschaffen.» Und bezüglich Harmos und Lehrplan 21 sagt sie: «Wir brauchen einen
Marschhalt und eine Auslegeordnung.»
Für Eymann schwierige Situation
Daran dürfte
der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann keine Freude haben. Eine
Stellungnahme zur Wahl von Monica Gschwind und die Auswirkungen auf den
Bildungsraum Nordwestschweiz will er allerdings erst geben, wenn er mit der
designierten Bildungsdirektorin zusammengesessen ist. Doch ihm dürfte der
angestrebte Kurswechsel unangenehm sein. Schliesslich ist er nicht nur als
Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), sondern auch als
vorpreschender Basler Erziehungsdirektor an Einigkeit interessiert. Basel will
den neuen Lehrplan 21 schon in diesem August einführen. «In der Umsetzung von
Reformschritten braucht es meiner Meinung nach Entschlossenheit und Klarheit in
der Zielsetzung und Verlässlichkeit in der Umsetzung», sagt er. Dies habe man sich
in Basel-Stadt von Beginn weg vorgenommen.
Dabei bewährt
sich übermässige Eile in der Bildungslandschaft keineswegs. Blenden wir etwas
über sechs Jahre zurück. Im Winter 2008 und Frühling 2009 stand der umtriebige
aargauische Bildungsdirektor Rainer Huber (CVP) vor einem Scherbenhaufen.
Jahrelang hatte er für sein Bildungskleeblatt gekämpft. Schliesslich wurde er
abgewählt und seine Reformvorschläge an der Urne abgelehnt. Die vier Blätter
des Klees: Eingangsstufe anstatt Kindergarten, durchlässige Sekundarstufen
anstatt Bezirksschule, Tagesstrukturen und mehr Lektionen für mit schwierigen
Schülern belastete Schulklassen. Alles Dinge, die der Aargau jetzt gemächlich
und unter anderem Namen einführt – abgesehen von der Abschaffung der
Bezirksschule, also des Vorgymnasiums.
Schulreformen
schwächen den Lehrkörper und lenken vom Kerngeschäft, dem Unterrichten, ab. Das
weiss auch Monica Gschwind, und deshalb hat sie schon während ihres Wahlkampfs
für Ruhe plädiert. «Das Baselbiet muss beim Einführen des Lehrplans 21 keine
Musterschülerin und zeitlich schneller sein als andere Kantone», sagte sie. Und
sie sprach auch die Kosten an – ein Tabu bei der Bildungslobby. Seit dem Jahr
2000 seien die Kosten um 40 Prozent gestiegen. Und Harmos fördere nur das
heillose Durcheinander statt Harmonisierung. Sie sagte auch klipp und klar,
dass jeder Bildungsfranken direkt in die Ausbildung der Schülerinnen und
Schüler investiert werden solle und nicht in der Bildungsverwaltung versickern
dürfe.
Sparpotenzial ist vorhanden
Das sind
hehre Ziele. Ob Monica Gschwind sie erreichen wird, steht indes noch in den
Sternen. Sicher ist, dass sie mit solchen Aussagen den Nerv einer reformmüden
Lehrerschaft trifft. «In Sachen Harmos gibt es überall eine riesige
Verunsicherung und es ist ein grosses juristisches Wirrwarr», sagt Urs
Kalberer, Bildungsbeobachter und Bildungsblog-Betreiber aus Malans und
Sekundarlehrer in Landquart. Er beobachte die Bildungslandschaft in der Schweiz
aufmerksam, in der Region Nordwestschweiz laufe jedoch am meisten – einerseits
wegen der Umstellung auf 6/3 und weil hier die Unzufriedenheit über die
verschiedenen Reformen besonders gross sei.
Einig geht
Kalberer mit Gschwind, dass eine gute Schule nicht einfach mit Geld besser
werden kann. Doch für ihn ist es fraglich, ob sie die Aufblähung der Verwaltung
stoppen und Stellen in der Bildungsverwaltung abbauen kann. Gschwind müsste
dies jedoch tun, wenn sie, wie versprochen, Gelder von der Verwaltung in die
Klassenzimmer umverteilen will. Einen möglichen umsetzbaren Ansatzpunkt sieht
Kalberer in der Streichung von Schulevaluationen. Ein solcher Schritt werde
auch in anderen Kantonen ins Auge gefasst. Dies spare Kosten ohne
Qualitätseinbusse und entlaste die Lehrer. Sparpotenzial sieht er auch bei der
Beurteilung der Schüler. Hier könne man vieles vereinfachen. «Dies entlastet
die Lehrer spürbar und kostet nichts.» Heute werden aufwendige Lernberichte
erstellt, die viel Zeit, Nerven und Geld kosten.
Während in
den Nordwestschweizer Landkantonen die Lehrpersonen unter den Reformen ächzen
und sich dagegen auflehnen, zieht sie der Basler Erziehungsdirektor Christoph
Eymann entschlossen durch. Ihm kommt entgegen, dass die Lehrerschaft froh ist,
sich vom alten, schlechten Schulsystem lösen zu können. Er selbst sagt dazu:
«Das Tempo war letztlich bei uns ganz einfach am höchsten, weil wir mit Abstand
die grössten und meisten Veränderungen umsetzen müssen. So fällt zum Beispiel
mit der Orientierungsschule eine ganze Schulstufe weg.»
Der mangelnde
Widerstand gegen das angeschlagene Tempo vonseiten der Lehrerschaft könnte
jedoch zumindest teilweise auch daran liegen, dass dem Tiger die Zähne gezogen
sind. Die Pädagogen werden von keinem wirklich unabhängigen Verband gestützt.
Die Geschäftsleitung der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt ist im vollen
Umfang auch in der Kantonalen Schulkonferenz vertreten.
Fünf Burnouts im Schulhaus
Doch hinter
den Kulissen rumort es dennoch. Das bürokratische Denken und die Reformwut
seien in Basel-Stadt überbordend, schreibt eine Lehrerin der BaZ. So habe
Basel-Stadt die Integration praktisch aller Kinder durchgesetzt und Klein-,
Einführungs- und Fremdsprachenklassen aufgelöst. Ausserdem stelle man auf sechs
Jahre Primar- und eine neue Sekundarstufe um, ausserdem müsse man neu Lern-,
Arbeits- und Sozialverhalten schriftlich ab Kindergarten erfassen. Und last but
not least habe Basel-Stadt die komplizierteste Notenschnittberechnung der
Schweiz für den Übertritt an die Sekundarstufe. Nun wolle man diesen Sommer
noch den Lehrplan 21 einführen. In Basel-Stadt rede man zwar nicht über die
Probleme, allein in ihrem Schulhaus hätten jedoch fünf Lehrpersonen ein
Burnout.
Mit Biss und
Beharrlichkeit kämpfen jedoch in den anderen Nordwestschweizer Kantonen
Lehrpersonen und immer mehr Eltern darum, dass die Reformen verlangsamt und an
die Bedürfnisse von Schülern und Lehrpersonen angepasst werden. Die Baselbieter
dürften in dieser Hinsicht nun mit Monica Gchwind eine vielversprechende
Mitkämpferin haben. So sieht es ganz danach aus, wie wenn Eymann immer mehr im Abseits
steht. Er selbst sorgt sich jedoch nicht um die Einigkeit im Bildungsraum
Nordwestschweiz und sagt: «Die Bevölkerung der Region will gleiche oder
ähnliche Schulsysteme in unseren Kantonen.»
Der oberste
Lehrervertreter Beat W. Zemp jedoch sagt: «Der Bildungsraum Nordwestschweiz
existiert nur noch auf dem Papier.» Dies sehe man insbesondere bei der
Einführung der Fremdsprachen, und daran, dass die Einführung des Lehrplans
nicht koordiniert sei. Umso mehr begrüsst er, dass die
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) im Sommer Bilanz ziehen will, wo die
Kantone bezüglich gemeinsamer Lernziele und Strukturen stehen.
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