Die Qualität des Bildungswesens ist sowohl für die Entwicklung der
jungen Menschen wie auch für die Gesellschaft und die Volkswirtschaft von
zentraler Bedeutung. Es ist daher notwendig, die Eckwerte unseres
Bildungswesens intensiv und öffentlich zu diskutieren.
Leider blieb die öffentliche Debatte um den neuen Lehrplan 21 (LP21)
weit unter den Erwartungen. Die Deutungshoheit hatten die Experten. Besonders
nachdenklich stimmt die Feststellung, dass gründliche, lebendige und engagierte
Fachdiskurse bei den Hauptadressaten, den Lehrerinnen und Lehrern, eher die
Ausnahme als die Regel war. Die ganze Thematik wurde faktisch dem Belieben der
kantonalen Lehrerverbände unter der Ägide der Pädagogischen Hochschulen
überlassen. «Unsere Mitglieder wünschen grundsätzlich den neuen Lehrplan 21»,
lautete die Standardbotschaft, häufig unter vernehmlichem Aufatmen der
Geschäftsleitungen.
Sind Lehrer Randfiguren in Reformdebatten? Fritz Tschudi im Bildungsblog der Südostschweiz, 7.1.
Von ein paar löblichen Ausnahmen abgesehen, beherrschten die
Propagandisten die Szene, während fundamentale Fragen und Einwände wie lästige
Fliegen vom Tisch gewischt wurden. Der unerlässliche Diskurs um die Eckpfeiler
des LP21, die Kompetenzorientierung, die Vermessungsdoktrin und die
Systemsteuerung, hat in der Lehrerschaft vermutlich nicht oder höchstens
oberflächlich stattgefunden. Manche Verbandsverantwortlichen mochten sich wohl
nicht exponieren, waren unsicher und somit froh, sich ausschliesslich auf unverdächtige
offizielle Verlautbarungen stützen zu können.
Das vor Kurzem von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) abgesegnete
monströse Lehrplankonstrukt hat jenseits der direkt involvierten
professionellen Befürworter («Reformschaffende», Bildungsadministration,
Lehrmittelverlage und weiterer Profiteure) wohl nur wenige überzeugte Fans.
Folglich steht zu befürchten, dass auch die künftige Umsetzung weite Teile der
Lehrerschaft nicht zu beflügeln vermag. Der während Jahren in manchen Verbänden
sträflich vernachlässigte Fachdiskurs hinterlässt ein hausgemachtes
Überzeugungsvakuum. Das ist unprofessionell!
Der Lehrplan 21 ist politisch, nicht pädagogisch motiviert
Die erfolgreiche Umsetzung kompetenzorientierter Lehrpläne sucht man
weltweit vergeblich. Kein Wunder, angesichts des Fehlens der pädagogischen
Motivation. Kompetenzorientierung ist letztlich eine Frage der persönlichen
Einschätzung und des politischen Willens, sich dem «Diktat» der OECD zu fügen.
Die Theorie ist dünn und hat mit Wissenschaftlichkeit wenig zu tun.
Eigentlich hatten es die Promotoren des neuen Lehrplans, die EDK, die
Pädagogischen Hochschulen und die Lehrerverbände mit der Abgeltung einer
demokratisch begründeten Bringschuld zu tun. Die genannten Institutionen stehen
in der Pflicht, für eine ausgewogene Kommunikation zu sorgen. Das bedeutet vor
allem für die Hochschulen und die Verbände die aktive Förderung von Fachdiskursen,
welchen schon aus Gründen der Professionalität höchste Priorität zukommen
sollte.
Der LP21 krempelt die bisherige Bildungskultur um. Eigene Traditionen
und die lokale Verwurzelung der Heranwachsenden werden ganz im Sinne der OECD
für wenig bedeutsam gehalten. Die Lehrplandoktrin ist der Verwertbarkeit des
Humankapitals und nicht der Bildung verpflichtet. Die Entsorgung tragender
Elemente schweizerischer Bildungstradition ist ein ernster Schritt, der nicht
per Lehrplan, en passant, umgesetzt werden darf.
Debatten werden naturgemäss kontrovers geführt
Diese Aussage scheint Ängste auszulösen. Darum sei es gesagt:
Meinungsvielfalt ist ein grundlegendes demokratisches Prinzip, welches zur
Klärung des eigenen Standpunktes beiträgt. Kontroversität hat nichts, aber auch
gar nichts mit Unbotmässigkeit oder gar Feindseligkeit, auch nicht mit
Ungehorsam oder Respektlosigkeit zu tun. Ein Abo auf Friede, Freude, Eierkuchen
ist keine Alternative, wenn die Verbandspolitik von professionell agierenden
Adressaten ernst genommen werden soll.
Folgende Umstände haben die LP21 Debatte massiv behindert:
·
Kritische Befunde namhafter Wissenschaftler wurden
kaum zur Kenntnis genommen, weil die Promotoren des LP21 rasch den Mainstream
installierten und so die mediale Plattform besetzten.
·
Der Lehrplan 21 wurde unter Ausschluss der
Öffentlichkeit ausgearbeitet.
·
Für die Konsultationen (Beurteilung durch
interessierte Gruppen) stand wenig Zeit zur Verfügung. Fundamentale Debatten
fanden nicht statt. Die Kompetenzorientierung und das OECD-Konzept mit dem Ziel
der Vermessbarkeit der Schülerinnen und Schüler sowie die Sicherstellung der
zentralen Steuerung durch Beamte blieben unbehelligt. Damit hatten die
Promotoren uneingeschränkt erreicht, was sie wollten.
·
Die Geschäftsleitungen einiger Lehrerverbände sahen
ihre Aufgabe in der expliziten Werbung für die Akzeptanz des LP21. Das ist ihr
gutes Recht. Fungieren die Verbandsoberen in Reformfragen aber überwiegend als
verlängerter Arm des Bildungsdepartements und der Pädagogischen Hochschulen, so
kann die Initiierung von Diskursen zur freien Meinungsbildung von ihnen kaum
erwartet werden.
·
Lehrerverbände kommen den professionellen
Erwartungen und Ansprüchen ihrer Mitglieder nach, wenn sie kontroverse
Standpunkte (als Fachbeiträge und Kommentare) in ihren Vereinspublikationen
aktiv fördern. Verweigert sich die Vereinsführung dieser Selbstverständlichkeit
oder handelt die Redaktion parteiisch, beispielsweise durch Ausschluss
kritischer Texte, so müssten die Alarmglocken läuten. Jedenfalls darf es
niemals Sache eines Lehrerverbandes sein, Meinungsmache (Indoktrination) zu
betreiben.
·
Pädagogische Hochschulen (PH) sehen sich als
neutrale wissenschaftliche Beglaubigungsinstanz für die Absichten der
Bildungspolitik. Warum aber werden den vielen kritischen Dozenten Maulkörbe verpasst?
Fazit: Fundierte Debatten zur Meinungsbildung über den
Lehrplan 21 werden in Lehrerkreisen massiv behindert. Hauptverantwortlich für
diesen Missstand sind ausgerechnet Leute, die statutarisch oder
wissenschaftlich in der Pflicht stehen, pädagogische Interessen von Schule und
Lehrerschaft zu wahren.
Zu dieser Spezies der Seifenbahnbauer gehören kantonale
Lehrervertretungen und querbeet die Pädagogischen Hochschulen. Bei ersteren ist
es die eigenmächtige Marginalisierung berechtigter Ansprüche wie jene auf
vielfältige und ausgewogene Information (anstelle
propagandistisch-indoktrinärer Belehrungen), bei letzteren die Krux mit
Eigenständigkeit.
Statt sich mit Ergebnissen
von Meinungsumfragen formal zu rechtfertigen, wäre es wesentlich
aufschlussreicher zu erfahren, ob und in welcher Weise der Verband zur freien
Meinungsbildung seiner Mitglieder aktiv beigetragen hat.
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