St. Galler Schüler sind sehr gut in Mathematik, gut in Naturwissenschaften und zwischen gut und genügend im Lesen, Bild: Reto Martin
Pisa verändert Schulen, St. Galler Tagblatt, 5.11. von Fritz Bichsel
«Trottel» oder «Musterschüler»? – Diese Extreme zu
den Resultaten der Schweizer Schüler standen im «Blick» zum ersten Pisa-Test,
als es ums Lesen ging, und jetzt in unserer Zeitung (Ausgabe vom 24. September)
zum jüngsten Vergleich zwölf Jahre später in Mathematik. Das wertet
Bildungswissenschafter Christian Brühwiler als übertriebene Interpretation. Er
leitet das Institut der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG), das an der
Auswertung von Zusatzerhebungen in Kantonen beteiligt ist und deren Ergebnisse
für den Kanton St.Gallen vertieft analysierte.
Dabei zeigte sich: St.Galler Schülerinnen und
Schüler sind am Ende der Volksschule sehr gut in Mathematik, gut in
Naturwissenschaften sowie zwischen gut und genügend im Lesen, in allen diesen
Bereichen etwas besser als der Schweizer Durchschnitt und über die zwölf Jahre
stabil auf diesem Niveau. «Pisa löste in der Schweiz erste vergleichende
Leistungsmessungen aus, stärkte Kompetenzorientierung und war Wegbereiter für
eine Harmonisierung» sagt Christian Brühwiler am Schlussanlass für Lehrkräfte
und weitere Interessierte. «Pisa misst aber nur Teilaspekte von Bildungszielen,
weshalb sich Bildungspolitik nicht einseitig an diesen Tests orientieren kann.»
«Schüler bleiben konstant gut»
Für Regierungsrat Stefan Kölliker als Leiter des
Bildungsdepartements sind die Resultate der vertieften Studien im Kanton «ein
Grund zum Loben». Das hohe Niveau seit Jahren widerspreche «klar der
landläufigen Meinung, die Schülerinnen und Schüler würden immer schlechter».
Der Bericht der Wissenschafter bestärkt den Bildungschef, «als zentrales
Anliegen die Lehrpersonen zu stärken.» Handlungsbedarf sieht er beim Fördern
von Schülern mit schwieriger sozialer Herkunft oder Migrationshintergrund –
trotz vergleichsweise guter St.Galler Resultate in diesem Bereich. Als Ansatz
zur Anhebung der tiefen Maturaquote sollen «überdurchschnittlich begabte
Schüler aus bildungsfernen Schichten noch besser motiviert werden für einen
gymnasialen Abschluss oder die Berufsmaturität».
Der Bericht zeigt nur einen geringen Anteil an
Aufgaben mit Bezug zur Lebenswelt. Das bedauert der Bildungschef, und er
erhofft sich hier «eine Verschiebung zugunsten des Praxisbezugs mit dem
kompetenzorientierten Lehrplan 21». Weil Realschüler in einzelnen Bereichen
höhere Fähigkeiten haben als Sekundarschüler und sogar Gymnasiasten, kann sich
Stefan Kölliker vorstellen, «den Schulträgern für die Zukunft mehrere
Oberstufenmodelle zur Verfügung zu stellen».
PHSG-Rektor Erwin Beck stellt in der Zeit der
Pisa-Tests Bewegung in der Schule fest: neue Anwendungsfelder für Mathematik,
Entwicklung von Aufgaben zur kognitiven Aktivierung der Lernenden, neue
Unterrichtsformen und weiteres. Was davon Pisa bewirkt habe, sei Spekulation.
Sicher habe Pisa «positive Bildungsdiskussionen ausgelöst, Bedarf für mehr
Durchlässigkeit auf der Oberstufe bestätigt und gezeigt: Im Kanton St.Gallen
haben wir gute Lehrerinnen und Lehrer.»
Mit oder ohne Pisa weiter?
Die vertiefte Analyse der Pisa-Tests wird jetzt im
Kanton St.Gallen abgelöst durch eine weitere Fächer umfassende Überprüfung der
Grundkompetenzen von Schülern. Erwin Beck wäre nicht unglücklich, «wenn wir nun
auch die Beteiligung an Pisa mindestens einige Jahre aussetzen würden». Der
Wissenschafter Christian Brühwiler hingegen empfiehlt «an dieser Möglichkeit
zum Vergleich auf internationaler Ebene festzuhalten».
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