14. Dezember 2014

Elite-Gymnasium in Zürich?

Ein neuer Gymi-Typus soll in Zürich das Langgymnasium konkurrieren. Die Anhänger des Lateins sind alarmiert, Rektoren warnen vor einer Zweiklassen-Matura.





Langgymi-Schüler sollen die Wahl haben: Formeln oder Latein-Vokabeln, Bild: Justin Lewis

Kanton Zürich denkt an ein Elite-Gymnasium, NZZaS, 14.12. von René Donzé


Im Kampf um mehr Studierende in den Mint-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) ist dem Kanton Zürich auch das bisher sakrosankte lateinische Langzeitgymnasium nicht mehr heilig. Heute können die Schüler, die nach der 6. Klasse ins Gymi wechseln, nur dieses eine Profil belegen, eine Auswahl ist erst nach zwei Jahren beim Wechsel ins vierjährige Kurzgymnasium möglich.
Nun aber arbeitet die Bildungsdirektion von Regierungsrätin Regine Aeppli (sp.) an Szenarien für eine Umgestaltung der gymnasialen Landschaft. Zur Diskussion steht ein Langzeitgymi mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Profil. Solche Ideen diskutierte Marc Kummer, Leiter des Mittelschul- und Berufsbildungsamtes, jüngst an der Delegiertenversammlung der Lehrpersonenkonferenz der Mittelschulen, wie verschiedene Quellen berichten.
«Ein möglicher Ort wäre auf dem Campus Rämibühl», sagt Kummer. Der Standort böte sich an, weil es dort sowohl ein mathematisch-naturwissenschaftliches Kurzgymnasium (MNG) als auch ein herkömmliches Langgymi gibt. «Man könnte zumindest darüber nachdenken», sagt er. Hintergrund ist ein Vorstoss aus dem Kantonsrat, der die Prüfung solcher Langgymnasien verlangt. Kummer will diese Idee aber bloss als eine Variante verstanden haben, wie man Gymnasiasten auf Mint-Studien vorbereiten könnte - Zürich liegt hierzu im nationalen Vergleich im Hintertreffen. Eine andere wären mehr Kurz-MNG in der Stadt.
Der Gedanke an ein solches neues Langgymnasium sorgt in Lehrer- und Rektorenkreisen teilweise für heftige Kritik. Die Rede ist von einem Elite-Gymnasium, das nur einer beschränkten Anzahl Schüler offensteht. Somit hätten nur die besten eines Jahrgangs Chancen auf einen Platz. Ein ähnliches System kennt bereits die Kantonsschule Küsnacht für die Immersionsklassen (Fachunterricht in Fremdsprachen). «Wir lehnen einen solchen Pilotversuch an nur einer Schule klar ab», sagt Cornel Jacquemart, Präsident der Schulleiterkonferenz und Rektor am Wirtschaftsgymnasium Büelrain Winterthur. Wenn schon, dann müsste ein Langzeit-MNG allen Schülern offenstehen. Doch selbst dann hätten die Rektoren grosse Bedenken. Würden die Schüler bereits im Untergymnasium verstärkt in Mint-Fächern gefördert, würde nach zwei Jahren der Graben zwischen ihnen und den Sekundarschülern, die ins Kurzgymi wechseln, noch grösser. Profilwechsel und Durchmischung würden schwieriger. Die Rektoren warnen vor einer Zweiklassen-Matura. Sie befürchten, dass etwa die ETH nur noch Schüler aus dem Langzeit-MNG prüfungsfrei zuliesse. Bereits jetzt würden die Gymis im Sinne des Auftrags des Bildungsrates grosse Anstrengungen zur Mint-Förderung unternehmen, so Jacquemart. Diese Resultate sollten abgewartet werden, bevor neue Versuche gestartet werden.
Ähnlich argumentiert Marcel Meyer, Präsident der Mittelschul-lehrer: «Man würde das System massiv durcheinanderbringen.» Und die Profilwahl müsste bereits am Ende der Primarschule getroffen werden. Damit erhöhte sich auch die Konkurrenz zur Sekundarschule und zur Berufslehre.
Hinter der Kritik steht auch die Angst vor einem weiteren Bedeutungsverlust des Lateinunterrichts. In Luzern, wo die Langgymischüler zwischen den Profilen «Natur und Technik» und «Latein, Sprache, Kultur» wählen können, belegt nur noch ein Drittel die alte Sprache. Theo Wirth, ehemaliger Dozent für Fachdidaktik der alten Sprachen an der Universität Zürich, hat darum vor den Mittelschullehrern heftig gegen die neuen Langgymis argumentiert: «In Luzern gibt es deswegen auch nicht mehr Mint-Studierende als früher, weil viele Schüler nach zwei Jahren das naturwissenschaftliche Profil verlassen.»

Einstimmig ist die Ablehnung aber nicht. Lehrer mit naturwissenschaftlichem Hintergrund seien für die Idee zu haben, heisst es. Und auch Rektoren signalisieren Interesse. «Wir wären dafür prädestiniert», sagt Daniel Reichmuth vom MNG Rämibühl, der von Kummers Idee überrascht wurde. Andere Schulen protestieren gegen eine Bevorzugung der Stadt Zürich: «Es gibt ja nicht nur dort eine Elite», sagt ein Rektor.

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