17. November 2014

Wissen, Können und Gemeinsinn - Wozu dient die Volksschule?

Jetzt, wo der Lehrplan 21 in der Verantwortung der Kantone liegt, wäre der Moment, in dem eine Neubesinnung stattfinden könnte. Einige in den letzten Jahren bereits eingeführte Reformen haben zu einer gewissen Orientierungslosigkeit über den Auftrag der Volksschule beigetragen. Die zum Teil widersprüchlichen Ansprüche beschäftigen die Lehrerinnen und Lehrer, die Eltern und die Gemeinden. Es gibt viele offene Problemfelder, denen mit Sachverstand, Realitätssinn und Menschlichkeit begegnet werden muss. Mängel, die bei den Schulabgängern z.B. im Lesen, Schreiben und Rechnen festgestellt werden, stehen ebenfalls schon länger auf der Pendenzenliste der Schulverantwortlichen.



Teamplayer versus Einzelkämpfer, Bild: jubi-te.de

Wissen, Können und Gemeinsinn - Wozu dient die Volksschule? Elsbeth Schaffner, 17.11.


 Sinn und Zweck der Volksschule war die Bildung mündiger Bürger in der direkten Demokratie. Dafür wurde sie errichtet und dies ist bis heute in den kantonalen Zweckartikeln gültig festgeschrieben. Eine solche Bildung ist ausgerichtet auf das Gemeinwohl. Unser herausragendes Bildungssystem schaffte nicht nur beste Voraussetzungen im Bereich Wissen und Können, sondern legte auch Wert auf soziale Verbundenheit, Sinn für das Schöne und Freude am Leben. Wir können davon ausgehen, dass ein Zusammenwirken aller Verantwortlichen und ein gesellschaftlicher Konsens die pädagogischen Voraussetzungen für dieses qualitativ hochstehende Bildungswesen schaffen konnten. Nebst gut ausgebildeten Lehrkräften hat unter anderem das gemeinsame Lernen in Jahrgangsklassen dazu beigetragen. Mehrere Volksbegehren fordern deshalb, im neuen Lehrplan wieder die Jahrgangsziele und die Inhalte der einzelnen Fächer klar zu definieren.
Der Lehrplan 21 wird, so wie er konzipiert ist, dazu führen, dass der Unterricht noch viel mehr als heute auf individualisierte Lernprogramme umgestellt wird. Statt gemeinsamem Unterricht gibt es Inputs und dem Niveau der Schüler angepasste Arbeitsaufträge. Durch die Kompetenzorientierung besteht die Gefahr, dass Bildung immer mehr auf messbare, „operationalisierte“ Lernziele reduziert wird. Die Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit im Klassenunterricht wird dadurch entwertet. Ein Mangel an Beziehung, der zu Entmutigung, Egoismus und Vereinsamung führen kann, wird damit in Kauf genommen. So werden viele Kinder um ihre Chancen gebracht, indem sie die Freude am Lernen verlieren oder gar nie erhalten. Praktiker und Wissenschaftler warnen schon heute vor einer zunehmenden Amerikanisierung der Bildung.
Dabei wissen viele erfahrene Lehrerinnen und Lehrer um die Bedeutung, die eine tragfähige Klassengemeinschaft für das einzelne Kind hat. Sie sind sich bewusst, dass das Hineinwachsen der Kinder in unsere Kultur, das Kennen- und Schätzenlernen der gemeinsamen Grundlagen in ihren Händen liegt. Dazu gehört auch die Neugier und der Respekt gegenüber dem Fremden. Um diese Bildungsgrundlagen vermitteln zu können, sind die Lehrer aber auch auf gut strukturierte Lehrmittel angewiesen, die auf unserer Kultur basieren.
Der sorgfältige Entwurf guter Lehrmittel, die eine Anbindung an unsere bewährte Bildungstradition möglich machen, darf weder abgehobenen Theoretikern noch kommerzorientierten „Bildungs“konzernen überlassen werden. Ein gutes Lehrmittel ist geprägt von der Fachkenntnis der Autoren, ihrer Bezogenheit auf die Schüler sowie dem Wissen um die Bedeutung, die der Inhalt für das Gemeinwohl hat. Ebenso muss die Lehrerausbildung sowohl in fachlicher und pädagogischer Hinsicht dem gesellschaftlichen Auftrag genügen.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in dem die Kantone, die ja Träger der Bildungshoheit sind, darüber entscheiden, ob und in welcher Form sie den Lehrplan 21 übernehmen wollen. Bisher wurde vor allem für die Ausarbeitung Personal und Geld zur Verfügung gestellt. Ob man jedoch mit dem Produkt zufrieden sein kann und ob es den Anforderungen an die Volksschule genügt, muss erst einmal in Ruhe angeschaut werden. Wenn Regierungen jetzt diesen Lehrplan 21 möglichst schnell einführen wollen, muss man sich fragen, warum eigentlich. Es gibt viele Kritiker aus Praxis, Wissenschaft und Wirtschaft, die auf Schwachpunkte hingewiesen und wenig Gehör gefunden haben. Diese Kritik müsste die Kantone beschäftigen. Ein Lehrplan, der den Bestehenden ablöst, sollte auf die anstehenden Fragen Antworten finden und beklagte Missstände beheben. Die Verantwortlichen im Bildungswesen sind es den Kindern und ihren Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern und unserem Gemeinwesen schuldig, neue Konzepte für die Volksschule umsichtig zu prüfen und demokratisch abzustützen.

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