"Was die Lehrmittelhersteller unterliessen, müssen nun die Lehrer ausbaden", kritisiert die SP, Bild: Urs Zwygart
Sekübertritt soll ohne Französisch stattfinden, Berner Zeitung, 18.11. von Christoph Aebischer
Dieser Tage
beugen sich Lehrerkollegien über lange Listen mit den Resultaten der
Orientierungsarbeiten in Mathematik, Deutsch und Französisch. Viele Lehrer
hoffen insgeheim, dass diese ihre eigene Beurteilung der Sechstklässler
bestätigen. Für Lehrer, Schüler und Eltern naht nämlich das konfliktträchtigste
Quartal der Schulzeit. In ihm entscheidet sich, ob die Schullaufbahn der Kinder
in der Sekundar- oder in der Realschule weitergeht. Und das sorgt immer wieder
für Meinungsverschiedenheiten.
Während viele
Lehrer in Mathematik und Deutsch die erhoffte Bestätigung erhalten, lässt sie
die Orientierungsarbeit in Französisch heuer oft im Stich. Das hat Roland Näf,
Schulleiter in Muri und SP-Grossrat, befürchtet. Die Empfehlung in Französisch,
die erstmals auf dem neuen Lehrmittel «mille feuilles» basiert, wird für manche
zum Blindflug. Keine schönen Aussichten für die so oder so oft schwierigen
Gespräche mit den Eltern. Deshalb will die SP die Notbremse ziehen. Gestern
reichte Eva Baltensberger (SP, Zollikofen) eine Motion ein, die einen
«möglichst raschen» Verzicht auf eine Selektion in Französisch verlangt –
zumindest bis zur Einführung des Lehrplans21 im Schuljahr 2017/2018.
Näf: «Arbeit nicht gemacht»
Näf, der
bereits nach den Sommerferien Französischlehrer zum Selektionsboykott aufrief,
rüffelt die Erziehungsdirektion (ERZ) und die Macher des neuen Lehrmittels.
Beide hätten ihre Arbeit nicht gemacht. Die neue Didaktik des Lehrmittels
erfordere eine andere Art der Beurteilung, zu der jedoch keine Module ausgearbeitet
worden seien. «Was die Lehrmittelhersteller unterliessen, müssen nun die Lehrer
ausbaden», kritisiert Näf.
Erst kurz vor
der Durchführung der Orientierungsarbeit handelte die ERZ. Sie stellte Mitte
Oktober Aufgaben ins Netz, die auf modernen Erkenntnissen zum Spracherwerb
basieren. Sie fokussieren auf das Hörverständnis, das Leseverständnis und das
Schreiben – wie das Lehrmittel.
Die Hilfe
kommt zu spät. Sie wäre in den Schuljahren davor nötig gewesen, findet Näf. Die
Lehrer könnten den Aufwand für solche Tests nicht selber leisten.
ERZ sieht Handlungsbedarf
Erwin Sommer,
Vorsteher des Amtes für Kindergarten, Volksschule und Beratung, weiss um dieses
Bedürfnis: «Offenbar sind mehr Beurteilungsbeispiele nötig», räumt er ein.
Gleichzeitig nimmt er die Macher des Lehrmittels in Schutz: «Es existiert eine
Broschüre mit Beurteilungshilfen.» Für Sommer ist schwer abschätzbar, ob die
Mehrheit der Lehrpersonen überfordert ist mit dem Selektionsentscheid. Ein
Verzicht sei «diskutabel», würde aber eine Anpassung der entsprechenden
Verordnung nötig machen. Zu vermeiden sei ein «Missbrauch» der letztes Jahr
eingeführten Kontrollprüfung (siehe Box). «Das wäre unfair für die Schülerinnen
und Schüler, weil eine Momentaufnahme und damit ihre Tagesform über die Zuteilung
entscheiden würde.» Genau aus diesem Grund aber habe man die Aufnahmeprüfungen
abgeschafft.
Für Näf führt
kein Weg am vorläufigen Verzicht auf eine Selektion vorbei. Damit würde die
Situation dem Gymerübertritt angeglichen. Dort werden Mathematik doppelt und
die Sprachen je einfach gewichtet. «Dies würde nebenbei die kritisierte
Sprachlastigkeit korrigieren», sagt er.
Rückkehr zum Wörtli büffeln
Die Lehrer
jetzt alleinzulassen, liegt für Näf nicht drin. Mit Bedauern stellt er fest,
dass viele, der Not gehorchend, zum Büffeln von Wörtlilisten zurückgekehrt
seien. So hätten sie wenigstens zählbare Resultate zum Vorweisen –
Sprachdidaktik hin oder her. All dies, schreibt Baltensberger, mache die dank
«mille feuilles» positiveren Fremdspracherfahrungen der Schulkinder wieder
zunichte. Mit dem Vorstoss will sie nun den Druck von den Schultern der Lehrer
nehmen. Denn Näfs Aufruf zum zivilen Ungehorsam baut diesen nicht ab. Im
Gegenteil: Einzige Konsequenz wäre ein Verweis der Erziehungsdirektion.
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