47 Prozent der Geprüften schaffen den Übertritt ins Kurzgymnasium, Bild: livenet.de
Ohne Hilfe ins Gymi zu kommen wird schwieriger, NZZ, 3.1. von Natalie Avanzino
Christian Berger bezeichnet seinen zehnjährigen Sohn Noah als guten
Schüler. «Allerdings nicht konstant», fügt der selbständige Architekt an.
Einmal kriegt der Viertklässler für seine Englischprüfung eine Sechs, das
nächste Mal eine Vier. «Obwohl ich täglich mit ihm die Hausaufgaben anschaue»,
sagt der 44-jährige Vater, der mit seiner Familie im Zürcher Kreis 7 wohnt.
Dass sein Sohn ins Gymnasium soll, steht ausser Frage. Er selbst
besuchte die Zürcher Privatschule Dr. Buchmann und wechselte später in ein
privates Internat im Kanton Zug. Von anderen Eltern aus dem Quartier hat er
bereits einige Geschichten bezüglich der aufreibenden Vorbereitungen für die
Aufnahmeprüfung ans Gymnasium gehört und äussert sich besorgt: «Zusatzkurse und
Extra-Coaching werden den jetzt schon intensiven Schulalltag meines Sohnes noch
mehr befrachten.»
Langgymnasium beliebt
Im Dezember hat Berger deshalb den Informationsabend am Freien Gymnasium
im Zürcher Seefeld besucht. Die Privatschule bietet neu ab kommendem Sommer
eine Vorbereitungsklasse ab der 5. Primarstufe an. Berger überlegt sich nun, ob
dies etwas für Noah wäre.
Schulrektor Thomas Bernet betont, dass das Angebot genau beim
vollgepackten Schulprogramm ansetzen will: «Kurse können zwar Prüfungswissen
vermitteln. Die 5. und 6. Klasse des Freien Gymnasiums bietet aber eine
nachhaltige und stressfreie Vorbereitung auf das Gymnasium, die das ganze
Fächerspektrum abdeckt, nicht nur die Prüfungsfächer.» Dieses Paket des 1888
gegründeten Gymnasiums überzeugt Berger, auch wenn sich die Kosten für das
Vorbereitungsjahr auf gut 22 500 Franken belaufen. Nach der 5. folgt zum
ähnlichen Tarif die Vorbereitungsklasse der 6. Primarstufe; die beiden
Schuljahre bildeten zusammen eine Einheit, die das Fundament für den Übertritt
in die Gymi-Stufe legen solle, so Bernet.
«Natürlich sind dies happige Beträge», resümiert Berger. «Aber bei einem
privaten Kursanbieter mit ein paar Lektionen wöchentlich kostet die reine
Prüfungsvorbereitung mehrere tausend Franken.» Während Noah erst in zwei Jahren
ins Gymnasium übertreten will, gilt es für viele Schüler und Schülerinnen in
ein paar Wochen ernst. Am 9. März starten im Kanton Zürich die
Aufnahmeprüfungen für die öffentlichen Gymnasien, sie werden an allen Schulen
identisch sein. Die Sechstklässler werden in Deutsch und Mathematik geprüft,
die Sekundarschüler, die ins Kurzgymnasium möchten, müssen zusätzlich eine
Französischprüfung ablegen. Die Zahlen für die Anmeldung zur Gymi-Prüfung sind
in den letzten Jahren relativ stabil. Im vergangenen Frühjahr traten im ganzen
Kanton 3634 Sechstklässler zur Zentralen Aufnahmeprüfung für das immer
beliebter werdende Langgymnasium an, davon bestanden 1972 Schüler die Prüfung.
Dies entspricht - ähnlich wie in den Jahren davor - einer Erfolgsquote von 54
Prozent. Beim Langgymnasium braucht es zusammen mit den Vornoten aus der
Primarschule einen Durchschnitt von 4,5, die mündliche Prüfung für Grenzfälle
gibt es seit 2012 nicht mehr. Die Prüfung für das Kurzgymnasium absolvierten im
letzten Jahr 2786 Sekundarschüler. Den Übertritt schafften schliesslich 1304
Jugendliche, das sind 47 Prozent der Geprüften.
In vielen Familien wurde jetzt in der Ferienzeit mit dem Nachwuchs
gebüffelt; man hat alte Aufnahmeprüfungen gelöst. Nicht wenige schicken ihr
Kind bereits seit den Sommerferien in Vorbereitungskurse privater Anbieter.
Diese boomen seit Jahren, der Markt ist kaum mehr überschaubar. Das
Angebot ist vielfältig, von der Einzelstunde bis zum monatelangen
schulbegleitenden Kurs in Kleinklassen. So bietet beispielsweise das
Logos-Lehrerteam Mathematik- und Sprachkurse (vier Lektionen pro Woche) von
August bis März für 3340 Franken an. Das Lernstudio hat einen etwas kleineren
Vorbereitungskurs für 2045 Franken im Angebot. Ist die Aufnahmeprüfung ohne
spezielle Unterstützung überhaupt noch zu bewältigen? Kaum, sagen viele Kursanbieter,
ohne sorgfältige Vorbereitung sei die Gymi-Prüfung heute fast nicht mehr zu
bestehen.
Zwar bietet die Volksschule vielerorts kostenlose Vorbereitungskurse an.
Gemäss einem kantonsrätlichen Beschluss aus dem Jahr 2013 sind die
Schulgemeinden allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun. Die
Bildungsdirektion empfiehlt dies aber. In der Stadt Zürich werden in sämtlichen
Schulkreisen unentgeltliche Kurse für Schüler und Schülerinnen der 6. Klasse
und der 2. Sekundarstufe durchgeführt. Dabei handelt es sich um zwei
Wochenlektionen im ersten Semester, in denen vor allem Prüfungsaufgaben aus
früheren Jahren gelöst werden.
Mirella Forster (fdp.), Präsidentin des Schulkreises Zürichberg, sieht
die Kurse der privaten Anbieter nicht als Konkurrenz, sondern als «ergänzende
Zusatzschulung» zum Angebot an den Volksschulen. Die öffentlichen
Prüfungsvorbereitungen würden am Zürichberg wie in den meisten anderen
Schulkreisen von den Lehrpersonen im Rahmen der städtischen zeitlichen Vorgaben
durchgeführt, sagt sie.
Kritik an teuren Kursen
Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien kritisieren
zunehmend die gegenwärtige Entwicklung. So schreibt die Kommission für Bildung
und Kultur des Kantonsrats in einem Bericht: «Es ist erwiesen, dass die
Erfolgswahrscheinlichkeit für die Aufnahmeprüfung bei gleicher Intelligenz und
gleichen schulischen Leistungen durch die Prüfungsvorbereitungskurse um 9
Prozent gesteigert werden kann.»
Ebenfalls äusserst skeptisch betrachtet Katrin Wüthrich (sp.),
Schulpräsidentin des Schulkreises Limmattal, die Tendenz des wachsenden
Privatmarktes der Kursangebote. Sie findet teure Vorbereitungskurse für die
Aufnahmeprüfung nicht gut, weil so die Bildungschancen für Kinder aus
einkommensschwachen Elternhäusern eingeschränkt seien. «Die öffentliche Schule
soll - und muss - ihre Schüler und Schülerinnen genügend auf das Gymi
vorbereiten.»
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